© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/07 13. April 2007

Von Exzentrik umwittert
Hochstapler, Außenseiter, Genie: Erich von Stroheim im Filmmuseum Potsdam
Martin Lichtmesz

Die heroische Ära der Pioniere des frühen Kinos ist an legendenumwobenen Gestalten nicht gerade arm. Aber wenige können es mit dem Mythos aufnehmen, der sich schon zu Lebzeiten um den österreichischstämmigen US-Regisseur und Schauspieler Erich von Stroheim (1885-1957) rankte. Zu seinem 50. Todestag präsentiert das Filmmuseum Potsdam bis 13. Mai 2007 eine Ausstellung mit filmhistorischen Schätzen aus dem Nachlaß des Regiegiganten, die noch nie zuvor zu sehen waren. Parallel dazu läuft eine Retrospektive seiner Filme.

Stroheims Leben ist erst in den letzten zwei Jahrzehnten von dem Gestrüpp der romantischen Legendenbildung befreit worden, deren Wuchern er selbst nachhaltig beförderte. Seriöse Lexika führen zum Teil bis heute "Erich Oswald Carl Maria Stroheim Freiherr von Nordenwald" oder ähnlich schillernde Titel fälschlich als "richtigen" Namen des Regisseurs. Der 1909 in die USA eingewanderte Wiener inszenierte sich als ehemaliger adeliger Offizier, den dramatische Verstrickungen ("Weibergeschichten und Schulden") zur Emigration gezwungen hätten. Das war freilich nur der pittoreske Hintergrund eines größeren Mythos: Am Ende seines Lebens galt Stroheim als überragende, aber gescheiterte Figur der Stummfilmzeit, als genialer Künstler, den Kommerz, bigotte Moral und Banausentum ruiniert hatten.

In Wirklichkeit wurde er als Erich Oswald Stroheim am 22. September 1885 als Sohn eines aus Schlesien stammenden jüdischen Kaufmannes geboren. Er diente kurzfristig in der k.u.k. Armee, mußte aber bald die Hoffnung auf eine Karriere beim Militär aufgeben. Stroheim war zeitlebens von Uniformen aller Art geradezu besessen und schrieb sich selbst oft aristokratische Offiziersrollen auf den Leib. In den USA schlug er sich wie viele Emigranten mit einer Vielfalt an Gelegenheitsjobs durch. Ab 1914 war Stroheim als Stuntman und Statist in Hollywood tätig. Als die USA in den Ersten Weltkrieg eintraten, machte Stroheim Karriere als "preußischer Hunne", ein teutonisches Monster, das in Hetzfilmen Frauen schändete und Kleinkinder mordete. Die Plakate bewarben ihn als "The Man You Love to Hate", als den "Mann, den zu hassen Spaß macht".

1919 debütierte Stroheim als Regisseur und Autor. In "Blind Husbands" (Blinde Ehemänner) übernahm er zusätzlich die seinem Image entsprechende Rolle des uniformierten Lüstlings, stattete sie jedoch mit größerer Komplexität und subtiler Erotik aus. Dank des großen Erfolges des Filmes hatte Stroheim für sein nächstes Projekt carte blanche bei Universal-Chef Carl Laemmle. In "Foolish Wives" (Närrische Ehefrauen, 1921) spielte Stroheim einen lasziven Hochstapler und Glücksspieler, der sich in Monte Carlo als weißrussischer Emigrant ausgibt. Stroheim drehte wie ein Besessener, forderte immer neue Extravaganzen, bis die Kosten explodierten und Laemmles Geduld am Ende war.

Das Schicksal von "Foolish Wives" sollte symptomatisch für Stroheims Regiekarriere werden: Als der Film in die Kinos kam, hatten ihn massive Schnitte des Studios und der Zensur geradezu verstümmelt. Fortan sollte kein Stroheim-Film mehr ungeschoren davonkommen. Die Produzenten verlangten Kürzungen, brachen die Dreharbeiten ab, ließen andere Regisseure ganze Sequenzen neu drehen. Die Folge ist, daß Stroheims Werk heute nur noch als geniale Ruine überliefert ist - eine Ruine allerdings, deren Einfluß auf die Filmkunst kaum zu unterschätzen ist.

Schuld an dieser Zerstörung trugen jedoch nicht allein die bornierten Bosse der Studios. Stroheims künstlerische und menschliche Maßlosigkeit, sein fanatischer Perfektionismus und nicht zuletzt seine Vorliebe für grausame und tabuisierte Sujets führten zwangsläufig zur Kollision mit Geldgebern, Publikum und Sittenwächtern. Was dabei verlorengegangen ist, kann man nur erahnen.

Die detailgetreue Verfilmung des sozialkritischen Romans "McTeague" von Frank Norris unter dem Titel "Greed" (Gier nach Geld, 1923), die einen ungekannten und gnadenlosen Realismus einführte, soll in ihrer Urfassung satte acht Stunden lang gewesen sein; MGM kürzte den Film auf knapp zwei Stunden herab. Doch selbst dieser Torso zählt zu den gewaltigsten Meisterwerken des Kinos. Das gilt auch für "The Wedding March" (1926), in dem Stroheim das dekadente k.u.k. Wien seiner Jugend ambivalent verklärte. Die romantisch-nostalgischen Szenen des Films werden durch einen giftigen Sarkasmus gebrochen. Zynische Aristokraten und gemütlich-brutale Proleten wie aus einem Stück von Ödön von Horvath bevölkern Stroheims barocken Totentanz, in dem Glanz und Ekel, Luxus und Verwesung, Realismus und Karikatur eng miteinander verknüpft sind.

Die Mühlen des Showbusiness hatten Stroheim auch im realen Leben tief erniedrigt. Nach Scheitern seiner Regiekarriere mußte er sich erneut in zweit- bis drittklassigen Filmen als eindimensionaler Bösewicht verdingen. Seine unvergeßliche Leistung als (endlich positiv gezeichneter) deutscher Offizier in Jean Renoirs "La grande illusion" (Die große Illusion, F 1937) blieb die Ausnahme. Renoir verstand es, Stroheims magnetische Leinwandpräsenz optimal in Szene zu setzen, und ließ ihm zusätzlich freie Hand in der Gestaltung der Rolle.

Im Anschluß arbeitete Stroheim vor allem in Frankreich als Schauspieler. Wie in Wien und Hollywood blieb er auch dort ein - nunmehr von Tragik und Exzentrik umwitterter - Außenseiter. Er starb am 12. Mai 1957 in seiner schloßähnlichen Villa in Maurepas.

Die Ausstellung "Dieses Scheusal Stroheim!" - Der Regisseur und Schauspieler Erich von Stroheim" ist bis zum 13. Mai im Filmmuseum Potsdam täglich von 10 von 18 Uhr zu sehen.

Foto: Erich von Stroheim bei Dreharbeiten: Im Ersten Weltkrieg machte er Karriere als "preußischer Hunne"


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