© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/07 13. April 2007

Früher Deutschland, heute China
Wirtschaftspolitik: Es gibt einige Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Wirtschaftswunderländern / Pionierrolle des Exports
Wilhelm Hankel

Wirtschaftswunder hat es schon viele gegeben. Gemeinsam ist ihnen nur eines: daß sie mehr bestaunt als analysiert werden. Das trifft auf das deutsche Wirtschaftswunder zu und auf dasjenige, das seit zwei Jahrzehnten in der Volksrepublik China abläuft.

In beiden Fällen hat der Übergang von einer verkrusteten Bürokratenwirtschaft zu einer offenen Marktökonomie eine Explosion von privaten Initiativen ausgelöst. Stand am Anfang von Ludwig Erhards legendärer Sozialer Marktwirtschaft die Aufhebung der Bezugsscheinwirtschaft und die Freigabe der Preise, war es in China Deng Xiao Pengs "konterrevolutionärer" Beschluß, die Kollektivierung der Landwirtschaft zu beenden und den Bauern das Land zur Bewirtschaftung zurückzugeben.

Fast über Nacht entledigte sich China seines ältesten Drachen, der sich periodisch wiederholenden Hungersnöte. Doch das Reich der Mitte hat nur eine begrenzte Agrarfläche: das fruchtbare Land zwischen den beiden großen Flüssen Hoangho im Norden und Jangtsekiang im Süden. Dieses Land muß intensiv bewirtschaftet werden, um die Bevölkerung ausreichend zu ernähren. Auch die Bundesrepublik mußte sich nach ihrer Gründung von der Last übermäßiger Nahrungsmitteleinfuhren befreien. Das renommierte Kieler Weltwirtschaftsinstitut befand damals, der junge Staat sei nicht "lebensfähig", weil er diese Importe nicht bezahlen könne.

Alterung der Bevölkerung ist die "natürliche" Hypothek

Die zweite Gemeinsamkeit zwischen den "Wundern" in Deutschland und China liegt in der Leistung der Bauwirtschaft. Hier mußte aus Ruinenstädten eine neue Wohnlichkeit geschaffen werden; die Glitzerpaläste der Kaufhäuser und Hochfinanz kamen später. In der Volksrepublik haben sich die historischen Provinzhauptstädte in moderne Chicagos und Hochhaussiedlungen verwandelt, durchzogen von autobahn­ähnlichen Magistralen - mit einem Bauvolumen, das an das der Großen Mauer heranreicht. Freilich: Wer es wie finanziert, ist selbst Finanzfachleuten ein Rätsel.

Die dritte Gemeinsamkeit liegt in der Pionierrolle der Exportwirtschaft. Das chinesische Wirtschaftswachstum ist wie früher und heute noch das deutsche "exportgeführt". Dengs Nachfolger haben die Exportkapazität des Landes systematisch ausgebaut und in den Freihandelszonen um Shanghai, Shenzen und Hongkong konzentriert; hier schlägt das Herz des modernen marktorientierten China. Vorbei sind die Zeiten, da das Land Seidentextilien, Räucherstäbchen und Feuerwerkskörper exportierte; es beliefert den US-Markt mit modernsten High-Tech-Geräten sowie dem Neuesten der Computerbranche.

Und ein Ende des Wunders, ist es in Sicht? Deutschland hat sich mit der Vernichtung der Arbeitsplätze in den neuen Ländern und der Hergabe der D-Mark für den Euro zwei Stricke um den Hals gelegt, die sein wirtschaftliches Wachstum strangulieren und seiner Finanz- und Wirtschaftspolitik die Atemluft nehmen. Chinas "natürliche" Hypothek ist der unaufhaltsame Alterungsprozeß seiner Bevölkerung. Seine strukturelle Schwachstelle ist das Fehlen eines leistungsfähigen Finanzmarktsystems. Schon in wenigen Jahren muß das Land 400 Millionen Rentner versorgen - doch wie? Die konfuzianische Großfamilie löst sich auf, ein sie ersetzendes Sozialsystem ist nicht in Sicht.

Chinas exorbitant hohe Ersparnis findet keine Verwertung in Kredit- und Geldvermögensbildung. Das Land spart "bar". Chinas Währungsreserve, die größte der Welt, ist "totes Kapital" - sie steigert weder Produktion noch die Zahl der Arbeitsplätze oder die reale Kaufkraft der Chinesen, ihr Anstieg heizt einzig und allein die Inflation. Chinas Führung muß das wahre Erfolgsgeheimnis des Kapitalismus erst noch ergründen: die Umwandlung staatlichen Volksvermögens in privates.

 

Prof. Dr. Wilhelm Hankel lehrt seit 1967 Währungspolitik an der Universität Frankfurt am Main. Er beriet die chinesische Regierung und lehrte auch an der Universität Chengdu.


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