© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/07 30. März 2007

Sechs Jahre Narrenfreiheit
Kino: "Die Herbstzeitlosen"
Silke Lührmann

Nachdem zuletzt in der postfeministischen Blumenlehre die Iris als winterhartes Großstadtgewächs aufblühte (JF 13/07), nun ein zarteres Pflänzchen. So grün waren seit "Heidi" keine Wiesen im eitel Sonnenschein mehr, und doch brauchen Bettina Oberlis "Herbstzeitlosen" viel Hege und Pflege, um zaghaft, schon angehaucht vom ersten Frost, ihre unzeitgemäßen Knospen zu treiben. Ihre botanischen Schwestern definiert das Naturlexikon recht ominös als Giftpflanzen mit abnormem Lebenszyklus.

Im Emmental ist die Welt noch in Ordnung. Das Sagen haben die Männer, die Frauen nicht viel zu lachen: weder in der Kirche noch in der Kneipe. Des Pfarrers Affäre mit der Friseuse Shirley dürfte zu den züchtigsten Liebschaften der jüngeren Filmgeschichte zählen. Wenn überhaupt jemand aus der Reihe tanzt, dann deren patente Mutter Lisi (Heidi Maria Glössner) mit ihren Amerika-Phantasien und schrillen Klamotten.

Erst recht keine Spur von der Rezession, die in britischen Komödien wie Nigel Coles "Grasgeflüster" (2000) ganz ähnliche Handlungen zu motivieren pflegt. Statt der Wirtschafts- muß also eine Sinnkrise her. Als Inspiration diente der 34jährigen Regisseurin nach eigener Aussage die Großmutter, der Worte wie Sehnsucht und Bedürfnisse fremd seien - trotz der sechsjährigen Narrenfreiheit, die die Statistik Schweizer Rentnerinnen nach dem Tod des Ehegatten gewährt.

Die Emanzipation hat das Emmental verschont

Am fiesesten verleiden die Söhne ihren Müttern den Spaß an der Freud: Pfarrer Walter und vor allem Fritz, dessen Land-und-Leute-Partei (LLP) sogar im Seniorenheim als rückständig verhöhnt wird. Gegen deren polternden Widerstand und mit Lisis tatkräftiger Hilfe verwirklicht Martha (Stephanie Glaser) ihre unkonventionelle Geschäftsidee: Dessous mit Trachtenstickereien. Das "Lädeli" des verstorbenen Gemahls funktioniert sie zur Zentrale eines florierenden Versandhandels um. (Wo die Dorfbewohner künftig ihre weniger intimen Besorgungen erledigen, verrät der Film freilich nicht. Lockt abseits der schmucken Fachwerkfassaden doch irgendwo eine Coop-Filiale mit Aktionspreisen?)

Die Emanzipation, die derlei Reizobjekte vor nunmehr vier Jahrzehnten auf dem Scheiterhaufen des Geschlechterkampfes entsorgte, hat das verschnarchte Dorf ebenso verschont wie jene, die Frauen nicht erst mit der Verwitwung Verfügungsgewalt über das eigene Schicksal bescherte. Soviel Nachholbedarf, so wenige verbleibende Jahre: als ob sich Oberlis Heldinnen ins Bockshorn jagen ließen! Hanni (Monica Gubser), die zeitlebens nur Traktor fahren durfte, macht den Führerschein, die spießige Frieda (Annemarie Düringer) einen Computerkurs.

Beim abschließenden Chorfest bleibt der garstige Fritz auf seinem Käse aus alter Familientradition sitzen. Die Zukunft gehört den jungen Töchtern des Dorfes, die so spontan wie ungeniert die Bühne in einen Laufsteg für Marthas Kollektion verwandeln. Die Entscheidung des Verleihers, einen ausländischen Film einmal nicht zu synchronisieren, sondern mit hochdeutschen Untertiteln zu versehen, darf man hoffentlich ebenfalls als Trendwende begrüßen.

Shirley (M. Niggeler) und Martha (S. Glaser) mit den skandalösen Dessous


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