© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/07 20. April 2007

Der Karpatenquisling
Vor sechzig Jahren wurde der slowakische Priesterpräsident Jozef Tiso hingerichtet / Koalition mit Hitler für Beneš und Stalin dankbarer Angriffspunkt
Alfred Schickel

Am 18. April jährte sich zum 60. Mal der Tag, an dem in Preßburg Monsignore Jozef Tiso am Galgen starb. Er war einer der wenigen katholischen Geistlichen, die im 20. Jahrhundert bis in den Rang eines Staatsoberhauptes aufgestiegen sind.

Der am 13, Oktober 1887 im damals "oberungarischen" Groß-Bytca als zweites von sieben Kindern geborene Jozef Tiso schlug zunächst die geistliche Laufbahn ein. Nach seiner Priesterweihe am 14. Juli 1910 erwarb er im folgenden Jahr den Doktorgrad und widmete sich anschließend in verschiedener Verwendung der Seelsorge. Von den politischen Aktivitäten seines älteren geistlichen Mitbruders, Andrej Minka, stark beeindruckt, schloß sich Tiso nach Ende des Ersten Weltkriegs der am 19. Dezember 1918 gegründeten Slowakischen Volkspartei (SVP) an und zog 1920 als ihr Vertreter für den Wahlkreis Tyrnau ins tschechoslowakische Zentralparlament ein. Mit dem Eintritt seiner Partei in die Prager Regierung übernahm er 1927 das Gesundheitsministerium.

Nach seinem Ausscheiden aus dem Amt verstärkte er seinen Einsatz für die Einrichtung eines eigenen slowakischen Landtags und einer slowakischen Landesregierung sowie für die Einführung der slowakischen Amtssprache. Diese Bestrebungen führten 1938 zum Ziel und brachten Jozef Tiso das Amt des slowakischen Ministerpräsidenten ein. Zugleich wurde er nach dem Tod Andrej Hänkas Chef der Slowakischen Volkspartei und Führer ihrer paramilitärischen Gliederungen. Im Gefolge der bald ausbrechenden Auseinandersetzungen mit der Prager Zentralregierung mußte er das Ministerpräsidentenamt abgeben, um dann schließlich mit Berliner "Hilfe" die staatliche Unabhängigkeit der Slowakei zu erwirken und im März 1939 Regierungschef des nunmehr von Prag getrennten slowakischen Staates zu werden.

Am 26. Oktober 1939 wurde Tiso zum Staatspräsidenten der Slowakei gewählt und blieb dies bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Auf seiner Flucht vor der Roten Armee ergab er sich im April 1945 den Amerikanern, die ihn am 25. Oktober 1945 an die Prager Regierung auslieferten. Sie kamen mit dieser Überstellung einer Forderung Edvard Beneš nach und machten damit letztlich Tisos spätere Verurteilung möglich. Dabei hätten sie spätestens im Sommer 1945 voraussehen können, daß ihm ein politischer Schauprozeß bevorstand. Das deuteten schon die sogenannten "Kaschauer Beschlüsse" der im Gefolge der Roten Armee heimkehrenden tschechischen Parteiführer vom 5. April 1945 an. In ihnen wurde Tisos Regierung als "Verräterregime" bezeichnet und die Tiso-freundlichen Milizen als "Schergen" tituliert.

Beneš sah in Tiso eine Gefahr für den "Tschechoslowakismus" mit dem Anspruch auf einen einheitlichen "tschechoslowakischen" Staat. Entsprechend soll er bei der Erörterung eines möglichen Gnadenerweises für den verurteilten Tiso gesagt haben: "Es gibt keinen Platz für zwei Präsidenten." Für Stalin war Tiso dagegen in erster Linie ein "ideologischer Todfeind" und lästiger Zeitzeuge. Als katholischer Priesterpräsident gehörte er in seinen Augen zu den "papistischen Statthaltern der römischen Kirche", die seinen Expansionsplänen nach Mitteleuropa im Wege standen. Zudem erinnerte Tiso an Stalins außenpolitischen Opportunismus, da die Sowjetunion als einer der wenigen Staaten die Slowakei völkerrechtlich anerkannt hatte. Ihr Berliner Botschafter hatte am 16. September 1939 "im Auftrag des Rates der Volkskommissare" bekanntgegeben, "daß die Regierung der UdSSR die slowakische Regierung de facto und de jure" anerkenne. Drei Wochen zuvor war bekanntlich Stalin seine Allianz mit Hitler eingegangen und wenige Stunden danach, am 17. September 1939, mit seiner Roten Armee in Polen eingerückt.

Die spätere Teilnahme slowakischer Soldaten am deutschen Rußlandfeldzug und Beneš' Kooperationsbereitschaft mit Moskau machten dann aus dem bisherigen "Vorsitzenden des Slowakischen Staates" einen "klerikal-faschistischen Hitler-Quisling", den es zu vernichten galt. Außer im Vatikan hatten sich auch in den Vereinigten Staaten fürbittende Stimmen zu Wort gemeldet.

Gegen den Zentralstaat mit tschechischer Vorherrschaft

Tiso bekannte sich vor Gericht zu seinem Handeln. Wörtlich führte er am 18. März 1947 vor dem Preßburger "Volksgerichtshof" aus: "Wenn mir Gelegenheit geboten würde, wieder aktiv zu sein, und wenn die Bedingungen die gleichen wären wie in den Jahren 1938 bis 1945, würde ich die gleiche Politik wie damals führen." Er fügte hinzu, daß er in der Politik immer in erster Linie als Geistlicher gehandelt habe und daher auch als solcher beurteilt werden sollte. Er bestritt auch die Gesetzmäßigkeit des Gerichts, indem er geltend machte, daß das Prozeßverfahren erst nach dem Krieg festgesetzt worden sei, während die ihm zur Last gelegten Taten zu einer Zeit begangen worden seien, "als die Gesetze der alten Tschechoslowakei und des Slowakischen Staates in Kraft waren". Vier Wochen nach diesem Bekenntnis fällte das Preßburger "Volksgericht" am 15. April 1947 sein Urteil: Tod durch den Strang. Der alsbald erfolgte Vollzug des Richterspruchs war den meisten Zeitungen vor sechzig Jahren nicht einmal eine Zeile wert. So sehr schien Jozef Tiso vom einst anerkannten Staatsführer zur politischen Unperson geworden zu sein.

Sein politisches Anliegen, das slowakische Volk aus der Bevormundung der Tschechen zu lösen und zur staatlichen Selbständigkeit zu führen, war jedoch mit seinem Tod nicht gestorben, vielmehr erfüllte es sich 46 Jahre später, im Januar 1993 - zugleich auch die späte Erfüllung eines frommen Wunsches, den am 24. Februar 1945 ein Ordensmann an die Adresse der Roosevelt-Tochter Anna Boetänger gerichtet hatte. Seinen Bittbrief fanden kürzlich Mitarbeiter der Zeitgeschichtlichen Forschungsstelle Ingolstadt (ZFI) in der Roosevelt Library zu Hyde Park im Staat New York. In ihm beschwor der slowakisch stämmige Benediktinerpater John Zeman die Adressatin, ihren Vater von einer erneuten Anerkennung der "Tschecho-Slowakei" abzuhalten und für den Gedanken einer unabhängigen Slowakei zu gewinnen. Der Ordensgeistliche machte der Präsidententochter deutlich, daß es kein "tschechoslowakisches" Volk gebe, sondern nur Tschechen und Slowaken, die aus Prag beherrscht würden. Dabei prangerte er besonders die Politik des "tschechoslowakischen" Staatspräsidenten Edvard Beneš an und stellte sie in die gleiche antislowakische Front, wie sie Moskau verfolge. Beide befürworteten nach Meinung Pater Zemans einen monolithischen Zentralstaat und suchten die tschechische Vorherrschaft zu zementieren. Seine Befürchtungen sollten sich bekanntlich nach dem Krieg alsbald als zutreffend herausstellen.

Ermutigt wurde Pater Zeman zu seiner schriftlichen Intervention im Weißen Haus von einem anderen slowakischstämmigen Geistlichen, der in den Vereinigten Staaten gleichfalls für die Unabhängigkeit seines Heimatlandes eintrat: Monsignore Francis Dubosh. Er leitete die Slowakische Liga Amerikas. Der in Cleveland/Ohio lebende Dubosh widmete sich besonders der Aufklärungsarbeit aber Volk und Geschichte der Slowaken, um die amerikanische Öffentlichkeit für die Anliegen seiner Landsleute in der Heimat zu gewinnen.

Zu ihrer Zeit konnten Zeman und Dubosh zwar wenig bewirken. Im übrigen hatte sich Pater Zeman ungewollt selber eine günstige Aufnahme seiner Bitte im Weißen Haus erschwert. Er legte nämlich in frommer Absicht zwei eigenhändig geweihte "Jubiläumsmedaillen des heiligen Benedikt" für die Präsidententochter bei und erklärte, daß diese Medaillen auf dem Monte Cassino, "dem altehrwürdigen Kloster, das amerikanische Truppen vor einem Jahr in Italien zerstört haben", gemacht worden seien

Foto: Jozef Tiso mit Reichsaußenminister Joachim Rippentrob, Berlin 1940: Tschechen und Slowaken


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