© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/07 16. März 2007

Der Schwule und die Spießer
DVD: "Anders als du und ich" von Veit Harlan
Martin Lichtmesz

Veit Harlan, der Prestige-Regisseur des Dritten Reichs, konnte im Gegensatz zur genialeren Leni Riefenstahl nach einer kurzen Phase des Berufsverbotes bereits ab 1950 wieder kontinuierlich Filme drehen. Die meisten dieser Melodramen, in denen wie gehabt Harlans Gattin Kristina Söderbaum die Hauptrolle spielte, sind heute zu Recht vergessen. 1957 allerdings drehte Harlan einen ebenso bemerkenswerten wie berüchtigten Film, den nun die Edition Filmmuseum nach Jahrzehnten auf DVD wieder greifbar gemacht hat.

"Anders als du und ich", Alternativtitel "Das dritte Geschlecht", griff ein heißes Eisen auf. Es handelt sich wohl um die einzige Mainstream-Produktion der 1950er Jahre überhaupt, die (männliche) Homosexualität offen thematisiert. Paula Wessely spielt eine Mutter, die wegen sogenannter "Kuppelei" vor Gericht gestellt wird. Sie soll das Hausmädchen Gerda (Ingrid Stenn) angestiftet haben, ihren eigenen Sohn Klaus (Christian Wolff in einer frühen Rolle) zu verführen, um ihn von dem "ungesunden" homoerotischen Einfluß seines Freundes Manfred und vor allem des zwielichtigen Kunsthändlers Dr. Winkler (Friedrich Joloff) zu "heilen".

Auf den ersten Blick mag "Anders als du und ich" wie das schwulenfeindliche Pendant zu Harlans antisemitischem Hetzfilm "Jud Süß" erscheinen: So wird die Welt des Dr. Winkler plakativ mit dem NS-Argument der "entarteten Kunst" dämonisiert. Abstrakte Malerei, "musique concréte" (von Elektronik-Pionier Oskar Sala!) und "unheimliche" Beleuchtung im Stil des expressionistischen Stummfilms sollen eine krankhafte, "perverse" Atmosphäre vermitteln. Allerdings empfand die zeitgenössische Kritik diese Kombination eher als Diffamierung der modernen Kunst, und dem Regisseur wurde gar vorgeworfen, sich der Homosexualität allzu verständnisvoll genähert zu haben.

Tatsächlich trat Harlan öffentlich für die Abschaffung des Paragraphen 175 ein - zu einem Zeitpunkt, als eine solche Stellungnahme weder opportun noch karrierefördernd war. Zensurbestimmungen zwangen ihn, Szenen, in denen Homosexuelle positiv gezeigt wurden, herauszuschneiden oder neu zu drehen. In der überlieferten Fassung finden sich weitere Ambivalenzen: So sind die Verfolger, Klaus' Vater, sowie Ärzte und Polizisten, durchweg und eindeutig als unsympathische Spießer gezeichnet. Wenn Dr. Winkler (Darsteller Joloff war auch im "richtigen" Leben offen homosexuell) den Wunsch äußert, sich in ein Land abzusetzen, wo "sich die Polizei nicht dauernd ins Privatleben einmischt", dann ist Harlan ganz auf seiner Seite.

Kontrovers empfand man damals jedoch nicht nur den homosexuellen Aspekt des Films: die Sequenz, in der Gerda Klaus verführt, mag heute zum Teil albern wirken, enthält jedoch für ihre Entstehungszeit erstaunlich viel nackte Haut und endet mit einer glaubwürdigen, quasi-pornographischen Einstellung auf dem wollustverzerrten Gesicht des Mädchens. "Anders als du und ich" ist ein janusköpfiger Film, der gerade wegen seiner inzwischen absurd wirkenden Sittenkonflikte ungeheuer aufschlußreich ist.


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