© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/07 30. März 2007

Viktoria kommt aus Übersee
Vor neunzig Jahren traten die USA in den Ersten Weltkrieg ein / Die Entente gewann damit den kriegsentscheidenden Verbündeten
Thorsten Hinz

Der Begriff "Weltpolitik" war im wilhelminischen Deutschland eine vielbenutzte Vokabel, nichtsdestotrotz verharrte das politische Denken in kontinentaleuropäischen Kategorien. Auf das weltumspannende Ausmaß, das der am 1. August 1914 ausgebrochene Krieg annahm, waren Politik und Diplomatie nicht vorbereitet. Vor allem hatten sie nicht einkalkuliert, daß das amerikanische Industrie-, Rüstungs- und Militärpotential sich als kriegsentscheidend erweisen könnte. Die deutsche Botschaft in Washington wurde davon überrumpelt, daß die Entente-Mächte ihre Kabelverbindung nach Europa unterbrachen. Der überseeische Funkverkehr des Senders Nauen steckte noch in den Kinderschuhen, und so brauchte es Monate, ehe über Schweden eine notdürftige Verbindung zum Auswärtigen Amt hergestellt war.

Das Militär hatte vorausschauender agiert. Militärattaché Franz von Papen war vom Generalstab mit einer versiegelten und nur im Notfall zu öffnenden Order versehen worden, die Adressen von Handelsfirmen in neutralen Ländern und einen Chiffrecode enthielt. So war es wenigstens möglich, aus der New Yorker Niederlassung einer Hamburger Firma militärische Informationen - getarnt als Geschäftstelegramme - nach Berlin zu drahten.

Deutsche Diplomatie ohne Zugang zur US-Regierung

Die nahezu vollständige nachrichtentechnische Isolation Deutschlands von den USA erlaubte seinen Gegnern, die eigene Sicht auf Gründe und Verlauf des Krieges ungehindert zu verbreiten und durch Greuelpropaganda - etwa über abgehackte belgische Kinderhändchen - die amerikanische Öffentlichkeit zugunsten eines Kriegseintritts zu beeinflussen. Während die US-Bevölkerung mehrheitlich gegen eine Kriegsbeteiligung war, neigten die Führungsschichten von Anfang an klar den Entente-Mächten zu und unterstützten sie finanziell und mit Kriegsmaterial. Kulturell fühlten sie sich den Briten, politisch der französischen Staatsform verbunden. Über den demokratischen 28. US-Präsidenten Woodrow Wilson (1913/21) schrieb der britische Botschafter seiner Regierung, er sei "durch Geburt und Erziehung ausgesprochen britisch". Bereits am 3. September 1914 hatte ihm der Präsident mitgeteilt, eine Niederlage Großbritanniens setze alles aufs Spiel, was ihm wertvoll sei. Außenminister William Jennings Bryan, der eine strikte Neutralität verfocht, konnte sich nicht durchsetzen und wurde durch den probritischen Robert Lansing ersetzt.

Die deutsche Diplomatie hatte keinen vergleichbaren Zugang zur amerikanischen Führungsspitze. Die starke deutsche Bevölkerungsgruppe neigte fast geschlossen den Republikanern zu, und auch der deutsche Botschafter Johann Heinrich Graf von Bernstorf hatte seine Kontakte völlig auf die Republikaner ausgerichtet. Deren Einfluß aber war gering auf den Demokraten Wilson. Die Forderung deutsch-amerikanischer Politiker nach einem völligen Verbot der Waffenausfuhr wies Wilson mit dem Argument zurück, dies würde die amerikanische Wirtschaft schädigen. Der wachsende Lieferumfang hatte den Nebeneffekt, daß er das amerikanische Interesse an einem Sieg der Entente-Mächte steigerte, denn nur Sieger würden am Ende zahlungsfähig sein.

Lange Zeit waren die Beziehungen zwischen den USA und dem Deutschen Reich ausgesprochen freundlich gewesen. Allerdings kam es seit Ende des 19. Jahrhunderts immer wieder zu atmosphärischen Störungen, die allerdings zunehmend heftiger wurden. Mal stießen koloniale Interessen in der Südsee aneinander, dann kam es während des spanisch-amerikanisches Krieges 1898 zu Irritationen.

Die Niederlassung deutscher Siedler in Südamerika führte in Teilen der US-Presse zu einer Kampagne gegen eine deutsche Kolonisierung und die Verletzung der Monroe-Doktrin. Folgerichtig unterstützten die USA während der Marokko-Krise 1911 die Gegner Deutschlands - weil Marokko als Brasilien zu nahe eingeschätzt wurde. Die Ungleichbehandlung der Konfliktparteien setzte sich nach Ausbruch des Krieges 1914 fort. Während die USA gegen die Seeblockade, die Großbritannien gegen Deutschland verhängte, nur formal intervenierten, wurde der U-Boot-Krieg, mit dem Deutschland sich zur Wehr setzte, als Angriff auf die Freiheit der Meere scharf verurteilt. Der Grund dafür war, wie Lansing in seinen Memoiren einräumte, daß die US-Führung schon zu diesem Zeitpunkt fest damit rechnete, gegebenenfalls auf seiten der Briten in den Krieg einzutreten.

USA verfolgte Kontinuität des Britischen Empire

Die deutsche Politik konnte sich keinen Reim auf die Feindschaft der USA machen - noch 1941 sollte sich Außenstaatssekretär von Weizsäcker über Roosevelts Deutschland-Aversion wundern - und beteuerte stets, daß das Reich überhaupt nicht die Absicht habe, amerikanischen Interessen zu nahe zu treten. Der tiefere Grund für diese Entwicklung war, daß die USA ihre neue, imperiale Politik instinktiv durch Deutschland bedroht fühlten. Die USA schickten sich an, ihren Teil der Voraussage Tocquevilles, Amerika und Rußland würden sich die Herrschaft der Welt teilen, zu erfüllen und die Erbschaft des Britischen Empire zu übernehmen, das seinen Zenit überschritten hatte. Zu den politischen Grundsätzen Englands hatte es stets gehört, sich mit der zweitstärksten Kontinentalmacht gegen die stärkste zu verbünden, um die Etablierung einer europäischen Hegemonialmacht zu verhindern und sich den kontinentalen Rücken für seine globalen Ambitionen frei zu halten. Dieses Konzept machten sich die USA zu eigen. In Deutschland erkannten sie die aufstrebende Macht, die potentiell in der Lage sein würde, die Ressourcen des Kontinents zu bündeln und Europa als konkurrierenden Faktor der Weltpolitik einzuführen.

Der deutsche U-Boot-Krieg gegen die Schiffe der Entente brachte die Stimmung in den USA ins Rutschen. Am 15. August 1915 wurde der Passagierdampfer "Lusitania" vor der Südküste Irlands versenkt, unter den 1.198 Toten befanden sich 139 Amerikaner (andere Quellen sprechen von 126). Die mit Tarnfarben umgefärbte Lusitania war mit Waffen beladen, obwohl die britische Admiralität wußte, daß es damit zum Ziel deutscher Torpedos werden würde (JF 18/05). Die toten Amerikaner erwiesen sich als überaus erfolgreiche Investition in die psychologische Kriegführung; es kam in den USA zu antideutschen Demonstrationen. Am 19. August sank die "Arabic", am 5. November 1915 die "Ancona", und wieder kamen Amerikaner ums Leben. Am 24. März 1916 wurde der französische Personendampfer "Sussex" im Ärmelkanal versenkt, dabei starben 480 Amerikaner. Die Reaktion der US-Regierung war so scharf, daß Großadmiral Alfred von Tirpitz als Staatssekretär des Reichsmarineamts zurücktrat und die Reichsregierung beschloß, die unangekündigte Versenkung von Frachtschiffen einzustellen. Sie behielt sich allerdings "die volle Freiheit ihrer Entschließungen vor, falls die Vereinigten Staaten bei England die Beachtung der völkerrechtlichen Bestimmungen über die Freiheit der Meere (Aufhebung der Hungerblockade gegen Deutschland - Th. H.) nicht alsbald verlangen und durchsetzen werden."

Doch dieser verzweifelt anmutende Versuch, die USA unter Druck zu setzen, schlug fehl. Washington dachte gar nicht daran, gegenüber Deutschland und Großbritannien gleiche Rechtsgrundsätze anzuwenden, schließlich wollte es die dominierende Seemacht nicht nur materiell, sondern auch politisch-ideell beerben. Dazu gehörte die Definitionshoheit über Recht und Unrecht in den internationalen Beziehungen. Gerade unter Wilson, der als Demokratie- und Völkerbunds-Missionar auftrat, verstärkte sich die Neigung, amerikanische Interessen als Ausdruck einer transzendenten Moral zu behaupten. So erwiesen sich die Vermittlungsangebote und Friedensvorschläge des US-Präsidenten (der sich seine Wiederwahl Ende 1916 unter der Losung "Er hat uns aus dem Krieg herausgehalten!" sicherte) nur als retardierende Momente.

Zimmermann-Telegramm als diplomatische Katastrophe

Das Reich verkündete zum 1. Februar 1917 den uneingeschränkten U-Boot-Krieg. Die formelle Benachrichtigung der USA erfolgte nur einen Tag früher, so daß Washington keine Möglichkeit zum Protest mehr blieb. Am 3. Februar brachen die USA die diplomatischen Beziehungen zu Berlin ab und veranlaßten die meisten lateinamerikanischen Staaten, ihnen zu folgen. Die diplomatische Katastrophe des Zimmermann-Telegramms brachte das Faß endgültig zum Überlaufen. Außenstaatssekretär Arthur Zimmermann hatte den Gesandten in Mexiko beauftragt, im Falle einer amerikanischen Kriegserklärung ein Bündnis mit Mexiko zu schließen und ihm dafür die Rückkehr der US-Bundesstaaten Texas, Neumexiko und Kalifornien zuzusichern, die es 1848 verloren hatte. Zur Übermittlung benutzte er ein amerikanisches Direktkabel, das die US-Regierung der deutschen Botschaft zur Verfügung gestellt hatte, um Informationen über Wilsons Vermittlungsvorschläge auszutauschen.

Das Telegramm fiel dem britischen Geheimdienst in die Hände, der bereits im August 1914 den deutschen Geheimcode entziffert hatte und den Text zum psychologisch günstigen Zeitpunkt an die Amerikaner weiterreichte. Der Inhalt war so ungeheuerlich, daß die US-Neutralisten ihrer Regierung eine Fälschung vorwarfen, doch ausgerechnet Zimmermann strafte sie öffentlich Lügen und verteidigte seine Depesche als gerechtfertigte Notwehr. Nicht nur auf den Gebieten der Diplomatie und der psychologischen Kriegführung, auch auf dem Geheimdienstsektor war Deutschland den Entente-Mächten unterlegen. Am 6. April 1917 erklärten die USA den Kriegszustand mit Deutschland, am 7. Dezember mit Österreich-Ungarn. Die Niederlage der Mittelmächte war jetzt nur noch eine Frage der Zeit.

Foto: US-Truppen auf dem Weg an die Front marschieren 1917 über die Westminster Bridge in London: Aus Sympathie für die Entente wurde auch durch Propaganda Bevorzugung und schließlich Parteinahme


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen