© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/07 16. März 2007

Pankraz,
M. McLuhan und die grausamen Masseure

Buchstaben machen Geschichte. Ein "e" rückt irrtümlich an die Stelle eines "a", und schon fängt der Zeitgeist an zu rotieren und eine neue Epoche beginnt, die "Epoche der Medien".

So jedenfalls sieht es Professor Günter Herrmann aus München, der in einem amüsanten Zeitungsleserbrief (vorige Woche in der FAZ) darauf hinweist, daß der berühmte kanadische Medienphilosoph Herbert Marshall McLuhan (1911-1980) keineswegs geschrieben habe: "The medium is the message" (Das Medium ist die Botschaft), wie heute jedermann glaubt. Vielmehr laute der betreffende Buchtitel bei McLuhan: "The medium is the massage" (Das Medium ist die Massage). Die Sache mit dem "e" sei die (Un-) Tat fahrlässiger Interpreten.

Die Recherche von Pankraz ergibt freilich: McLuhan hat zwar nie ein Buch mit dem Titel "Das Medium ist die Botschaft" herausgebracht, allerdings, er wollte es herausbringen. Das Manuskript war ordnungsgemäß und termingerecht beim Verlag abgeliefert, die Druckfahnen kamen zur Endkorrektur zurück - und da sprang schon auf dem ersten Blatt ein monumentaler Druckfehler ins Auge, statt "message" stand da "massage".

McLuhan und sein Co-Autor Quentin Fiore griffen automatisch zum Rotstift, doch dann dachten sie ein zweites Mal nach, und plötzlich gefiel ihnen die Irrtumsfassung besser als das Original. So berichtet es Fiore, und so ist es in die Literatur eingegangen. Eine Massage, so hätte McLuhan gutgelaunt argumentiert, ist auch eine Botschaft, sogar eine drastische. Massage oder Botschaft, es läuft aufs Gleiche hinaus. Das ("künstliche") Medium gehört zum Menschen dazu wie die ("natürlichen") Arme oder Beine, beide "massieren" ihre Um- und Mitwelt, indem sie ihnen "Botschaften" vermitteln. Es bleibt dabei: Das Medium ist die Botschaft.

Wie recht McLuhan mit dieser seiner Jahrhundertformel gehabt hat, zeigte die folgende Entwicklung. Die künstliche Medialität wurde gewissermaßen zu unser aller Schicksal. "Die Politik ist das Schicksal", hatte einst Napoleon deklariert. Später wandelte man das ab zu: "Die Wirtschaft ist das Schicksal." Und in Zukunft wird es vielleicht wieder einmal heißen: "Die Religion ist das Schicksal." Was aber die Gegenwart betrifft, so wird diese eindeutig von der Devise beherrscht: "Die Medien sind das Schicksal." Politik, Wirtschaft und Religion hängen heute in geradezu osmotischer Weise von dem ab, was in den Medien passiert.

Nie zuvor in der Geschichte der Menschheit hat die "vermittelte", also durch künstliche Medien beförderte und aufrechterhaltene Kommunikation zwischen den Individuen, Klassen und Völkern eine derart dominierende Rolle gespielt wie heute. Ein modernes Sprichwort drückt es treffend aus: "Was nicht in den Medien ist, existiert nicht." Und diese Medien werden, genau wie es McLuhan in den sechziger Jahren beschrieben hat, immer künstlicher, immer technischer und virtueller.

Von der archaischen, durch Modulation und Gestik aufbereiteten Priestersprache, von Opferritus und kultischem Maskentanz führte der Weg über Erzählung und Schrift, Theater und Malerei, Flugblatt und gedruckte Presse bis zu den modernen elektrischen und elektronischen Medien, Telefon und Radio, Film und Fernsehen, Computer und Internet. Und kein Medium hat dabei, worauf ebenfalls schon McLuhan hinwies, ein anderes, voraufgehendes vollständig ersetzt.

Theater und Schrift behaupteten sich neben Fernsehen und Information per Megabits, gedruckte Presse und herkömmliche Bilderproduktion neben Internet und Computersimulation. Das Miteinander und die Konkurrenz der Medien verdichteten und vernetzten sich zu einem ungeheuren, schier grenzenlosen Medienkomplex, und dieser Komplex umspannt nun den modernen Menschen wie ein Kokon die Seidenraupe.

Längst haben sich "die Medien" innerhalb des allgemeinen Sozialverbunds verselbständigt und gehorchen streckenweise nur noch eigenen, aus ihrer inneren Mechanik sich ergebenden Verabredungen und Komments. Ein System medialer Codes hat sich entwickelt, das alle Politiker, Wirtschaftsführer und Terroristen genau kennen und auf das sie sich einstellen müssen, um Effekt zu machen und ihre Absichten verwirklichen zu können.

"Die Medien" sind zu einer Art neuem Leviathan, einem allmächtigen und allzuständigen Gewaltentier geworden, mindestens so mächtig wie der klassische Leviathan des Thomas Hobbes. Man muß das Monster studieren und durchschauen, um sich mit ihm arrangieren zu können. So kamen die "Medienforscher" und die "Medienphilosophen" ins Spiel. Marshall McLuhan war einer der ersten und gleich einer der klarsichtigsten.

Was sind die Ursachen und der Sinn dieser Eruption von Medialität, so fragte er sich. Waltet hier eine gleichsam naturhistorische Notwendigkeit, mußte es so kommen? Oder drückt sich darin eine weltgeschichtlich eher zufällige Krankheit aus, eine Deformation bzw. Verirrung der Menschheit? Hat sich etwa die Massage, an sich doch eine wohltätige und wohltuende Angelegenheit, unter der Hand in ein grobes, blindes Einschlagen auf wehrloses Fleisch verwandelt? Sind die modernen "Medienvertreter" nichts als verrückt gewordene Masseure?

Pankraz gefällt und beeindruckt solch grundsätzliches Fragen. Er hat sich an ihm ein Vorbild genommen und legt nun selbst ein Buch vor, das soeben fertig geworden ist und auf der kommenden Leipziger Buchmesse präsentiert werden wird: "Maske und Mimesis. Eine kleine Philosophie der Medien" (Edition Antaios).

Gewidmet ist das Buch Marshall McLuhan (und dem leider vor einigen Tagen verstorbenen Jean Baudrillard). Das heißt aber nicht, daß es dem Leser ein "a" für ein "e" vormachen will, ganz im Gegenteil. Die medialen Masseure werden rehabilitiert, zumindest ihr Berufsstand. Wer im Namen der Medien blind zuschlägt, ist kein guter Botschafter.


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