© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/07 27. April 2007

Einfach Äpfel mit Birnen verglichen
Arbeitsmarkt: Sind Aussiedler schlechter integriert als Ausländer? Eine Studie der Bundesagentur läßt Fragen offen
Michael Paulwitz

An Hiobsbotschaften herrscht in der Arbeitsmarktstatistik trotz des Konjunkturaufschwungs kein Mangel. Nun also die Aussiedler: Ihre Arbeitslosenquote liege dreimal höher als bei hier aufgewachsenen Deutschen, teilt eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit (BA) mit. Selbst Ausländer, deren Arbeitslosenquote mit etwa zwanzig Prozent "nur" doppelt so hoch wie bei den Deutschen sei, seien besser in den Arbeitsmarkt integriert.

Nur jeder zweite Aussiedler sei sozialversicherungspflichtig beschäftigt - gegenüber 77 Prozent bei den Deutschen und zwei Dritteln bei den Ausländern. Etwa 36 Prozent der "Spätaussiedler" (die Studie gebraucht den mißverständlichen Begriff) haben keine Berufsausbildung; bei den Ausländern sind es sogar 42 Prozent, bei den Deutschen nur 14 Prozent. Dennoch arbeiten fast drei Viertel der Aussiedler als Nicht-Facharbeiter, gegenüber 57 Prozent der Ausländer und einem Fünftel der Deutschen.

Die IAB-Statistik kann noch mit einer weiteren Anomalie aufwarten: Der Anteil der Aussiedler mit Hochschul- oder Fachhochschulabschluß liegt mit knapp zehn Prozent ähnlich hoch wie bei den Deutschen, während er bei Ausländern signifikant niedriger ist; dennoch ist die Arbeitslosigkeit der Aussiedler mit akademischem Abschluß sogar noch höher als bei den Ungelernten - 43,6 Prozent finden keine Stelle. Die Studie führt dies auf mangelnde Übertragbarkeit der Abschlüsse und fehlende Deutschkenntnisse zurück.

Eine isolierte Betrachtung dieser Zahlen ist freilich wenig hilfreich. Die IAB-Studie beruht auf der "Integrierten Erwerbsbiographie" (IEB), in der die BA-Prozeßdaten über Bewerberangebote und Arbeitslosmeldungen, Teilnehmer an Maßnahmen und Leistungsempfänger zusammengeführt werden. Daten zu Selbständigen oder Beamten sind darin nicht erfaßt, so daß die IEB-Arbeitslosenquoten nach oben abweichen.

Hinzu kommt, daß Aussiedler systematisch erst ab 2000 in den Datenbanken identifizierbar sind. Wer länger als fünf Jahre im Land ist, wird nicht mehr als Aussiedler geführt. Der Statistik liegen die Daten von 645.455 Aussiedlern und 9.402.822 Ausländern zugrunde. Während in beiden Fällen sämtliche Daten ausgewertet wurden, hat man für die Deutschen eine Ein-Prozent-Stichprobe der zwischen 2000 und 2004 Erfaßten vorgenommen. Das erlaubt den Schluß, daß die Chancen der in den letzten Jahren zugezogenen Aussiedler deutlich schlechter liegen als die der früher ins Land gekommenen - immerhin handelt es sich um 2,8 Millionen Menschen deutscher Abstammung aus den GUS- und osteuropäischen Staaten. Das erklärt den Widerspruch zum Institut der deutschen Wirtschaft (IW), das für die Jahre bis 2000 als Folge des Zustroms von Aussiedlern einen positiven Saldo sowohl für die öffentlichen Haushalte als auch für die sozialen Sicherungssysteme errechnet hat. Aussiedler haben mehr eingezahlt, als sie bekommen haben.

"Keine zuverlässigen Informationen eingeholt"

Die Ergebnisse der IAB-Studie "sind offensichtlich, ohne zuverlässige Informationen eingeholt und diese überprüft zu haben, von der Beteiligung der Interessenverbände der 'Betroffenen' schon ganz zu schweigen, an die Massenmedien weitergegeben worden", kritisierte Arthur Bechert von der Landsmannschaft der Deutschen aus Rußland. Das Ergebnis seien entsprechende "Schreckensmeldungen" in fast allen deutschen Sendern und Zeitungen.

Ein anderes Bild ergibt sich auch, wenn man die auf die Gesamtbevölkerung bezogenen BA-Zahlen vergleicht. Danach weisen die Deutschen (März 2007) einen Anteil von 50 Prozent sozialversicherungspflichtig Beschäftigten auf, die Ausländer lediglich von 31 Prozent, in den neuen Bundesländern 15,6 Prozent. Dies dürfte u.a. mit der Größe der Familien zu tun haben, die an jedem arbeitenden bzw. nichtarbeitenden Familienvorstand hängen.

Aussiedler ist auch auf dem Arbeitsmarkt nicht gleich Aussiedler und Ausländer ist nicht gleich Ausländer. Zwischen EU-Ausländern und Ausländern aus nichteuropäischen Ländern gibt es gewaltige Unterschiede. Bei den in Deutschland lebenden Türken etwa liegt die Arbeitslosigkeit um das Dreifache höher als bei den Deutschen, in Berlin übersteigt die Quote die 40-Prozent-Marke. Der Gesamtanteil der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten beträgt ein Fünftel. Angesichts von mehreren Millionen Einbürgerungen in den letzten 15 Jahren wäre es wissenswert, wie viele arbeitslose Einwanderer sich hinter den statistisch für die "Deutschen" ausgewiesenen Zahlen verbergen.

Für die letzten Jahre weist die BA einen deutlichen Rückgang der Arbeitslosenzahlen für Aussiedler aus. Im März waren 25.000 "Spätaussiedler" arbeitslos gemeldet, im Vorjahresvergleich ein Rückgang um 37 Prozent. Die BA-Statistik führt das auf rückläufige Zuzugszahlen zurück. Während bei Aussiedlern strenge Zuzugsbeschränkungen greifen, sind vergleichbare Effekte bei oft noch schlechter qualifizierten Einwanderern aus Nicht-EU-Ländern nicht zu beobachten. Nach wie vor steigert die Einwanderung in den Sektor der Nicht- und Geringqualifizierten den Konkurrenzdruck sowohl für einheimische Deutsche als auch für volksdeutsche Aussiedler. Dies zu ändern, ist freilich keine Frage der Arbeitsmarkt-, sondern der Einwanderungspolitik.

Die IAB-Studie findet sich im Internet: http://doku.iab.de/kurzber/2007/kb0807.pdf.


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