© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/07 13. April 2007

"Gebt mir eure Armen, eure geknechteten Massen"
USA: Die Debatte über die illegale Einwanderung hält unvermindert an / Recht und Gesetz müssen endlich strikt eingehalten werden
Burnell F. Eckardt jr.

Als George W. Bush im März zum Abschluß seiner Zentralamerikareise in Mexiko-Stadt Station machte, spottete sein mexikanischer Amtskollege Felipe Caldéron, der geplante Zaun entlang der 3.200 Kilometer langen gemeinsamen Grenze erinnere ihn an die Berliner Mauer. In Wirklichkeit ist genau das Gegenteil der Fall. Denn die SED-Führung ließ die Mauer errichteten, um die DDR-Bürger ein- und nicht auszusperren.

An ihrer Südgrenze haben die USA mit einem massiven illegalen Einwanderungsproblem zu kämpfen. Schon jetzt leben über zehn Millionen Menschen ohne Aufenthaltserlaubnis in den USA. Jährlich kommt nach Schätzungen des Washingtoner Forschungszentrums Pew Hispanic Center fast eine halbe Million hinzu. Und welche zivilisierte Gesellschaft hat zudem jemals die Integrität ihrer Grenzen mißachtet? Oder ihre eigenen Gesetze ignoriert, nur um einer absurden Vorstellung nachzugeben, daß die Bürgerrechte illegal eingewanderter Ausländer verletzt würden, wenn strengere Maßnahmen gegen sie ergriffen würden?

Ebendies aber behaupten linke Aktivisten, die in der Einwanderungsdebatte eine Gelegenheit sehen, sich für die Unterprivilegierten einzusetzen, die auf der Suche nach einem besseren Leben in die USA kommen. Sie berufen sich dabei auf das Gedicht von Emma Lazarus, dessen Zeilen die New Yorker Freiheitsstatue zieren: "Gebt mir eure Müden, eure Armen, eure geknechteten Massen, die frei zu atmen begehren, den elenden Unrat eurer gedrängten Küsten; Schickt sie mir, die Heimatlosen, vom Sturme Getriebenen, hoch halt' ich mein Licht am gold'nen Tore!"

Illegale Einwanderung kostet 20 Milliarden Dollar pro Jahr

Von Illegalen und ihren Schleusern, die skrupellos gegen Gesetze verstoßen und ungestraft davonkommen, ist dort freilich keine Rede. Laut Angaben der unabhängigen Washington Federation for American Immigration Reform kostet die Aufnahme dieser Einwanderer die US-Steuerzahler 20 Milliarden Dollar im Jahr. Die indirekten Kosten und Steuerausfälle, die sich aus Arbeitsplatzverlusten an illegale Einwanderer ergeben, werden auf weitere 4,3 Milliarden geschätzt.

Auch von Terroristen steht auf der Freiheitsstatue kein Wort. Doch jeder, der böswillige Pläne gegen Amerika ausheckt, weiß: Die mexikanische Grenze bietet den idealen Zugang. Wer hier aufgegriffen wird, braucht sich nur laut genug zu beschweren, seine Bürgerrechte würden verletzt, und schon findet er Gehör bei maßgeblichen Persönlichkeiten.

Die USA haben Einwanderer stets willkommen geheißen und sich dabei um gerechte und gesetzliche Wege bemüht. Der gegenwärtige Zustand grenzt aber an Chaos, und dennoch scheinen manche zu meinen, die Wiederherstellung der Ordnung käme einer Tyrannei gleich. In dieser Debatte geht es nicht um Menschenrechte - es sei denn, man wolle von dem Recht der Amerikaner sprechen, nicht von einer lautstarken Minderheit bedrängt zu werden, die sich weigert, die gesetzliche Regeln einzuhalten.

Präsident Bush strebt einen Mittelweg an - doch er kann es dabei weder den Linken noch den Rechten recht machen. Bei seinem jüngsten Treffen mit Caldéron hat er erneut versprochen, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um eine wirksame Reform des Einwanderungsgesetzes durchzusetzen. Bereits 2004 schlug er eine Reihe von entsprechenden Änderungen vor, und im Laufe der vergangenen drei Jahre haben beide Kammern des Kongresses Entwürfe für ein neues Einwanderungsgesetz verabschiedet. Das Repräsentantenhaus beschloß 2005 die Errichtung von Grenzmauern und -zäunen mit einer Gesamtlänge von 1.100 Kilometern sowie die juristische Aufwertung der illegalen Einwanderung zu einem Schwerverbrechen. Der Senatsentwurf, der als parteiübergreifender Kompromiß intendiert war, sieht vor, bei gleichzeitiger Verschärfung der Grenzkontrollen Illegalen mit langjähriger US-Aufenthaltsdauer eingeschränkte staatliche Leistungen sowie unter bestimmten Umständen die Möglichkeit einer Einbürgerung zu gewähren.

Eine Mauer ist kein Ersatz für Recht und Ordnung

Konservative Stimmen, die eine "Massendeportation" illegal Eingewanderter wollen, sind kaum zu vernehmen. Was statt dessen eingefordert wird, ist die Einhaltung der Gesetze samt Bestrafung solcher Arbeitgeber, die dagegen verstoßen. Konservative mißtrauen allem Gerede von Kompromissen. Selbst die von Bush anvisierte Lösung klingt ihnen - allen gegenteiligen Beteuerungen des Präsidenten zum Trotz - zu sehr nach einer Amnestie. Bush stellt sich auf den Standpunkt, daß die USA sich nicht die Wahl aufzwingen lassen dürfen, entweder eine Gesellschaft zu sein, in der Recht und Ordnung herrscht, oder aber eine Gesellschaft, die Einwanderer willkommen heißt. Genausowenig aber braucht es einen Kompromiß zwischen Gesetzen und Bürgerrechten. Tatsächlich basieren die US-Gesetze weitgehend auf Bürgerrechten, das zeigen schon die Präambel der Verfassung sowie die "Bill of Rights". Eine Mauer kann höchstens den Gesetzeshütern die Arbeit erleichtern, ist aber kein Ersatz für einen Gesetzgeber, der darauf besteht, daß beschlossene Gesetze auch eingehalten und angewandt werden.

Der mexikanische Präsident wiederum vertritt die Auffassung, es handle sich um ein rein US-amerikanisches Problem. Damit hat er nicht unrecht. Doch das eigentliche Problem ist nicht die illegale Einwanderung, sondern die Unterscheidung zwischen Ordnung und Gesetzlosigkeit. Eine Gesellschaft, die diesen Unterschied vergißt, hat in der Tat ein schweres Problem.

 

Dr. Burnell F. Eckardt jr. ist Chefredakteur von "Gottesdienst", einer US-Zeitschrift zur evangelisch-lutherischen Liturgie.


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