© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/07 30. März 2007

Fieber, fetale Schäden und Aborte
Landwirtschaft: Klimaerwärmung und grenzenloser Tierhandel bringen neuen Seuchenzug in die deutschen Rinderbestände
Harald Ströhlein

Beim Thema globale Klimaerwärmung geht es nicht nur um tödliche Tsunamis oder tobende Tornados - nicht weniger dramatisch sind die leisen, kaum sichtbaren Prozesse innerhalb des Ökosystems Erde. Die wärmeliebenden Malariamücken (Anopheles) wandern immer weiter nach Norden. Die wachsende Wildtierpopulationen in unseren Breitengraden fördert die Vermehrung von Zecken, die die auf den Menschen übertragbaren Borrelliose verbreiten. Der thermophile Borkenkäfer wirft ganze Biotope aus dem Gleichgewicht.

Kleine Mücken übertragen die Blauzungenkrankheit

Selbst die landwirtschaftliche Nutztierhaltung wird durch die klimatischen Kapriolen beeinflußt. Voriges Jahr brach unter den deutschen Rinderbeständen nun erstmalig die Blauzungenkrankheit (Blue tongue disease/BTD) aus. Auf dem ersten Blick war das keine dramatische Seuche, denn diese - durch das Orbivirus und seine 24 bekannten Serotypen verursachte - Infektion verläuft bei Wiederkäuern oft harmlos. Doch die BTD-Symptome reichen von Hyperämien der Schleimhäute und Lippenödemen, Fieber und Zirkulationsstörungen bis hin zu Klauenentzündungen, Veränderungen der Skelettmuskulatur, aber auch fetalen Schäden und Aborten.

Akuter kann die Erkrankung beim Schaf verlaufen, von denen in Europa alleine zwischen 1998 bis 2005 bis zu zwei Millionen Tiere ihr Leben lassen mußten. Bei Schafen wurde die Infektion auch erstmalig (in Südafrika 1876) beschrieben.

Außerhalb des heißen Kontinents trat die Blauzungenkrankheit dann in Zypern und Texas Ende der vierziger Jahre des vorigen Jahrhunderts auf. Kaum zehn Jahre später wurde sie in Portugal und Spanien registriert und etablierte sich bislang weltweit zwischen dem 35. Grad südlicher und 40. Grad nördlicher Breite.

Im Blickfeld stehen bei dieser Seuche allerdings jene Verursacher, die für den globalen Siegeszug verantwortlich zu machen sind. Dabei handelt es sich um kleine Mücken der Culicoides-Gattung aus der Familie der Gnitzen, die Blut saugen und dadurch das Virus von Tier zu Tier übertragen. Viel weiß man bislang nicht über die weltweit etwa 5.000 bekannten Gnitzenarten. Die Entwicklung zum flugfähigen Insekt verläuft vom Ei-, Larven- und Puppenstadium in klassischer Manier.

Die etwa ein bis eineinhalb Millimeter kleinen Mücken leben mit zehn bis 90 Tagen nicht sehr lange. Sie schweben mit bis zu zwei Metern nicht sehr hoch und fliegen mit bis zu zwei Kilometern nicht sehr weit. Interessant ist, daß die Aktivität dieser Plagegeister und die Übertragungsfähigkeit des Virus eng mit der Umgebungstemperatur zusammenhängt. So ist bekannt, daß ein Culicoides-Weibchen pro Eiablage eine Blutmahlzeit benötigt. Bei einer Temperatur von 13 Grad Celsius ist das nur etwa alle zwei Wochen der Fall, bei 30 Grad Celsius dagegen alle vier Tage.

Die Veterinäre sind derzeit noch ratlos. Weder weiß man, welche der über 330 in Deutschland vorkommenden Gnitzenarten überhaupt als Virusüberträger in Frage kommen, noch ist man sich darüber im klaren, wo sich die Brutstätten der eierlegenden Weibchen befinden. Doch die Zeit drängt. Wegen der im Frühjahr steigenden Temperaturen rechnet man mit einer Ausbreitung der Seuche, welche die Zahl der bislang knapp 1.000 befallenen Rinder übersteigen dürfte. Hinzu kommt, daß wegen des Sparkurses bei Bund und Ländern BTD-Forschungsprojekte bislang abgelehnt wurden.

Interkontinentale Virenverschleppung

In ihrer Not setzen die zuständigen Landesministerien nun auf großdimensionierte Sperrzonen um befallene Rinderbestände, um eine weitere Ausbreitung zu verhindern. Dieser Aktionismus dient aber allein der Vorbeugung, um den internationalen Handel mit wertvollen Zuchttieren, Embrionen, Eizellen und Sperma nicht zu gefährden. Denn zöge ein wichtiges Nicht-EU-Land in Form eines Importstopps die rote Karte, um eine Vireneinschleppung zu verhindern, wäre das finanzielle Desaster für die exportorientierten Rinderzüchter aus Deutschland vorprogrammiert - 2006 lag der Exportwert aus deutschen Rinderzuchtstätten bei fast 120 Millionen Euro.

Aber daß es just dieser rege Ex- und Import von Tieren war, der Deutschland das BTD-Virus bescherte, ist in diesem Kontext besonders delikat und wird sogar von amtlicher Seite als "höchstwahrscheinlich" bestätigt. Die wärmeabhängige Virenverbreitung durch eine Mückenart ist also das eine - die interkontinentale Virenverschleppung durch den globalen Tierhandel das andere. Etwa so, wie eine "urbane" Malaria (die schon im Umfeld von Interkontinentalflughäfen diagnostiziert wurde) auch mit dem überbordenden Wirtschafts- und Reisetourismus in Zusammenhang gebracht werden könnte.


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