© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/07 13. April 2007

"Dahinter steckt ein Genius"
Der Streit um die Evolution ist voll entbrannt. Siegfried Scherer gehört zu ihren gewichtigsten Kritikern
Moritz Schwarz

Herr Professor Scherer, was halten Sie von Charles Darwin?

Scherer: Das war einer der größten Biologen, die je gelebt haben. Vieles, was er erforschte, hat bis heute Gültigkeit, manches wissen wir inzwischen natürlich auch besser. Darwin hat als Naturforscher und als Mensch um die Wahrheit gerungen und ging in diesem Ringen auch über den empirischen Befund hinaus. Das muß wohl jeder tun, der sich mit dem Ursprung des Lebens befaßt. Ich vermute, daß man mit Darwin eine weltanschaulich kontroverse Diskussion sehr sachlich hätte führen können.

Sie zählen sich weder zu den Darwinisten noch zu den Kreationisten. Welche Auffassung vertreten Sie?

Scherer: Ich glaube, daß hinter dem Universum und dem Leben ein Schöpfer steht und daß dies auf einer intuitiven Ebene auch deutlich erkennbar ist. Einer direkten, naturwissenschaftlichen Analyse ist das in der Heiligen Schrift offenbarte Schöpfungshandeln Gottes jedoch verborgen. Den weltanschaulichen Absolutheitsanspruch, den Darwinisten und Kreationisten zuweilen äußern, lehne ich ab. Ich glaube, daß in jeder Hinsicht viele Fragen offen sind.

Sie akzeptieren also die Evolution als Funktionsprinzip, Ihnen geht es alleine um die Frage, wer bzw. ob diesen Prozeß jemand steuert?

Scherer: Als empirisch arbeitender Biologe akzeptiere ich, was durch Experimente oder eine schlüssige Theorie belegt werden kann. Das gilt auch für entsprechende Ergebnisse der Evolutionsforschung. Alles andere lasse ich offen. Eine Evolution als umfassender Naturprozeß - "von der Amöbe zu Goethe", also Makroevolution - wird sich durch weitere Forschung bewähren oder als fraglich herausstellen. Es steht keineswegs fest, wohin uns diese Forschungsreise führen wird. Unabhängig davon geht es mir zunächst um die Frage, ob die Evolutionstheorie mit Notwendigkeit ein atheistisches Weltbild begründen kann, wie das manche ihrer lautstärksten Vertreter kühn behaupten. Ich bin der Überzeugung, daß dies nicht der Fall ist.

Für wie wissenschaftlich halten Sie die Evolutionstheorie?

Scherer: Die Evolutionstheorie ist die Königsdisziplin der Biologie, weil sie die umfassendsten und bedeutsamsten Fragen stellt. Zunächst handelt es sich um eine wissenschaftliche Theorie, die bei der experimentellen Erforschung der mikroevolutiven Veränderung des Lebens großartige Erfolge vorweisen kann. Mit Mikroevolution meine ich die Variationsprozesse, von Artbildung bis hin zur Entstehung von neuen Gattungen. Dieser evolutive Wandel ist ein Grundkennzeichen des Lebens. Das sehe ich auch bei unseren eigenen evolutionsbiologischen Forschungen im mikrobiologischen Labor.

Dann ist die Evolution eine Tatsache.

Scherer: Ja, wenn Sie darunter Mikroevolution verstehen. Die Frage, ob in der Vergangenheit ein globaler, natürlicher Evolutionsprozeß vom Einzeller bis hin zum Menschen - eine Makroevolution - stattgefunden hat, liegt jenseits der experimentell möglichen Analyse. Es gibt Indizien, die dafür und andere, die dagegen sprechen. Da müssen wir weiter forschen, die Daten gewichten und schließlich deuten. Man wird aber immer bedenken müssen, daß keiner von uns dabei war. Das sollte uns vor allzu vollmundigen und endgültigen Aussagen warnen.

Als entscheidenden Schwachpunkt der Evolutionstheorie betrachten Sie, daß sie die Komplexität der Lebewesen nicht hinreichend erklären könne. Wie kommen Sie darauf?

Scherer: Leben ist gleichbedeutend mit einer atemberaubenden Vielzahl hochkomplexer Strukturen, von biomolekularen Maschinen, fantastischen Regulationsnetzwerken und gigantischen Informationsspeichern. Diese Strukturen sehen ganz so aus, als ob sie geplant worden seien. Das wird von vielen Biologen übrigens genauso formuliert, auch wenn sie meinen, daß der Darwinsche Mechanismus am Ende doch irgendwie dafür verantwortlich sein müsse. Bis heute wissen wir nicht, wie durch Naturprozesse, wie zum Beispiel Mutation, Selektion oder neutrale Evolution, solche komplexen - makroevolutionären - Strukturen hätten neu entstehen können.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Scherer: Besonders deutlich wird das bei der Frage nach dem Ursprung des Lebens in sogenannten "Ursuppen". Nach fünfzig Jahren intensivster Forschung in diese Richtung müssen wir als Wissenschaftler sagen: Wir wissen nicht, woher das Leben kommt - es ist im Grunde rätselhaft. Alle experimentellen Erklärungsversuche sind bisher gescheitert. Es geht im Kern um die Frage, ob die biologische Information molekularer Maschinen durch rein materielle Prozesse entstehen kann. Bisher konnte das nicht beobachtet und auch nicht theoretisch plausibel gemacht werden. Übrigens ist das eine rein wissenschaftliche Frage, deren Beantwortung mit Weltanschauung zunächst gar nichts zu tun hat.

Allerdings gibt es auch handfeste Indizien für eine Makroevolution!

Scherer: Das stimmt, zum Beispiel folgendes Kennzeichen des Fossilbefundes: Ganz unten liegen Fossilien von einfachen Lebewesen wie Einzellern. Weiter oben findet man Fische, dann Amphibien, danach Reptilien und Säugetiere usw. Erst ganz oben, in sehr jung datierten Erdschichten, kommen Überreste von Menschen vor. Zwar sind die "missing links" dazwischen oft abwesend oder umstritten, doch diese Ordnung an sich tritt weltweit auf und läßt sich gut als Evolutionsfolge deuten.

Der Kasseler Biologieprofessor Ulrich Kutschera meint, Sie vertreten die Auffassung, der Mensch stamme direkt von Adam ab und biblische Wunder seien die Ursache für die Artenvielfalt.

Scherer: Selbstverständlich glaube ich als Christ an Wunder, etwa an die Auferstehung Jesu von den Toten. Für die Bildung von biologischen Arten und Gattungen auf der Basis bereits vorhandener Baupläne mache ich allerdings bekannte mikroevolutive Prozesse verantwortlich. Die Herkunft der unterschiedlichen Baupläne des Lebens halte ich dagegen nicht für befriedigend erklärt. In jedem Fall sehe ich hinter der Schönheit, Vielfalt und Genialität der Lebewesen einen Schöpfer. Fragen Sie jetzt bitte nicht, wie er geschaffen hat, ich weiß es nicht. Adam heißt übersetzt "Mensch". Der Mensch stammt vom Menschen ab. Ich habe Schwierigkeiten mit der Vorstellung, daß sich der Mensch durch einen erbarmungslosen Selektionskampf in einem Naturprozeß aus Schmerz, Leid und Tod entwickelt hat - und am Ende von Jesus aufgefordert wird, jetzt plötzlich seine Feinde zu lieben. Ich glaube sogar an das Paradies, aber fragen Sie mich nicht, an welchem Ort sich der "Garten Eden" befand oder wie dort angesichts heutiger ökologischer Nahrungsketten Unsterblichkeit möglich war. Für mich sind das Geheimnisse des Glaubens, nicht Orte und Vorgänge, die paläontologisch dingfest gemacht und biologisch modelliert werden können.

Sie gehen vom Gott der Bibel als dem "Designer" aus, wie es im "Intelligent Desgin" heißt. Muß die Design-Theorie aber zwangsläufig immer christlich sein, oder könnte die steuernde Kraft auch anders, nicht-christlich zu erklären sein?

Scherer: Ich persönlich nenne den Designer lieber "Schöpfer". Aber ja, der Designer kann irgend etwas sein, da muß es sich nicht um den Gott der Bibel handeln. "Intelligent Design" ist mit jeder nicht-naturalistischen Weltanschauung kompatibel.

Kardinal Schönborn, der eben sein Buch "Ziel oder Zufall?" zur Debatte im Herder-Verlag veröffentlicht hat (JF 13/07), kritisiert vor allem, daß die Vertreter des Darwinismus, die sonst so auf die Wissenschaftlichkeit pochen, sich in der Diskussion meist gar nicht wissenschaftlich, also rational geben, sondern äußerst weltanschaulich. Er folgert, daß der Darwinismus offenbar für viele gar keine wissenschaftliche Frage, sondern eine Ideologie ist. Haben Sie ähnliche Erfahrungen gemacht?

Scherer: Ja. Es gibt einerseits die Evolutionstheorie als wissenschaftliche Theorie. Da kann man in einen sachlichen Disput eintreten und offene Fragen entweder klären oder so lange offen lassen, bis weitere Daten bekannt sind. Und dann gibt es den Evolutionismus als eine Weltanschauung, im schlimmsten Fall mit ideologischen Entgleisungen, unter anderem erkennt man das an der Sprache, in der über Kritiker gesprochen wird.

Sie meinen, es geht eigentlich um eine weltanschauliche Konstruktion, die durch das mögliche Lockern des - an sich wissenschaftlich seriösen - Bausteins der Evolutionstheorie in die Gefahr gerät, einzustürzen?

Scherer: Der mit einem Absolutheitsanspruch auftretende Evolutionismus ist Teil eines umfassenden, atheistischen Weltbildes. Hier geht es im Grunde um die Frage "Gott - ja oder nein?" Der britische Biologe und streitbare Atheist Richard Dawkins sagte sinngemäß: "Erst durch die Evolutionstheorie kann man ein intellektuell befriedigter Atheist sein." Vermutlich hat er recht. Vielleicht ist das eine Ursache dafür, daß kritische wissenschaftliche Anfragen an die Evolutionstheorie wenig beliebt sind.

Könnte man von einem neutralen Standpunkt aus formulieren: Die Darwinisten füllen die Lücke ihres Wissens mit dem Verweis auf die Zukunft ("wird noch erforscht"), Sie mit dem Verweis auf den Schöpfer. Liegt darin nicht eine gewisse Gleichrangigkeit als einem Operieren mit einem argumentativen Notbehelf?

Scherer: Vieles wußte man früher nicht, und Jahre später konnte man es dann doch klären. Deshalb ist Evolutionsforschung unverzichtbar. Das Argument des Noch-nicht-Wissens bleibt zwar innerhalb der Naturwissenschaft, es könnte aber sein, daß man zum Beispiel für den Ursprung des Lebens niemals eine naturwissenschaftliche Erklärung finden wird. Vielleicht gibt es gar keine? Andererseits ergibt sich aus Nicht-Wissen kein belastbares Argument für die Existenz Gottes - ein Lückenbüßergott befände sich laufend in der Gefahr, in Rückzugsgefechte verwickelt zu werden. Die christliche Überzeugung beruht nicht auf dem empirischen Nicht-Wissen, sondern auf dem "wissenden" Glauben. Den Gott, von dessen Existenz ich überzeugt bin, kann man selbst mit den besten evolutionskritischen Argumenten nicht beweisen.

Was würden Sie am Kreationismus kritisieren?

Scherer: In Stichworten: Die Schöpfungstexte der Heiligen Schrift sollten nicht naturwissenschaftlich, sondern heilsgeschichtlich verstanden werden. Wo der Kreationismus Gottesbeweise führen will, geht er in die Irre. Einigen kreationistischen Gruppen mangelt es an wissenschaftlicher Kompetenz, und leider finden sich gelegentlich auch ideologische Elemente. Ich bin schließlich der Ansicht, daß zwar wissenschaftliche Kritik an der Evolutionstheorie, nicht aber Schöpfungslehren - oder "Intelligent Design" - in den naturwissenschaftlichen Unterricht gehören. Der Evolutionismus gehört da übrigens auch nicht hin.

Sie wirkten bis 2003 im wissenschaftlichen Beirat des Discovery Institute in Seattle mit, das die Position des "Intelligent Design" vertritt.

Scherer: "Intelligent Design" hat um 1990 in den USA vielversprechend begonnen, ich hatte persönlichen Kontakt mit einigen der Gründer. Leider hat sich die Bewegung in den USA in eine teilweise ungute Richtung entwickelt, so daß ich mich vom Discovery Institute zurückgezogen habe. Ich konnte es etwa nicht mittragen, daß "Intelligent Design" mit juristischen Methoden im naturwissenschaftlichen Unterricht verankert werden sollte. Man kann "Intelligent Design" zwar wissenschaftlich, aber nicht streng naturwissenschaftlich betreiben. Als Naturwissenschaftler suchen wir nach natürlichen Erklärungen für beobachtbare Erscheinungen - das ist mein Alltagsgeschäft im Labor. "Intelligent Design" sucht nach übernatürlichen Erklärungen. Die wird man mit empirischen Methoden nicht finden. Nach wie vor verfolge ich die evolutionskritischen Arbeiten von "Intelligent Design" allerdings sehr interessiert und mit viel Sympathie.

Von den Vertretern des Kreationismus droht also die Gefahr einer Rückkehr zum Dogma, von den Vertretern der Evolutionslehre die Gefahr eines Fortschreitens hin zum Dogma?

Scherer: Ja, aber ich würde in beiden Fällen als Einschränkung das Wort "manche" davor setzen.

Welche Rolle spielt der Einfluß aus den USA für die in Deutschland formulierte Kritik an der Evolutionslehre?

Scherer: Die europäische Evolutionskritik hat ihre Wurzeln zweifellos im englischsprachigen Raum. Auch ich wurde als junger Christ, kurz nach meiner "atheistischen Phase", stark vom Kreationismus aus den USA geprägt. Allerdings sehe ich in England und Deutschland Gruppierungen, die sich vom amerikanischen Kreationismus sowohl wissenschaftlich und theologisch, aber auch in Stil und Anspruch schon lange und sehr deutlich abgekoppelt haben. Das wird hierzulande von der Presse leider kaum wahrgenommen, man bezieht sich im wesentlichen auf die amerikanische Situation und zitiert dort sehr gerne extreme Auswüchse.

Der Kampf um die Evolutionslehre ist in vollem Gang. Wagen Sie eine Prognose über den Ausgang?

Scherer: Nein. Aber ich habe einen Wunsch: Man sollte auch bei völlig konträren weltanschaulichen Positionen zu einem Stil der Auseinandersetzung zurückfinden, der von gegenseitiger Achtung, Toleranz und Sachlichkeit geprägt ist. Wenn wir ehrlich sind: Sitzen wir nicht alle im gleichen Boot mit nicht wenigen unbeantworteten Fragen? Und jeder kann vom anderen lernen. Auch wenn die Fronten verhärtet sind und sehr viel Porzellan zerbrochen wurde: Dafür ist es nie zu spät.

 

Prof. Dr. Siegfried Scherer gilt als prominentester deutscher Kritiker des Darwinismus. Der Biologe bekleidet den Lehrstuhl für Mikrobielle Ökologie an der TU München. 2002 veröffentlichte er den Band "Evolution. Ein kritisches Lehrbuch" (Weyel Lehrmittelverlag), der an einigen Schulen mittlerweile ergänzend Verwendung findet. Kritiker sehen darin einen Skandal. Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) hatte 2002 in einer Laudatio das Buch ein "sehr gutes Beispiel für werteorientierte Bildung" genannt. Ende 2005 lud das Erfurter Staatsministerium Scherer zu einem Symposion zum Thema Evolution ein - und nach heftigen Protesten wieder aus (JF 5/06). Bis 2006 war der 1955 in Oberndorf am Neckar geborene Scherer (www.siegfriedscherer.de) Vorsitzender der evolutionskritisch-evangelikalen Studiengemeinschaft "Wort und Wissen".

Weitere Informationen: "Wort und Wissen", Rosenbergweg 29, 72270 Baiersbronn, Telefon: 0 74 42 / 810 06, Internet: www.wort-und-wissen.de 

 

Stichwort "Kreationismus und Intelligent Design": Während der Kreationismus die Schöpfungsgeschichte der Bibel als naturwissenschaftlichen Text versteht und Evolution ablehnt, akzeptiert "Intelligent Design" (ID) diese, schließt aber aufgrund ihrer Komplexität auf das Wirken eines "intelligenten Designers". Kreationismus ist also - ob christlich, islamisch oder jüdisch - religiös gebunden, ID nicht. Kritiker unterstellen, ID sei lediglich wissenschaftlich verbrämter Kreationismus. In den USA klagen Kreationisten in zwanzig Bundesstaaten gegen die Vermittlung der Evolutionslehre im Schulunterricht, in vier waren sie bislang erfolgreich.

Foto: Urvogel Archeopterix (Versteinerung): "Missing link" zwischen Vögeln und den Sauriern

 

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