© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/07 06. April 2007

In den Fängen der Moralgesellschaft
Nachruf: Zum Tode des ehemaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger / Gründer des konservativen Studienzentrums Weikersheim
Klaus Hornung

Hans Filbinger, Ministerpräsident von Baden-Württemberg von 1966 bis 1976, ist am Sonntag im 94. Lebensjahr in seiner Heimatstadt Freiburg im Breisgau verstorben. Am 15. September 1913 in Mannheim geboren, in seinen Jugendjahren Mitglied des katholischen Bundes "Neudeutschland", studierte er in Freiburg Jurisprudenz und wurde dort Anwalt. Zur Ableistung seiner Wehrpflicht meldete sich der Süddeutsche zur U-Boot-Waffe. Als Jurist wurde er jedoch gegen seinen Willen in die Militärgerichtsbarkeit der Marine berufen und war in den letzten Kriegsjahren bis 1945 in Norwegen als Militäranwalt tätig.

Nach Rückkehr in die badische Heimat schloß sich der junge Anwalt der CDU an und wurde bald Stadtrat in Freiburg. Es folgte ein steiler politischer Aufstieg in der Partei und in hohe Staatsämter. Im Stuttgarter Kabinett Kurt Georg Kiesingers wurde Filbinger Innenminister, nach Kiesingers Wahl zum Kanzler der ersten Großen Koalition sein Nachfolger als Ministerpräsident von Baden-Württemberg. Der süddeutsche konservativ-liberale Politiker zeigte in diesem Amt ein hohes Maß an politischer Gestaltungskraft, nicht zuletzt als Chef einer schwarz-roten Koalition bei der Planung und Umsetzung einer großen Verwaltungsreform im südwestdeutschen Bundesland. Als Präsident des Bundesrates unternahm er in den siebziger Jahren politische Reisen nach Indien und China.

In der Oppositionszeit der Union im Bund wurde Filbinger zu einer bundesweit bekannten Persönlichkeit, die auch als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten genannt wurde. Ein Höhepunkt in seiner Zeit als baden-württembergischer Ministerpräsidenten war der Wahlerfolg der CDU bei der Landtagswahl im Jahr 1976, als die Partei mit Filbingers Wahlkampfmotto "Freiheit statt Sozialismus" mit 56,7 Prozent einen absoluten Stimmenrekord errang.

Dieser Erfolg ließ Kräfte im linken Lager der Bundesrepublik nicht ruhen, um Filbinger politisch zu Fall zu bringen. Der Schriftsteller Rolf Hochhuth ernannte sich zur Speerspitze eines Kesseltreibens in den linksliberalen und sozialistischen Medien, das Filbingers angebliche Verstrickung in den nationalsozialistischen Unrechtsstaat als Marinerichter während des Krieges in Norwegen zum Instrument seines politischen Sturzes machte.

Heute ist längst erwiesen, daß durch Urteile der Kriegsmarinejustiz gegen deutsche Deserteure, an denen Filbinger als Militäranwalt oder kommandierter Marinerichter während der letzten Kriegsmonate mitwirkte, keiner der damals Angeklagten zu Tode gekommen ist, da sie sich durch Flucht nach Schweden der kriegsgerichtlichen Todesstrafe entzogen hatten. Auch politische Gegner wie etwa Golo Mann haben später keinen Zweifel daran gelassen, daß Filbinger in dieser Kampagne schweres Unrecht getan wurde. Er selbst hat in seinen noch heute lesenswerten Memoiren "Die geschmähte Generation" über seinen Weg durch das schreckliche zwanzigste Jahrhundert in würdiger Weise Rechenschaft abgelegt.

Die Kampagne gegen den konservativen Politiker Filbinger von gewissen westdeutschen sogenannten fortschrittlichen Intellektuellen und Politikern über Jahre hin war ein Auftakt für das Elend der heutigen deutschen Politik der sogenannten Moralgesellschaft.

Seit 1979 hat Hans Filbinger zusammen mit einer Gruppe Gleichgesinnter aus Politik, Wissenschaft und Kultur das Studienzentrum Weikersheim als eine freiheitlich-konservative Bildungsinstitution aufgebaut, der es als Antwort auf die sogenannte Kulturrevolution der Achtundsechziger um die Bestandsicherung des freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates ging. Schon in den achtziger Jahren stellte ihr die Welt das Zeugnis aus, daß sie eine Spitzenstellung unter den privaten politischen Akademien einnahm. Das Studienzentrum Weikersheim hat dann am Ende der achtziger Jahre mit seinen internationalen Kongressen einen Anteil an dem großen Umbruch in Europa gehabt, der zum Sturz des Kommunismus und zur Wiedergewinnung der staatlichen Einheit Deutschlands führte.

Im Studienzentrum Weikersheim wirkt bis heute das politische Vermächtnis Hans Filbingers fort: Die modischen Parolen der individuellen "Selbstverwirklichung" verfehlen den Lebenssinn des Einzelnen wie des Gemeinwesens, und der Ungeist der Konformität und Anpassung an die Meinungen des Tages wie des Marktes muß die freiheitliche Demokratie des Grundgesetzes zerstören.

 

Prof. Dr. Klaus Hornung war von 2001 bis 2003 Präsident des Studienzentrums Weikersheim.


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