© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/07 27. April 2007

Das spröde Genie im Kunstrausch
Als Dürer das Licht Italiens sah: Rom würdigt den deutschen Meister mit einer grandiosen Ausstellung
Paola Bernardi

Ernst und streng schaut der reiche Nürnberger Patrizier "Jakob Muffel" (entstanden 1526) die offiziellen internationalen Besucher an, die in diesen Tagen in Rom einrauschen. Anlaß ist eine Ausstellung zum 50jährigen Jubiläum der Europäischen Union, die kürzlich im Quirinalpalast, dem Sitz des italienischen Präsidenten, im Saal der Kürassiere, eröffnet wurde und in der die derzeit 27 EU-Mitgliedstaaten je ein "Meisterwerk" ausstellen. Während Frankreich sich für Rodins "Denker" entschied, wird Deutschland durch das Patrizier-Porträt von Albrecht Dürer (1471-1528) vertreten. In diesem relativ kleinen Bildnis (48x36 cm) offenbart sich dennoch die gewaltige geniale Meisterschaft Dürers, der mit dickem Pinsel miniaturfein jede kleinste Nuance im Antlitz seines Freundes festhielt. Jedes einzelne Detail und jedes einzelne Härchen von dessen Pelzumhang überlieferte er der Nachwelt.

Nur ein paar Schritte weiter über die Piazza des Quirinal-Hügels können die Besucher völlig neue Entdeckungen über einen der größten deutschen Maler und Graphiker machen. Denn Rom feiert in einer grandiosen Ausstellung Dürers italienisches Werk. "Dürer und Italien" lautet der Titel dieser Ausstellung in der Scuderie des Quirinal, konzipiert von der Deutsch-Römerin Kristina Hermann Fiore.

Zu Dürers und Leonardos Zeit war Malen Erkenntnis, waren Kunst und Wissenschaft eins; das Weltgeschehen ließ sich noch durch das Auge darstellen. Dürer als Maler, als Holzschneider, als Kupferstecher, als Freund der Humanisten, der Katholik, der heimlich Luther verehrte, und der große Hofkünstler Maximilians - als solchen kennen wir dieses spröde deutsche Genie, immer entrückt und immer noch voller Rätsel.

Nun wird ein weiteres Kapitel aufgeschlagen. Denn auch Dürer trieb die deutsche Italien-Sehnsucht weg aus dem nebligen Nürnberg Richtung Süden. Zweimal - 1494 und 1505 bis 1507 - reiste er nach Italien, genauer: nach Venedig. Es war das Licht des Südens, das ihn hier überwältigte, und es waren die Menschen. "Unter den Italienern gibt es viele nette Gefährten. Und je mehr Zeit ich mit ihnen verbringe, desto mehr wachsen sie mir ans Herz. Es sind wunderbare Lauten- und Pfeifen-Spieler, es sind Liebhaber der Malerei und Menschen mit edler Gesinnung und gerader Tugend, die mir Ehre und Freundschaft erweisen", schreibt Albrecht Dürer an den Nürnberger Gelehrten Willibald Pirckheimer. Dieser kannte sich durch seine Padua- und Pavia-Aufenthalte bestens in Italien aus und verstand ihn nur zu gut.

Überwältigt vom blauen Himmel Italiens und dem immerwährenden Grün zeichnete Albrecht Dürer seine Aquarelle und Naturstudien auf der Reise nach Venedig, die nun hier in Rom ausgestellt sind. Es sind frühe und seltene Meisterwerke. So manifestieren seine Aquarelle von Trient und vom Gardasee eine wahre blaugrüne Sinfonie aus Himmel und Bergen, Wasser und Vegetation; hineingetupft Häuser und Türme. Niemand würde auf den ersten Blick glauben, daß diese Werke von Dürer stammen. Der spröde und präzise Künstler zeigt sich in einem ganz neuen Licht.

Dürer hatte den italienischen Künstlern immer allergrößte Achtung entgegengebracht. So hatte er sich als Vorbild die Stiche von Mantegnas und Pollaiolos genommen und Zeichnungen angefertigt. Er hatte allerdings die Halbgötter der Künstlichkeit wieder zurück ins Fleischliche verwandelt. Auf seinen Italienreisen erlebte Dürer ganz neue Perspektiven, quasi ein neues Sehen. Er drang tiefer in die Materie ein und geriet in einen wahren Kunstrausch.

Doch - und dies ist das Einmalige dieser römischen Ausstellung -, der große Dürer wurde auch zum Lehrmeister vieler Meisterschüler aus dem Süden. Seine Italienreisen waren keine Einbahnstraßen, sondern sie führten weiter, öffneten ebenso neue Horizonte für die italienischen Künstler, wie diese Ausstellung eindrucksvoll belegt.

Wechselspiel mit italienischen Künstlern

So zeigt Raffaels "Die Vision des Ezechiel" von 1516, daß die Grundlage dazu ein zwanzig Jahre alter Holzschnitt von Dürers "Kampf des heiligen Michaels mit dem Drachen" war. Und Dürers Holzschnitt "Das letzte Abendmahl" von 1523 wird zwanzig Jahre später von Jacopa Bassano in seinem Werk aufgegriffen. Andererseits hat auch Dürer von dem künstlerischen Wechselspiel profitiert. Sein bekanntes Werk von der schönen jungen Venezianerin mit ihren rotgoldenen Locken (1505) entspringt der Vorlage von Lorenzo di Credi, der fünfzehn Jahre vorher ein ähnliches Porträt von einer Florentinerin schuf. Dieses ist allerdings nicht annähernd so präzise und persönlich gestaltet wie das spätere von Dürer.

Man spürt förmlich die neue Freiheit, die Dürer durch seinen Venedig-Aufenthalt beflügelte. Herausragendes Beispiel ist das große Tafelbild "Rosenkranzfest" (1606-1612). Nie hat Dürer diese Flut von Licht in der Farbe wieder erreicht: die verschwimmende Bläue des Himmels, die an das Lagunenlicht Venedigs erinnert. Und nie erreichte Dürer diese neue gelöste Bewegungsfreiheit trotz aller Tektonik, die fortan sein Werk veränderte und bestimmte.

Der Gang durch die Ausstellung zeigt neben zwanzig Gemälden, zehn Aquarellen und dreißig Zeichnungen auch Dürers unübertroffene Holzschnitte und Kupferstiche. In diesen schwarzweißen Blättern manifestiert sich die apokalyptische Wucht Dürers. Seine auf Papier gebannten Schreckensvisionen sind bevölkert von Hexen und Teufel, von Gerippen und Kaiser. Alles schreit förmlich nach Erlösung.

Dürer in seiner Zeit, das hieß auch Dienst für den Kaiser. Für Betrachter scheinbar unfaßbar zu sehen und zu begreifen ist sein Kupferstich "Ehrenpforte für Kaiser Maximilian I." (1559). Eine Miniaturwelt, die in unsere heutige Vorstellung schwer unterzubringen ist. Ein gewaltiger Kosmos tut sich hier auf. Man kann nur noch staunen.

Die Ausstellung wird bis zum 10. Juni in der Scuderie del Quirinale, Via XXIV Maggio, täglich außer montags von 10 bis 20 Uhr, Fr./Sa, bis 22.30 Uhr, gezeigt. Der Katalog in italienisch kostet 35 Euro.

Fotos: Albrecht Dürer, "Rosenkranzfest" (1606-1612): Nie hat Dürer diese Flut von Licht wieder erreicht; Albrecht Dürers Porträts einer Venezianerin (1505) und des Nürnberger Patriziers Jakob Muffel (1526), Raffaels "Vision des Ezechiel (um 1516): Der Nachwelt jedes einzelne Härchen überliefert


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