© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/07 20. April 2007

Zeitschriftenkritik: Kritische Ausgabe
Mörder tragen immer Schlips
Werner Olles

Die im 10. Jahrgang zweimal jährlich mit einer Auflage von 850 Exemplaren erscheinende "Kritische Ausgabe - Zeitschrift für Germanistik & Literatur" begann 1997 als Fachschaftszeitung am damaligen Germanistischen Seminar der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Herausgegeben werden die jeweils themengebundenen Hefte vom Verein der Freunde und Förderer der "Kritischen Ausgabe" e.V.

Nach einem Jahr Abwesenheit vom Literaturmarkt hat sich die Zeitschrift nun mit einem 166 Seiten umfassenden aktuellen Heft zurückgemeldet, das sich in seinem Thementeil aus literaturwissenschaftlicher und -kritischer Sicht ausführlich den verschiedenen Facetten des Begriffs "Verbrechen" widmet. Daneben gibt es erstmals einen Sonderteil unter dem Titel "Kritik der Gegenwart" und wie gewohnt einen großen Literaturteil, Rezensionen, Autorenportraits und eine neue Folge der Serie "Vergessene Autoren des 20. Jahrhunderts".

Wolfgang Delseit stellt den "Instinktschriftsteller" Josef Winckler (1881-1966) vor, der sich 1919 aktiv an der Gründung der Künstlergruppe "Der weiße Reiter" beteiligte, zu der sich katholische Schriftsteller und Maler zusammenschlossen. Zwei Jahre später gründete er den "Gau Rheinland" im Schutzverband Deutscher Schriftsteller. Winckler, der mit dem volkstümlich-anekdotischen Roman "Der tolle Bomberg" seinen größten literarischen Erfolg feierte, hoffte als regional und religiös gebundener Heimatdichter auf Anerkennung der Nationalsozialisten, die jedoch ausblieb. Immerhin erlaubte man ihm 1943, seine jüdische Frau in die Schweiz ausreisen zu lassen. Nach dem Krieg engagierte er sich im Westdeutschen Autorenverband und in der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.

Über die Unterschiede und prinzipiellen Gemeinsamkeiten zwischen "Action novel" und pointiertem Detektivroman schreibt Ingo Piess. Tatsächlich erfreut sich keine literarische Gattung größerer Beliebtheit als der Krimi, selbst die Produktion von Klischees - die Schurken sind zumeist Professoren, Doktoren, Wirtschaftsbosse etc. - tut dem keinen Abbruch. Offenbar verkaufen sich kleinbürgerliche Übeltäter weniger gut. Aus systemtheoretischer Sicht befaßt sich hingegen Oliver Ruf mit Friedrich Dürrenmatts Kriminalgeschichten. Das Werk dieses "Klassikers der Moderne" stehe "zwischen Höhenkamm- und Trivialliteratur", da der Schweizer Autor "hohes literarisches Niveau und verpönte literarische Kategorie" in Einklang zu bringen suche. Dürrenmatts Œuvre sei insofern "interpretationsfähig und interpretationsbedürftig", weil seine Kriminalromane die Perspektive auf einen weit gespannten literaturhistorischen Horizont öffnen.

Am Beispiel des Romans "Das Versprechen" beschreibt der Autor, wie Dürrenmatt aus dem ermittelnden Kommissar Matthäi einen Kriminalpsychologen macht, der am Tatort als einziger genau hinschaut und später in Kommunikation mit dem Mörder der kleinen Mädchen tritt, obwohl er bis dahin nichts von ihm weiß. Daß er am Ende dennoch scheitert, weil der Täter zufällig bei einem Autounfall stirbt, ist die eigentliche Tragik der Geschichte.

Anschrift: Institut für Germanistik, Vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaft, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität, Am Hof 1d, 53113 Bonn. Einzelpreis 3,50 Euro. Weltnetz: www.kritische-ausgabe.de


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