© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/07 23. März 2007

Die Einhegung Deutschlands wurde zum Staatenbund
Vor fünfzig Jahren wurden die Römischen Verträge unterzeichnet / Äußerer Faktor war die Erfahrung aus zwei Weltkriegen
Hans Christians

Die Idee, das von den Kriegswirren erschütterte Europa zu einem Staatenbund mit tendenziell supranationaler Ausrichtung zu formieren, wurde bereits im Jahr 1946 geboren. Es war ausgerechnet ein Vertreter der Siegermächte, der britische Premierminister Winston Churchill, der am 19. September 1949 in seiner Züricher "Rede an die akademische Jugend" formulierte: "Es gibt ein Heilmittel, das innerhalb weniger Jahre ganz Europa frei und glücklich machen könnte. Dieses Mittel besteht in der Erneuerung der europäischen Familie oder doch eines möglichst großen Teils davon. Wir müssen ihr eine Ordnung geben, unter der sie in Frieden, Sicherheit und Freiheit leben kann. Wir müssen eine Art Vereinigter Staaten von Europa errichten." Als treibende Kräfte dieser Entwicklung sah Churchill den einstigen Kriegsgegner Deutschland sowie Frankreich vor.

Europa war zu jener Zeit einem grundlegendem Wandel unterzogen. Ausgangspunkt für Churchills Überlegungen war vor allem der deutliche Bedeutungsverlust der europäischen Staaten zugunsten der beiden neuen "Supermächte" USA und Sowjetunion. Zudem sollte das als "ständiger Unruheherd" gebrandmarkte Deutschland auf nationale Alleingänge zukünftig verzichten. Als eigentliche Geburtsstunde der Europäischen Bewegung gilt bis heute der Europa-Kongreß vom 7. bis 11. Mai 1948 im niederländischen Den Haag. Auf Einladung des Koordinierungsausschusses für europäische Einheit trafen neben nationalen Europaverbänden und übernationalen Dachorganisationen bereits auch führende Europapolitiker wie Robert Schuman, Alcide de Gasperi, Paul-Henri Spaak und Konrad Adenauer zusammen.

Die deutsch-französische Erbfeindschaft beseitigen

Am Ende der fünftägigen Beratungen stand die Gründung des Europarates, der schließlich am 5. Mai 1949 ins Leben gerufen wurde und Anfang August des gleichen Jahres erstmals in Straßburg zusammenkam. Zur treibenden Kraft der europäischen Integrationsbewegung wurde der französische Außenminister Robert Schuman, ein deutschsprachig erzogener Lothringer. Er entwarf einen Plan, der die Gründung einer Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) - kurz Montanunion - vorsah. Diese Union sollte einen gemeinsamen Markt für Kohle und Stahl schaffen und damit die gemeinsame Kontrolle, Planung und Verwertung dieser Grundstoffe ermöglichen. Dieses Vorhaben ging als "Schuman-Plan" in die Geschichte ein. Erst später wurde bekannt, daß die Grundideen aus der Feder des französischen Wirtschaftsberaters Jean Monnet stammten.

Hauptziel der Überlegungen war es, die deutsch-französische Erbfeindschaft dauerhaft zu beseitigen und damit eine Keimzelle der europäischen Bewegung zu bilden. Am 18. April 1951 wurde der Vertrag zur Gründung der EGKS unterzeichnet. Erstmals war es gelungen, einen bisher in nationalstaatlicher Hand liegenden maßgeblichen Wirtschaftsbereich auf eine internationale Organisationsebene zu übertragen. Noch vor Inkrafttreten des Vertrages zur Montanunion zum 23. Juli 1952 wurde im Mai gleichen Jahres der Vertrag zur Gründung einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) unterzeichnet. Treibende Kraft der EVG war der damalige französische Premierminister René Pleven, der die Idee der "Europaarmee" gebar.

Auch hier schwang die stets präsente Angst vor dem Wiedererstarken eines deutschen Machtanspruches mit. Mit deutschen Streitkräften in einer europäischen Einheitsarmee sollte einer deutschen Wiederaufrüstung dauerhaft ein Riegel vorgeschoben werden. Zeitgleich zur Verteidigungsgemeinschaft sollte zudem eine Europäische Politische Gemeinschaft (EPG) ins Leben gerufen werden, die unter anderem die Außenpolitik der Mitgliedsstaaten koordinieren sollte. Letztlich konnten sich die Mitgliedsstaaten jedoch nicht einigen, in welchem Umfang nationale Souveränitätsrechte an die EPG abgetreten werden sollten. Am 30. August 1954 scheiterte das Vertragswerk schließlich in der Abstimmung der französischen Nationalversammlung. Die Idee einer politischen Union war vorerst gestorben. Es galt also, das Thema europäische Integration unter einem anderen Blickwinkel neu anzugehen. So legte im April 1955 der niederländische Außenminister Johan W. Beyen dar, daß eine langfristige politische Einheit nur dann denkbar sei, "wenn wir an das Problem unter dem Gesichtswinkel der Gesamtwirtschaft herangehen".

Plan war ein immer engerer Zusammenschluß der Völker

Auf der EGKS-Konferenz im sizilianischen Messina Anfang Juni 1955 beschlossen die Außenminister der sechs Mitgliedsstaaten, eine Kommission unter dem Vorsitz des belgischen Außenministers Paul-Henri Spaak einzusetzen, die die europäische Integration auf gesamtwirtschaftliche Bereiche ausdehnen sollte. Weitere Nahrung erhielten die Bestrebungen durch die saarländische Volksabstimmung am 23. Oktober 1955 und die damit verbundene Angliederung des "Saargebiets" als Bundesland der Bundesrepublik zum 1. Januar 1957. Gerade den französischen Nachbarn war dies aufgrund der ertragreichen saarländischen Kohle- und Stahl-Produktionsstätten ein Dorn im Auge.

Am 6. Mai 1956 legte der belgische Außenminister Spaak seinen EGKS-Amtskollegen einen Bericht über den Entwurf von Gemeinschaftsverträgen zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und der Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom) vor, der am 29. Mai auf einem Außenminister-Treffen in Venedig genehmigt wurde. In dieser Runde wurde beschlossen, zwischenstaatliche Verhandlungen zum Abschluß von Verträgen zur europäischen Wirtschaftsgemeinschaft sowie zur Gründung der europäischen Atomgemeinschaft aufzunehmen. Diese Verhandlungen begannen bereits vier Wochen später in Brüssel. Am 25. März 1957 unterzeichneten die Außenminister "Kerneuropas" (Frankreich, Italien, Bundesrepublik Deutschland, Belgien, Niederlande und Luxemburg) in der italienischen Hauptstadt schließlich die "Römischen Verträge".

Das wichtigste Ziel der EWG wurde bereits in der Präambel des 248 Artikel umfassenden Vertrages definiert, nämlich "die Grundlage für einen immer engeren Zusammenschluß der europäischen Völker" zu schaffen. Kernstück der EWG war eine Zollunion, die zunächst zwischen den sechs Mitgliedsstaaten geschaffen werden sollte.

Die deutsche Teilung wurde im Zusatzprotokoll geregelt

Zudem sollte stufenweise ein gemeinsamer Zolltarif gegenüber allen Außenländern geschaffen werden. Die wichtigsten Ziele des EWG-Vertrages waren unter anderem die Abschaffung der Zölle und mengenmäßigen Beschränkungen innerhalb von 15 Jahren, eine gemeinsame landwirtschaftliche Marktordnung, eine gemeinsame Verkehrspolitik sowie gemeinsame Wettbewerbsregeln im Sinne eines grundsätzlichen Kartellverbots. Die die Gemeinschaft betreffenden Probleme, die aus der deutschen Teilung resultierten, wurden in einem Zusatzprotokoll geregelt. Kritiker sehen bis heute in den Römischen Verträgen den Einstieg in die Aushöhlung des Nationalstaates. Befürworter argumentieren dagegen, aufgrund der engen wirtschaftlichen Verbindungen sei es gelungen, eine Stabilisierung der europäischen Politik zu erzielen und die Zeit des Kalten Kriegs zwischen zwei starken Machtzentren autonom zu überstehen.

Foto: Unterzeichnung des Römischen Vertrags am 25. März 1957, Deutschland wurde durch Bundeskanzler Adenauer und Außenstaatssekretär Walter Hallstein vertreten: Die Saar-Abstimmung hatte die Vertragsunterzeichnung verzögert


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen