© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/07 13. April 2007

Politisches vom "übelsten Menschen der Welt"
Marco Pasis Analysen aus dem ideologischen Irrgarten des Okkultisten Aleister Crowley, der auch politisch gern gegen den Strich bürstete
Dominik Tischleder

Aleister Crowley (1875-1947) ist in der heutigen Esoterikszene sicher nicht der Guru mit den meisten Anhängern, dennoch dürfte er wohl der Okkultist des 20. Jahrhunderts sein, dessen Mythos über den engen Kreis der Anhänger hinaus am nachhaltigsten ausstrahlt. Speziell die Hippies der späten 1960er Jahre und damit die Welt des Rock und Pop, darunter auch die Beatles, sonnen sich bis heute im düsteren Glanz der Geschichten, die sich um Crowley und sein abenteuerliches Leben ranken. Diese mythische Verbrämung setzte schon zu Lebzeiten ein, die Boulevardpresse titulierte ihn als "übelsten Menschen der Welt", und Crowley selbst stilisierte sich in Anlehnung an die Apokalypse des Johannes als "das Große Tier".

Weitere Nahrung erhält der Mythos Crowley durch den Inhalt seiner Lehre, die nur so strotzt vor Sex, markigem Nietzscheanismus, antichristlichem Furor und einer Art Individualanarchismus. Gleichzeitig will sie aber auch vor allem eine strenge antihedonistische Mystik sein. Crowley verstand sich selbst als Prophet einer neuen "New Age"-Religion: Diese sollte das schwach gewordene Christentum ersetzen, dessen Gott er als Statthalter eines nun vergangenen Äons verspottete. Eine Gesellschaftsordnung, die von seiner Religion durchdrungen wäre, bezeichnete er einmal als "aristokratischen Kommunismus", und in einem kanonischen Text heißt es: "der Mensch hat das Recht, nach seinen eigenen Gesetzen zu leben", und andererseits: "die Sklaven sollen dienen" Das erklärt sicher nicht viel, und so finden sich seine Anhänger auch in allen denkbaren politischen Richtungen verstreut.

Nun ist mit "Aleister Crowley und die Versuchung der Politik" aus der Feder des italienischen Religionswissenschaftlers Marco Pasi im Ares-Verlag erstmalig eine gründliche Studie zur Frage des "politischen" Crowley erschienen. Das Buch erschien im Original bereits 1999 und beruht auf einer Dissertation des Autors. Crowley, so legt die Lektüre nahe, war auf eine zynische Weise "links", er befürwortete die Zerstörung alles Traditionellen, damit in das so geschaffene Vakuum seine Religion den Platz einnehmen könne, den die Kirche nicht mehr auszufüllen imstande war. Crowley war, und das ist nach einer Vielzahl von Biographien über diesen Mann sicher keine neue Erkenntnis, krankhaft größenwahnsinnig. So proklamierte er, daß dem Staat eine Weltmachtstellung zufließen werde, der zuerst seine Offenbarungsschrift das "Buch des Gesetzes" zur Staatsdoktrin erklärt.

Pasi beschreibt chronologisch-biographisch die Geschichte der versuchten Einflußnahme Crowleys auf verschiedene politische Bewegungen. Sehr deutlich wird hier der pragmatische Zug in seinem Denken, dessen Grundlage ein unerschütterlicher Glaube an die eigene messianische Auserwähltheit war. Ob Faschismus, Bolschewismus oder Nationalsozialismus, Crowley war das inhaltlich egal, solange ihre Führer Mussolini, Stalin und Hitler seine Offenbarung zur Grundlage ihrer Politik erklären.

Dafür kämpfte er mit Hilfe eines erstaunlich weitläufigen Netzes von Anhängern: Über den Deutsch-Amerikaner George S. Viereck (1884-1962), für dessen Propagandazeitung The Fatherland er bereits im Ersten Weltkrieg prodeutsche Artikel verfaßte, versuchte Crowley Kontakt zur nationalsozialistischen Elite aufzunehmen. (Vierecks Sohn Peter Viereck, der im Mai letzten Jahres starb, schrieb 1941 für die amerikanische Öffentlichkeit die erste Studie über die deutsche Konservative Revolution aus konservativer Sicht - "Metapolitics", New York 1941.) Ebenso plante er, über den bekannten, kaum verhehlt prokommunistischen Rußlandkorrespondenten der New York Times, Walter Duranty (1884-1957), Stalin einen Ritus seiner Religion anzuempfehlen. Alle Versuche scheiterten, wie vorher auch schon seine Sympathien gegenüber Mussolini in Haß umschlugen, als dieser sich dem Vatikan öffnete und ihn obendrein aus Italien ausweisen ließ.

Im verletzten Stolz verfaßte er nun Spottgedichte auf die "Schwarzhemden" und diente sich dem britischen Geheimdienst an, behilflich war ihm hier Ian Fleming (1908-1964), der genau wie seine später entworfene Romanfigur James Bond im Dienste seiner Majestät tätig war. An der Stelle wird nun von ganz unerwarteter Seite die These des Würzburger Historikers Rainer F. Schmidt gestützt, der zufolge Rudolf Heß seinen rätselhaften Schottlandflug auch deshalb antrat, weil er vom britischen Geheimdienst gelockt wurde. Heß, der astrologiegläubig war, ließ sich den 10. Mai 1941 von einer schweizerischen Astrologin errechnen, die von den Briten gekauft war. Pasi, der sich hier auf die Biographie eines weiteren Geheimdienstmitarbeiters beruft, behauptet nun, Crowley - der auch ein renommierter Astrologe war - hätte ursprünglich diese Rolle übernehmen sollen. Daß der britische Geheimdienst mit solchen "okkulten" Tricks arbeitete, ist bekannt, der seriöse Forscher esoterischer Strömungen Ellic Howe, der einst selbst im Dienste Londons tätig war, berichtet darüber in "Astrology and psychological warfare during World War II" (1972).

Pasis Studie krankt ein wenig an seinem Gegenstand: Sofern er nicht besonders an Crowleys abenteuerlichem Leben interessiert ist, fragt sich der unbedarfte Leser unweigerlich, warum "die politischen Ansichten" eines offenbar stark narzißtisch veranlagten "Okkultisten", der vor Gericht Schwierigkeiten hatte, eine hinreichende Anzahl von Personen aufzutreiben, die seinen tadellosen Charakter bestätigen konnten, eigentlich von Belang ist. Ähnlich dürfte auch Pasi selbst gedacht haben, zumindest erweitert er das Thema an einigen Stellen erheblich, indem er auch die politische Biographie einiger Prominenter nachzeichnet, die nachweislich in enger Verbindung zu Crowley standen.

Einer dieser alten Bekannten war der General John F. C. Fuller (1878-1966), später einer der bedeutendsten Militärhistoriker und enger Mitarbeiter des britischen Faschistenführers Oswald Mosley, ein weiterer, Tom Driberg (1905-1976), Exponent des linken Parteiflügels der Labour Party, der es 1957 für ein Jahr auch zum Vorsitzenden schaffte. Ein weiteres Kapitel widmet Pasi der Freundschaft zwischen Crowley und dem bedeutenden portugiesischem Schriftsteller und Dichter Fernando Pessoa (1888-1935). Dieses dürfte dann auch für die Pessoa-Forschung einige Neuerungen aufweisen, denn erst nach und nach wird entdeckt, daß Pessoa neben seinem dichterischem Werk auch eine Vielzahl politischer und esoterischer Schriften hinterlassen hat, die ihn als radikal antidemokratischen Denker mit stark messianistischen Zügen ausweisen, selbst die berüchtigten "Protokolle der Weisen von Zion", die eine "Verschwörung" des "Internationalen Judentums" beweisen sollten, gedachte er zu übersetzen. Durch Erschließung bisher unbekannter Quellen kommt Pasi zu der Vermutung, daß möglicherweise Pläne bestanden, Pessoa eine portugiesische Sektion des Ordo Templi Orientis, des "sexualmagischen" Ordens, dem Crowley ab 1912 vorstand, anzuvertrauen.

Abgerundet wird das Buch durch ein Kapitel, welches die Vorbehalte der sogenannten "Tradition", das heißt von Denkern wie René Guénon oder Julius Evola, gegenüber Crowley thematisiert. Der renommierte Evola-Forscher Hans Thomas Hakl, der auch ein Vorwort beisteuert, ergänzt dies noch durch eine eingehendere Betrachtung des durchaus schillernden Verhältnisses zwischen beiden Männern. Schlußendlich untersucht Hakl noch die Beziehung Evolas zu deutschen Stahlhelm-Kreisen, was endgültig vom Thema wegführt, aber nichtsdestotrotz interessant ist.

Dem nicht explizit an Crowley interessierten Leser bleibt die Methode des "Gegen-den-Strich-Lesens", war Crowley doch ein Paradebeispiel eines Décadent, der eine antichristliche "Revolution des Nihilismus" (Hermann Rauschning) ausdrücklich wollte und mit einem umspannenden Netz von Freunden erschreckend konsequent an seinen Zielen arbeitete. Heute ist Crowleys Bild längst zu einer Chiffre eines allgemeinen Rebellentums geworden, die kontinuierlich ihre Reize im Pop und Rock entfaltet.

Marco Pasi: Aleister Crowley und die Versuchung der Politik. Ares Verlag, Graz 2006, gebunden, 335 Seiten, Abbildungen, 24,90 Euro


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