© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/07 16. März 2007

Streit um Internet-Pranger
Sachsen: Nach der Ermordung eines neunjährigen Jungen in Leipzig wird im Freistaat über Maßnahmen zum Schutz vor Sexualtätern diskutiert
Paul Leonhard

Mit seinen Ideen zum Schutz der Bevölkerung vor Sexualstraftätern hat sich der sächsische Innenminister Albrecht Buttolo zu weit vorgewagt. Insbesondere die Forderung des Christdemokraten nach einem allen Bürgern zugänglichen Internet-Register, das unter anderem den aktuellen Wohnsitz aus der Haft entlassener Sexualstraftäter enthalten soll, ist einhellig auf Ablehnung gestoßen.

Populistisch, ungeeignet und verfassungswidrig seien die Pläne des Ministers, sagte Sachsens Datenschutzbeauftragter Andreas Schurig. Der Pranger gehöre nicht zur bundesdeutschen Rechtsordnung und bewirke im schlimmsten Fall Selbstjustiz. Auch die Gewerkschaft der Polizei sprach von "verfassungswidrigem Populismus". Statt Bürger oder Bürgerwehr gegen eventuell zugezogene Sexualstraftäter zu mobilisieren, sollten die Innenminister lieber ihre Hausarbeiten erledigen. Die sächsische Staatsregierung täusche Handeln nur vor, kritisierte die Linksfraktion in Dresden. Im Freistaat würden Recht und Gesetz je nach aktueller Stimmungslage mit Füßen getreten. Sie forderten Ministerpräsidenten Georg Milbradt (CDU) auf, seinen Innenminister zu entlassen. Vorausgegangen waren nicht nur als verfassungswidrig eingestufte Vorstöße Buttolos wie zur Erstellung einer Anti-Terro-Datei und der Entwurf eines verschärften Polizeigesetzes, sondern auch mehrere Vorfälle mit Sexualstraftätern in Sachsen, bei denen das Agieren von Polizei und Justiz hilflos und völlig unkoordiniert wirkte.

97 Ausbrüche in den vergangenen vier Jahren

Für eine weitere Verunsicherung der Bürger sorgte jetzt die Ermordung eines neunjährigen Jungen aus Leipzig und die Flucht eines Insassen aus dem Maßregelvollzug im Großschweidnitz. In den vergangenen vier Jahren waren 97 Insassen aus den sieben sächsischen Anstalten entwichen, in denen straffällig gewordene Suchtkranke untergebracht sind.

Parallel dazu beschäftigt die Öffentlichkeit der Fall eines 1999 wegen mehrfachen schweren sexuellen Kindesmißbrauchs zu acht Jahren Haft verurteilten Mannes, bei dem es um eine nachträgliche Sicherheitsverwahrung geht. Dazu kommen Aussagen von Sexualwissenschaftlern, daß das Rückfallrisiko beiSexualstraftätern extrem hoch ist.

Mit seinen Forderungen nach einer DNA-Probe von jedem verurteilten Sexualstraftäter, nach einem automatischen Datenabgleich zwischen Meldeämtern und Polizei und sogar nach der Aufhebung des Schutzes der Privatsphäre von Tätern zugunsten des Opferschutzes hätte der Innenminister bundesweit wohl weitgehend uneingeschränkten Beifall bekommen. Mit der Idee einer jedermann zugänglichen Sexualstraftäter-Datei hat er sich selbst innerhalb der Sachsen-Union ins Abseits gestellt. Justizminister Geert Mackenroth (CDU) reagierte äußerst zurückhaltend. Durch einen Internet-Pranger werde die Sicherheit in Deutschland nicht erhöht.

"Verantwortungsloser Unfug"

Und sogar die CDU-Landtagsfraktion ging inzwischen auf vorsichtige Distanz. So beschränkte Volker Bandmann, innenpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion, sein Verständnis darauf, daß eine Diskussion in Gang gekommen sei. "Uneingeschränkte Unterstützung bei der Umsetzung" genießt Buttolo bei seinen Parteifreunden nur für das "verfassungsrechtlich Mögliche und Machbare". Und dazu gehört offenbar nicht die öffentliche Sexualstraftäter-Datei. Selbst dem Görlitzer Bandmann, sonst eben nicht zimperlich, wenn es um eine Erweiterung polizeilicher Befugnisse geht, war nicht ganz wohl angesichts des Äußerungen des Ministers. Man wolle die Vorschläge prüfen: "Was dabei geht, müssen wir sehen." Bandmann ist klar, daß spätestens das Bundesverfassungsgericht ein derartiges Register untersagen würde.

Auf Bundesebene werden die Überlegungen zu einem öffentlichen zugänglichen Register ebenfalls abgelehnt. Von einem "verantwortungslosen Unfug" sprach Dieter Wiefelspütz, innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach (CDU) erinnerte an die "bitteren Erfahrungen", die andere Länder mir einem öffentlichen Pranger gemacht hätten. Mehr Erfolg dürfte eine bundesweite Straftäter-Datei haben, die lediglich von Strafverfolgungsbehörden eingesehen werden darf, wie sie Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Bayern planen.


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