© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/07 30. März 2007

Im Zweifel gegen den Angeklagten
Ein Sammelband über die "Militärische Erinnerungskultur" ergreift die Gelegenheit, soldatische Biographien auch als Klageschriften zu nutzen
Kai Zirner

Die "neue" Militärgeschichte boomt, wie man an der noch jungen Reihe "Krieg in der Geschichte" sehen kann, von der hier bereits Band 29 zu inspizieren ist. Der Titel "Erinnerungskultur" verweist auf ein geradezu überforschtes modisches Thema der letzten Jahre, das im Gefolge von Maurice Halbwachs und dem Ehepaar Assmann ermüdend traktiert wurde.

Die einschlägig politisch korrekt ausgewiesenen Herausgeber lassen zudem keine Überraschungen erwarten. Und so wimmelt es gleich auf der ersten Seite des schlampig abgefaßten Vorworts von Wertungen wie "legitimatorisch", "applikatorisch" und natürlich "apologetisch", welche auf Militärmemoiren und die militärhistorische Biographik, das Thema des Bandes also, angewandt werden. Damit das Sujet dennoch Lust auf 300 weitere Seiten weckt, sprechen die Autoren von einem neuen kulturhistorischen Interesse an der Biographik, bieten dann aber nur ein bißchen Quellenkritik auf Proseminar-Niveau. Dazu noch echte Kalauer wie folgender, offenbar von der "Gender-Historikerin" Karen Hagemann abgefaßter Satz: "'Geschlecht' ist dabei als das durch Kultur und Gesellschaft produzierte 'Wissen' über Geschlechtervorstellungen und -differenzen zu verstehen. Ein Wissen, das weder absolut noch wahr ist, sondern immer relativ und in komplexen Diskurszusammenhängen hergestellt wird." Ohne dieses Rüstzeug kann man Militärgeschichte natürlich unmöglich betreiben.

Auch in den einzelnen Beiträgen gelingt es den offenbar zu methodischen Überlegungen angehaltenen Autoren kaum, das doch längst schon erfundene Rad der Biographik neu zu justieren - sieht man von etwas kulturgeschichtlichem Namedropping einmal ab. Der chronologische Bogen spannt sich vom Dreißigjährigen Krieg (Tilly) über die Preußische Heeresreform (Scharnhorst) bis zum Zweiten Weltkrieg. Christoph Rass stellt hier seine als "neu" bezeichnete absolut orthodoxe Sozialgeschichte der Wehrmacht vor, die ohne Feindberührung auskommt, als habe die Truppe in einem virtuellen Raum gekämpft und sei an der Ostfront nicht entscheidend durch Partisanenkrieg und Kampf gegen eine nicht nach dem Kriegsrecht vorgehende Roten Armee geprägt worden, um es einmal vorsichtig auszudrücken.

Alaric Searle widmet sich den Wehrmachtsgenerälen in der Nachkriegszeit, ein mittlerweile auch in zahlreichen Einzelfallstudien moralinsauer abgehandeltes Thema. Searle ist nüchterner und kommt daher auch gleich zu überzeugenderen Ergebnissen. Die Wehrmachtsgeneralität gibt nach 1945 ein äußerst heterogenes und zerstrittenes Bild ab. Neben den vielen mehr oder weniger unpolitischen Funktionsgenerälen standen die US-kritischen, auf Rußland setzenden Offiziere, die folgerichtig auch in die SBZ bzw. DDR heimkehrten. Ferner gab es diejenigen, welche noch "Restsympathien" für das Dritte Reich empfanden, wie Searle vorsichtig formuliert, und entsprechende Aversionen gegen den Widerstand hegten. Und schließlich die NS-Kritiker, welche an den 20. Juli anknüpften. Natürlich gab es zahlreiche Mischverhältnisse zwischen diesen Positionen: "Es gab Pragmatiker und liberale Generäle, die in bezug auf grundlegende Militärreformen für die damaligen politischen Verhältnisse eine sehr gemäßigte Position vertraten. Aus den Akten läßt sich jedenfalls kein Beweis für eine ausschließlich reaktionäre Haltung der Generalität während der Wiederbewaffnungsdebatte führen." Problem ist wohl, daß kaum jemand so genau in die Akten guckt, sondern sich lieber über fehlende Schuldbekenntnisse in der Memoirenliteratur mokiert.

Wird man Searles Beitrag also mit einigem Gewinn lesen können, so traut man seinen Augen nicht, wenn man das Elaborat vom Nato-Fregattenkapitän Jörg Hillmann aufblättert. Hier versucht sich jemand, der sich über Großadmiral Erich Raeder habilitieren will, mit allen Mitteln an die zivilen Kollegen ranzuschmeißen. Hillmann bedauert offenkundig zutiefst, daß seine Waffengattung aus Wehrmachts- und Goldhagen-Debatte noch relativ unbeschädigt herausgekommen ist. Das ist zu ändern, hat Hillmann doch einen sensationellen Fund gemacht: "Kaiserreich und Führerstaat lagen für Raeder dicht beieinander - beide ermöglichten ihm die Realisierung seiner seestrategischen Ideen mit den dafür erforderlichen Rüstungsmaßnahmen." Und so geht es munter weiter: "Die maritime Solidargemeinschaft spiegelte die Idealform der deutschen Volksgemeinschaft." Schließlich: "Ferner wurde frühzeitig ein Wertesystem als Rechtfertigungsmuster angeboten, welches die Integrität der Marineführung hervorhob und den Angehörigen zeitüberdauernd ein willfähriges Folgen ermöglichte." Hier kann man nur gegenüber Kapitän Hillmann Befehlsverweigerung einfordern, besonders von den Professoren, die solche Elaborate beurteilen müssen.

Neben solchen Tiefpunkten bietet der Band auch einige seriöse Beiträge, etwa über den jüngeren Moltke oder die "Legion Condor in (auto-)biographischen Zeugnissen", die aber meist knapp ausfallen und bisweilen andernorts schon besser dargestellt wurden. Zur Pflichtlektüre wird er also weder für "alte" noch "neue" Militärhistoriker werden.

Michael Epkenhans, Stig Förster, Karen Hagemann (Hrsg.): Militärische Erinnerungskultur. Soldaten im Spiegel von Biographien, Memoiren und Selbstzeugnissen. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2006, gebunden, XVI + 329 Seiten, 38 Euro


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