© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/07 20. April 2007

Wahlkampf im politischen Testlabor
Bürgerschaftswahl: Beim Urnengang am 13. Mai steht die seit 1995 in Bremen regierende Große Koalition auf der Kippe
Josef Hämmerling

Die Städte Bremen und Bremerhaven haben zusammen nur rund 664.000 Einwohner. Aber dennoch schaut am 13. Mai ganz Deutschland auf diesen Stadtstaat: Denn hier finden die einzigen Landtagswahlen des Jahres statt.

Von daher werden sie, allen gegenteiligen Beteuerungen zum Trotz, von den Parteien als bundespolitisches Stimmungsbarometer gewertet - zumal besonders beherrschende lokale Themen fehlen. Zudem hat sich Bremen in der Vergangenheit aufgrund seiner Bevölkerungsstruktur stets als Art Testlabor für die politische Entwicklung in Deutschland herausgestellt. Dort gelang den Grünen 1979 erstmals der Einzug in ein deutsches Landesparlament, und 1991 kam es in Bremen - neben der Ampelkoalition in Brandenburg zwischen 1990 bis 1994 - zur bislang einzigen Koalition aus SPD, FDP und Grünen, die aber nur vier Jahre hielt.

Obwohl in Bremen traditionell keine Umfrageergebnisse veröffentlicht werden, will die Welt die neuesten intern in Auftrag gegebenen Umfragewerte erfahren haben. Danach kommt die SPD auf rund 35 Prozent der Stimmen, die CDU auf etwa 25 Prozent, und die Grünen liegen bei 15 Prozent. Damit ist sowohl eine Fortsetzung der bisherigen Großen Koalition möglich als auch eine rot-grüne Koalition, worauf besonders die Grünen hinarbeiten, die endlich wieder in einem Landesparlament Regierungsverantwortung übernehmen wollen.

Und angesichts des starken linken SPD-Flügels in dem norddeutschen Stadtstaat erwartet Lothar Probst, Politikwissenschaftler der Universität Bremen, dann auch einen Regierungswechsel, sollten sich die Umfrageergebnisse bewahrheiten. Chancen auf einen Einzug in den Bremer Senat haben aber auch die Linkspartei, die seit zwölf Jahren bedeutungslose FDP sowie die konservative Wählerinitiative "Bremen muß leben". Die Gruppierung des Journalisten Joachim Siegerist hofft auf enttäuschte konservative CDU- und SPD-Wähler und hat in den vergangenen Wochen bereits einiges Aufsehen erregt (JF 10/07). In einer Vorwahlanalyse der Universität Bremen wurde der Partei unlängst attestiert, sie könne am Wahlabend für eine Überraschung sorgen.

Nach dem plötzlichen und unerwarteten Tod des Ehefrau des Bremer SPD-Spitzenkandidaten und Bürgermeisters Jens Böhrnsens, Luise Morgenthal, ist der Wahlkampf in den vergangenen Wochen vor sich hingedümpelt, da alle Parteien stillschweigend ein Friedensabkommen schlossen. Nun nimmt der Wahlkampf in dem Zweistädtestaat aber wieder Fahrt auf.

Dabei läutete Böhrnsen, der am 8. November 2005 Nachfolger von Henning Scherf wurde und nunmehr erstmals als Spitzenkandidat der SPD antritt, mit der Forderung nach einem Mindestlohn von 7,50 Euro pro Stunde den heißen Wahlkampf ein. Auch die geplante Unternehmensteuerreform will die SPD im Bundesrat nicht mittragen. "Mit mir als Bürgermeister wird Bremen dieser Unternehmensteuerreform so nicht zustimmen", sagte Böhrnsen dem Tagesspiegel am Sonntag. Zwar sei auch die Bremer SPD für ein modernes Unternehmensteuerrecht in Deutschland, die von Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) vorgelegte Reform stelle jedoch nicht sicher, daß die "soziale Balance gewahrt" werde.

Für den Spitzenkandidaten der CDU, Thomas Röwekamp, gleichzeitig Innensenator und stellvertretender Regierungs­chef, ist dagegen die Fortsetzung der seit 1995 bestehenden und damit ältesten Großen Koalition in Deutschland das Hauptziel seiner Partei. Auch er sprach sich für einen Mindestlohn von 7,50 Euro aus. Dieser soll aber über einen Kombilohn erzielt werden, bei dem die Arbeitgeber nach Tarif bezahlen und der Staat den Rest aufstocke. Unter dem Motto "Kleine Bürger brauchen große Sicherheit" spricht sich die CDU in Bremen zudem für eine verstärkte kinderfreundliche Politik aus. Dort, wo Eltern ihre Fürsorgepflicht und Erziehungsverantwortung nicht ausfüllen könnten oder wollten, müsse der Staat mit umfassenden Hilfemaßnahmen eingreifen.

Die Grünen, die erstmals seit 1995 wieder in Bremen Regierungsmitverantwortung übernehmen wollen, werben für eine "neue Bürgerbewegung für Klimaschutz und ökologische Gerechtigkeit". Klimaschutz erfordere eine "Ökologisierung unserer Lebensstile", heißt es in einem am 14. April auf dem Grünen-Länderrat in Bremen einstimmig verabschiedeten Leitantrag des Parteivorstandes. Darin fordert die Oppositionspartei unter anderem ein Moratorium zum Bau von Kohlekraftwerken und ein generelles Tempolimit von 120 Stundenkilometern auf Autobahnen. Ferner sollen Gebäudeneubauten ab sofort Niedrig-und Nullenergiehausstandards erreichen müssen und der Gebäudebestand von 2030 saniert werden.

Die FDP, die 2003 nur deshalb in die Bürgerschaft kam, weil sie in Bremerhaven die Fünf-Prozent-Hürde übersprang, fordert eine drastische Änderung in der Finanzpolitik. So kritisierte Spitzenkandidat Magnus Buhlert, daß die Schulden Bremens in den vergangenen Jahren um mehr als fünf Milliarden Euro auf rund 14 Milliarden Euro gestiegen sind. Und das, obwohl das Land in den letzten zehn Jahren rund 8,5 Milliarden Euro an Bundeshilfen erhalten und 1,75 Milliarden Euro aus Vermögensveräußerungen eingenommen habe. Gleichzeitig sei die Arbeitslosigkeit auf ein Rekordniveau gestiegen.

Die Linkspartei hofft auf sieben Prozent der Stimmen und damit auf den erstmaligen Einzug in ein westdeutsches Landesparlament, steht aber nach eigener Ankündigung für eine Koalition nicht zur Verfügung.

Auf einen erneuten Einzug in das Parlament hofft auch die DVU, die bislang mit einem Abgeordneten in der Bürgerschaft vertreten ist. Insgesamt bewerben sich dreizehn Parteien und Wählervereinigungen um die 83 Sitze in der Bürgerschaft. Während "Bremen muß leben", sowohl in Bremen als auch in Bremerhaven antritt, konzentrieren sich die Republikaner auf die Stadt Bremen.

2003 schafften fünf Parteien den Sprung in die Bürgerschaft: die SPD mit 40 Abgeordneten, die CDU (29 Abgeordnete) und die Grünen mit zwölf. Je einen Abgeordneten stellten durch den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde in Bremerhaven die FDP und die DVU.


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