© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/07 16. März 2007

Trojanisches Pferd der ewigen Weisheit
Zum hundertsten Geburtstag des rumänischen Religionsphilosophen Mircea Eliade ist eine beachtenswerte Biographie erschienen
Baal Müller

Man hat Mircea Eliade den "Einstein der Religionswissenschaft" genannt - einer Disziplin, die er nicht nur wie kaum ein anderer geprägt, sondern als eigenständige Fachrichtung mitbegründet hat; zweimal war der Gelehrte und Schriftsteller, der mit Romanen wie "Das Mädchen Matreyi" und "Der verbotene Wald" einen fast ebenso großen Ruhm wie mit seinen Werken über "Yoga", über "Schamanismus und archaische Ekstasetechnik", "Kosmos und Geschichte", "Das Heilige und das Profane" errungen hat, für den Literaturnobelpreis vorgeschlagen, und der Lehrstuhl, den er an der Universität Chicago seit 1957 bekleidete, trägt heute seinen Namen.

In seinem Heimatland Rumänien ist der am 13. März 1907 in Bukarest geborene Denker des Mythischen selbst zu einer Art Mythos geworden: Bereits in den zwanziger Jahren das gefeierte frühreife Haupt einer Bewegung junger Intellektueller, die, meist nur "die Generation" genannt, das Land im Südosten Europas geistig zu revolutionieren und aus seiner kulturellen Abhängigkeit vom Westen zu führen suchten, hatte er - zumindest in den Augen vieler Kritiker - einen nicht geringen Anteil daran, die 1927 von Corneliu Codreanu gegründete christlich-faschistische "Legion Erzengel Michael" salonfähig zu machen. 1940 - zwei Jahre nach der Ermordung ihres "Capitan" im Auftrag des diktatorisch agierenden Königs Carol II. - kam es sogar zu einer kurzzeitigen Regierungsbeteiligung der meist "Eiserne Garde" genannten Bewegung.

Nach dem Krieg war der zunächst in Paris, später in den USA lebende Eliade für viele seiner Landsleute der prominenteste Repräsentant rumänischer Kultur, weshalb sogar das Ceauşescu-Regime, das seit den sechziger Jahren eine gewisse Unabhängigkeit von Moskau betonte, dem erklärten Antikommunisten strategisch motivierte Avancen machte. Der Umbruch der Jahre 1989/90 bewirkte nicht nur in Rumänien eine neuerliche Besinnung auf den am 22. April 1986 verstorbenen Denker, dessen phänomenologischer, an den religiösen Symbolen orientierter Ansatz seit den siebziger Jahren durch strukturalistische Methoden und die soziologische Reduktion von Religion auf ihre gesellschaftlichen Funktionen bedrängt worden war. Allerdings gilt das wiedererwachte Interesse nicht nur dem Religionsphilosophen, sondern insbesondere auch seiner umstrittenen Rolle als geistiger Wegbereiter der Legionärsbewegung, der er Ende der dreißiger Jahre auch als Mitglied angehört hat.

Diesen Fragen, welche schon zu Eliades Lebzeiten immer wieder - etwa von Gershom Scholem und Saul Bellow - gestellt worden sind, verspricht nun die umfassende, 2003 in Frankreich erschienene Biographie von Florin Turcanu "Mircea Eliade - Der Philosoph des Heiligen oder Im Gefängnis der Geschichte" Abhilfe zu schaffen, die anläßlich Eliades 100. Geburtstags soeben, von Silke Lührmann ausgezeichnet ins Deutsche übersetzt, in der Edition Antaios erschienen ist. Turcanu hat nicht nur aufgrund seiner intimen Kenntnis des gewaltigen mehrsprachigen Gesamtwerks sowie seiner eingehenden Konsultation von Archiven und Zeitgenossen, sondern vor allem dank seiner sachlich-souveränen Zugangsweise ein Standardwerk vorgelegt. Ohne Verdammung und Glorifizierung - im Detail jedoch mit einer manchmal überraschenden Strenge hinsichtlich der "Verstrickungen" seines Forschungsgegenstandes - wird Eliade in seiner persönlichen, wissenschaftlichen und literarischen Vielschichtigkeit dargestellt - als Yogi, der sich drei Jahre lang in Indien aufhielt, als Bewunderer Gandhis und Codreanus, als komparatistischer Erforscher der Religionen sowie als religiöser Sucher, der sich zwischen seinem orthodoxen Christentum und der Sehnsucht nach einer religiösen Ursubstanz bewegte, der er in schamanischen Techniken "primitiver" Völker oder im reichen Brauchtum der Balkanländer nachspürte - und nicht selten verweist diese Vielschichtigkeit auch auf eine Zwiespältigkeit seines Charakters und seiner Existenz: Schon das stets "offiziell" angegebene Geburtsdatum am 9. März ist falsch, denn da sein Taufname auf keinen Schutzheiligen des orthodoxen Kalenders zurückgeht, hat seine Familie seine Geburt einfach auf den Tag der vierzig Märtyrer vorverlegt, und sein Familienname lautete ursprünglich "Ieremia", bis ihn sein nach gesellschaftlicher Anerkennung strebender Vater in "Eliade", einen latinisierten Namen griechischer Herkunft, umwandelte.

Der Ehrgeiz des Emporkömmlings, der bereits den jugendlichen Eliade ständig zwischen Strebsamkeit und Provokationslust schwanken läßt, sollte später dazu führen, daß sich sein Denken immer wieder um seine "geistige Stellung", seine vollendeten oder projektierten Werke sowie nicht zuletzt um Erfolg und Anerkennung drehte, weshalb er ängstlich darauf bedacht war, seine - gleichwohl auf privater Ebene weitergepflegten - Kontakte zu anderen ehemaligen "Legionären" zu verheimlichen oder herunterzuspielen.

"Ein trojanisches Pferd der philosophia perennis", der ewigen Weisheit, im Wissenschaftsbetrieb nannte er sich in der Antwort auf einen Brief Julius Evolas, in dem ihm der italienische Esoteriker indirekt vorhielt, sich zu sehr den herrschenden Mächten anzubiedern. Eliades Antwort vermag nicht ganz zu überzeugen; in der Tat hat sich Eliade den Verhältnissen auch aus Karrieregründen angepaßt, statt einen "reinen Weg" zu verfolgen - andererseits führte diese Anpassung dazu, die Wissenschaft um Erkenntnisse zu bereichern, die ihr sonst womöglich verborgen geblieben wären, und - was noch wichtiger ist - sie verlieh dem esoterisch-religiösen Denken eine intellektuelle Überzeugungskraft, die es in Gestalt der sich als Offenbarungen ausgebenden Behauptungen Evolas nicht besitzt.

Vielleicht resultiert aus diesem Zwiespalt die eigentümliche und durchaus fruchtbare Mittelstellung der Eliadeschen Religionswissenschaft zwischen der Scylla der traditionellen Theologie, die den Glauben, und der Charybdis des modernistischen Blicks auf die Religion, der die Wissenschaft verabsolutiert.

Florin Turcanu: Mircea Eliade - Der Philosoph des Heiligen oder Im Gefängnis der Geschichte. Eine Biographie. Edition Antaios, Schnellroda 2006, gebunden, 484 Seiten, 34 Euro

Foto: Mircea Eliade: Kein "reiner Weg"


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