© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/07 16. März 2007

Die Palette eines Sonderlings
Ausstellung: Die Frankfurter Schirn gibt Einblick in Odilon Redons Lebenswerk
Claus-M. Wolfschlag

Die um die Wende zum 20. Jahrhundert virulente Kunstströmung des Symbolismus kann zweifellos als eine ambivalente Reaktion wider die Aufklärung verstanden werden. Der Verlust religiös-spiritueller Bindung und die zunehmende Durchdringung der menschlichen Lebenswelt mit angeblich wissenschaftlich-rationalen Denkmustern waren immer wieder auch von gegenteiligen Phasen eines aufleuchtenden Irrationalismus durchwoben. Nicht grundlos erinnern manche der nächtlich-dunklen Bilder des Symbolisten Odilon Redon, welchem nun eine große Retrospektive in der Frankfurter Kunsthalle Schirn gewidmet ist, ein wenig auch an die Malerei der Romantik, beispielsweise eines Arnold Böcklin. Frühe Arbeiten wie "Dante und Vergil in der Ebene" (1865) oder "Die Landschaft mit großer Eiche" (1868) scheinen gar an Naturmotive Caspar David Friedrichs angelehnt.

Die Kunsthalle Schirn präsentiert hingegen andere Vor- und Leitbilder Redons: Leonardo da Vinci, dessen Werke der Maler kopierte. Goya, dem er eine Folge von sechs Lithographien widmete. Wagner, von dessen Werk er sich thematisch anregen ließ. Aber auch Einflüsse Dürers, Rembrandts, von Delacroix und Manet wirkten auf den 1840 als Sohn eines wohlhabenden französischen Grundbesitzers geborenen Odilon Redon.

Prägend für Redon war sicherlich auch die einsame Kindheit. Der unter epileptischen Anfällen leidende Junge, dem man keine lange Lebenszeit zutraute, mußte fern von Vater, Mutter und Geschwistern aufwachsen. Die Eltern gaben ihn frühzeitig in die Obhut einer Amme und eines alten Onkels. Dessen Weingut im französischen Medoc, zwischen öden Mooren, Felsbrocken und hohen Baumgruppen, scheint stark auf den als introvertiert und sonderbar beschriebenen Buben gewirkt zu haben. Oft kehrt die offenbar traurige Landschaft der Kindheit in der späteren Bildwelt wieder.

Redons Kunst - und dies mag manche progressiv gestimmten Kritiker bis heute die Nase rümpfen lassen - entzieht sich allzu direkten Eindeutigkeiten. Vielschichtig angelegt und auf subjektiven Innenwelten beruhend, eröffnet dieses Werk dem Betrachter am ehesten Zugang, wenn er sich emotional darein fallen läßt: so, als würde er sanft in einen leichten Traum hineinfliegen. Und so wundert es nicht, daß sich Redon mehrfach mit dem Komplex Psyche und Traum auseinandergesetzt hat. Bilder von düsterer Kraft entstanden daraus: ein "Spieler", der zwischen kahlen Baumstämmen einen riesigen Würfel auf dem Rücken trägt. Ein monumentaler Augapfel zwischen antiken Säulen schwebend. Ein Kopf mit Haube auf einer Obstschale liegend. Überhaupt wimmelt es von seltsamen Phantasiegestalten in dieser Schau: ein skelettierter "Waldgeist" (1880), dem Äste aus den Ohren wachsen. Ein fliegendes Gebiß im Bücherregal in "Die Zähne der Berenice" (1883) oder eine "lächelnde Spinne" von 1881 mit fast menschlichem Antlitz zwischen langen dürren Beinen.

Anschaulich versteht es die Schau, Redons Entwicklungsphasen zu dokumentieren. Auf romantisch-mythologische Motive folgt eine lange Zeit mit dunklen Kohlezeichnungen, von naiv-träumerischer Bildwelt oder mit kühlem Schauder behaftet. Schließlich öffnet sich Redon in seinem Spätwerk wieder einem breiteren Farbspektrum. Einzelne Motive kehren als Varianten immer wieder, so das Profil einer jungen Frau, sich schließlich fast in sanftem Gelb-Grün auflösend, ein segelndes Paar oder Apoll mit seinem Pferdewagen. Ein sattes Blau tastet sich dabei bald in manches Bild und nimmt damit fast die reinen Farb­räume eines Yves Klein vorweg.

Kurz nach dem 90. Todesjahr des 1916 verstorbenen Künstlers Redon zeigt die Frankfurter Schirn somit einen informativen Einblick in dessen sperrige und teils verschrobene Bildwelt.

Die Ausstellung ist bis zum 29. April in der Schirn Kunsthalle, Römerberg, täglich außer montags von 10 bis 19 Uhr, Mi./Do. bis 22 Uhr, zu sehen. Tel.: 069 / 29 98 82-0

Foto: Odilon Redon, Schmetterlinge (Öl auf Leinwand, ca. 1910): Neben romantischen Motiven wimmelt es in Redons verschrobener Bildwelt von seltsamen Phantasiegestalten und düsteren Ahnungen


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