© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/07 09. März 2007

Das Heilige ist eine unverlierbare Größe
Überlieferung und Erkenntnis: Nach dem Hoffnungsverlust von 1945 knüpfte Mircea Eliade Kontakte zu zwei Seelenverwandten
Karlheinz Weissmann

Am 26. März 1953, noch in seiner Pariser Zeit, schrieb Mircea Eliade einen Brief an den Wiener Altgermanisten Otto Höfler. Der Inhalt war kurz, denn es handelte sich nur um eine Anfrage, das Erscheinungsdatum der Bände 2 und 3 von Höflers Buch "Das Germanische Sakralkönigtum" betreffend, dessen erster Teil kurz zuvor veröffentlicht worden war. Auch der zweite Brief, den Eliade an Höfler sandte, enthielt eine solche Erkundigung, in diesem Fall ging es um die Fortsetzung von Höflers berühmter Abhandlung "Kultische Geheimbünde der Germanen".

Nebenbei bemerkt, wurde keines dieser Bücher jemals veröffentlicht. Aber das ist für unseren Zusammenhang ohne Belang, denn durch die erwähnten Briefe kam ein erster, wenn auch nur schriftlicher Kontakt zwischen zwei der bedeutendsten Religionswissenschaftler des 20. Jahrhunderts zustande. Über ein persönliches Zusammentreffen ist nichts bekannt, aber die Korrespondenz wurde bis zum Tod Eliades, 1986, aufrechterhalten. Eliade lud Höfler später, nachdem er den Lehrstuhl für Religionswissenschaft in Chicago übernommen hatte, zur Mitarbeit an der Zeitschrift History of Religions ein, Höfler sorgte für den Druck eines Hauptwerkes von Eliade in deutscher Sprache und erreichte später dessen Aufnahme in die Österreichische Akademie der Wissenschaften.

Was ihn mit Eliade verband, hat Höfler folgendermaßen ausgedrückt: "Die vergleichende Religionsforschung kämpft seit Jahrzehnten um die Grundfrage, ob die Allverbreitung des Religiösen sich evolutionistisch aus der allmählichen Sublimierung außerreligiöser Gedanken und aus letztlich animalisch-vitalen Instinkten herleiten lasse, oder ob die Quelle der gesamtmenschlichen Erscheinung des Religiösen in einer Ur-Beziehung des Menschengeistes zum Heiligen zu suchen sei." Eliade habe entscheidend dazu beigetragen, die "Grundfrage" zu gunsten der zweiten Position zu entscheiden: "Über die Bedeutung des Archetypischen, über die Zusammenhänge der Kultur mit den geistigen Urformen, über das Hineintreten des Kultes in das Überzeitliche und die rituelle Bindung der historischen Lebensordnungen an das Numinose, das Heilige und Zeitentrückte, hat Eliade Einsichten eröffnet, die ihn in die Reihe der bahnbrechenden Erschließer der historisch-überhistorischen Glaubensformen stellen."

Höfler und Eliade waren sich einig in der Annahme, daß das Heilige eine unverlierbare Größe sei und daß die Begegnung mit dem Ganz-Anderen den Menschen eigentlich erst zum Menschen mache. Sie waren sich auch einig in ihrem Antireduktionismus. Beide verfügten über außerordentliche Bildung und Kenntnisreichtum, was auch ihre Methodenskepsis erklärt. Sie hielten an der Überzeugung fest, daß Erkenntnis möglich und die Quellen tatsächlich aussagefähig seien. Ihrer Auffassung nach gab die Überlieferung verläßliche Auskünfte. Das ermutigte sie zu Synthesen, das heißt zu dem Versuch, tatsächlich ein Bild der Vergangenheit zu geben, von dem sie zwar wußten, daß es sich um ein Bild handelte, von dem sie aber glaubten, daß es der Realität möglichst nahe komme. Das erklärt weiter ihre Ablehnung der Annahme unterschiedsloser Primitivität der religiösen Ursprünge - das, was man landläufig "Naturreligion" nennt. Ihrer Meinung nach hatten sich relativ früh religiöse Denkfamilien ausgebildet, die spezifischen Vorstellungen anhingen.

Es ist insofern nicht unerheblich, daß Eliade in seinem zweiten Schreiben an Höfler darauf hinwies, daß er zuerst durch Georges Dumézil auf die "Geheimbünde" aufmerksam geworden sei. Der Indogermanist Dumézil gehörte zu den Förderern Eliades in Paris. Er hatte versucht, wenn auch vergeblich, ihm einen Lehrstuhl an der dortigen Universität zu vermitteln, und das Vorwort zu dessen "Traité d' histoire des religions" geschrieben. Darin bekennt auch er sich zur Notwendigkeit, die Ergebnisse der zahlreichen Einzeluntersuchungen "auf den Punkt" zu bringen.

Die geistige Verwandtschaft zwischen Eliade und Dumézil reichte aber darüber hinaus und erklärt sich aus dem besonderen Interesse, das beide an den indogermanischen Religionen nahmen. Eliade hat nicht nur in der magistralen Geschichte der religiösen Ideen, sondern auch in den Studien, die er zur Religionsgeschichte seiner rumänischen Heimat verfaßte, ausdrücklich die Vorstellung Dumézils von einer "dreigeteilten Weltanschauung" der Indogermanen übernommen. Die "idéologie triparti" bestimmte nach Dumézil nicht nur die Gesellschaftsordnung (eine Hierarchie von Priestern, Kriegern, Bauern und Hirten), sondern auch den Pantheon von Römern, Griechen, Slawen, Balten Germanen, Iranern und Ariern (der Gott der Magie an der Spitze, gefolgt von dem des Krieges, schließlich der der Fruchtbarkeit).

Die Frage, wieso sich dieses Konzept in so vielen antiken Gesellschaften findet und trotz späterer Überformungen immer noch erkennbar blieb, hat Dumézil seinerseits zu den Forschungen Höflers geführt. Dessen Studien über die Männerbünde dienten nicht nur dem Zweck, gegen alle völkischen Phantasten nachzuweisen, daß die germanische eine "archaische", auf Ekstatik und Bindung an das Numinose gegründete Religion gewesen sei, sondern auch der Klärung der Frage, woher die außerordentliche Prägekraft der indogermanischen Völker stammte, die im Verhältnis zu den von ihnen Unterworfenen immer in der Minderheit waren, aber regelmäßig ihre Institutionen und religiösen Leitvorstellungen verankern konnten.

Dumézil hätte wohl nicht wie Höfler von der "Konstanz und Kontinuität der staatenbildenden Instinkte" und "staatenbildenden Institutionen" der Indogermanen gesprochen, aber seine intensive - zuerst über die Sprachen laufende - Analyse der indogermanischen Mentalität zielte doch darauf ab, Strukturen festzustellen, die im Religiösen wie im Sozialen Bedeutung hatten und trotz der starken Veränderungen im Lauf der Geschichte erhalten blieben.

Diese Art der Betrachtung hat Dumézil eine Reihe politischer Verdächtigungen eingetragen, die sich indes als haltlos erwiesen. Anders als Eliade und Höfler übte er während der Zwischenkriegsjahre ideologische Zurückhaltung, und sicher gab es bei ihm immer eine sehr viel stärkere gefühlsmäßige Distanz zu seinem Forschungsgegenstand. Wenn er in einem Interview äußerte, er hätte ungern in einer von Druiden beherrschten Gesellschaft gelebt, glaubt man ihm das unbesehen. Verglichen damit war die Faszination, die Eliade und Höfler angesichts der archaischen Religiosität empfanden, ungleich größer. Sie erklärt auch, warum sie wie andere ihrer Disziplin - der Niederländer Jan de Vries und die Deutschen Jakob Wilhelm Hauer sowie Werner Müller und Otto Huth - in der einen oder anderen Weise hofften, eine direkte Wiederbelebung der ursprünglichen Religion zu erreichen. Daß diese Hoffnung trog, haben sie nach 1945 begriffen und sich einer Desillusionierung unterzogen, die ohne Zweifel schmerzhaft war.

Die Verbindung knüpften sie in der Nachkriegszeit vielleicht auch an, weil sie eine Seelenverwandtschaft beim jeweils anderen vermuteten. In den Jahren bis zur Kulturrevolution, die die westliche Welt erschütterte, hat das genügt, ihre Positionen neu zu befestigen. Auf Dauer sind sie aber nicht dem Schicksal derer entgangen, die im Weltbürgerkrieg auf der falschen Seite standen. Das gab ihren weniger begabten Gegnern die Möglichkeit zu - begründeten wie unbegründeten - Angriffen und die Chance, Erkenntnisse von Eliade und Höfler entweder auszubeuten oder zu verschweigen.

Wichtiger erscheint aber heute, daß die Reserve, mit der man ihnen über lange Zeit begegnete, weicht. Eine jüngere Generation von Wissenschaftlern empfindet Neugier gegenüber den Großen des Fachs, die auf der "Schwarzen Liste" stehen. Das ist besonders deutlich im Fall Höflers zu erkennen, der von angelsächsischen Wissenschaftlern mit einer Unbekümmertheit rezipiert wird, die mehr als erstaunlich ist. In bezug auf Eliade muß man sich noch in Geduld fassen, aber ein so reiches Werk wird immer Leser finden und irgendwann die Möglichkeit zu einer Wiederentdeckung des Meisterdenkers bieten.

Foto: Mircea Eliade (1907-1986): Erst die Erfahrung des Ganz-Anderen macht den Menschen zum Menschen

 

Leben und Werk Mircea Eliades

1907

Am 9. März in Bukarest als Sohn eines Hauptmanns geboren, verbringt Eliade seine frühe Kindheit in der rumänischen Provinz, je nachdem, wo der Vater gerade stationiert ist.

1917

Besuch des Gymnasiums, wo er durch schlechtes Betragen auffällt. Doch sind erste schriftstellerische Erfolge zu vermelden. Das Selbstbewußtsein des kurzsichtigen Jungen findet sich dadurch gestärkt.

1925

Vom Phänomen des Religiösen fasziniert, schreibt er sich nach dem Abitur am philosophischen Fachbereich der Fakultät ein. Hier trifft er auf den einflußreichsten Intellektuellen seiner Zeit: Nae Ionescu, dem es gelingt, eine ganze Generation von Studenten in seinen Bann zu ziehen und um die Zeitschrift Cuvântul zu sammeln. Eliade arbeitet dort als Redakteur.

1928

Abschluß des Studiums als Magister Artium. Mit einem Stipendium ausgestattet, schließt er ein weiteres Studium von Sanskrit und indischer Philosophie an der Universität Kalkutta an, das bis 1931 dauert. Er bringt aus Indien nicht nur genügend Material für ein ganzes Forscherleben mit, sondern auch eine Liebesgeschichte, die unter dem Titel "Maitreyi" zu einem großen belletristischen Erfolg wird. In jenes Mädchen, die Tochter seines Professors Dasgupta, hatte er sich heftig verliebt. Dasgupta verwies ihn daraufhin des Hauses. Nach seiner Rückkehr leistet Eliade zunächst seinen Militärdienst ab.

1933

wird er mit einer Arbeit über Yoga, die 1936 in Paris erscheint und Eliades Ruf als Religionswissenschaftler begründet, an der Bukarester Universität promoviert.

Die dreißiger Jahre sind in Rumänien durch die gewaltsamen politischen Auseinandersetzungen zwischen der Regierung und der christlich-faschistischen Eisernen Garde gekennzeichnet. Eliade gründet in dieser hektischen Phase die Gruppe Criterion, die in öffentlichen Veranstaltungen zu Gegenwartsfragen die Streitkultur pflegt, indem sie möglichst entgegengesetzte politische Lager zur Teilnahme einlädt.

1937

Eintritt in die Eiserne Garde, Eliade ergreift in Artikeln öffentlich das Wort für die Garde, getrieben von der Hoffnung auf ein nationales Wiedererstarken Rumäniens. Nachdem die Gewalt eskaliert, wird die Garde verboten, Eliade in einem Lager interniert. Die sich bald darauf abzeichnende Entspannung nutzt Eliade, um sich im Ausland in Sicherheit zu bringen.

1939

Bis dato (offiziell bis 1945) war er als Assistenzprofessor für Religionsgeschichte und indische Philosophie an der Universität Bukarest tätig.

1940

Eliade gelingt es, als Kulturattaché nach London berufen zu werden. Im folgenden Jahr arbeitet er in gleicher Position in Lissabon, das sich im kommenden Weltkrieg neutral verhält, aber deutliche Sympathien für die Achsenmächte zeigt. Deren Niederlage und die kommunistische Regierungsübernahme in Rumänien bringen Eliade in Bedrängnis, er flieht nach Paris. Gerüchte über seine Vergangenheit verhindern allerdings eine Berufung auf einen Lehrstuhl.

1956

wird er als Professor für Vergleichende Religionsgeschichte an die Universität Chicago berufen - eine Position, die er bis zu seinem Tod innehatte

1959

Ab diesem Jahr gibt Eliade gemeinsam mit dem Schriftsteller Ernst Jünger die Zeitschrift Antaios heraus (bis 1971).

1972

Auf dem Höhepunkt seines Ruhms beginnt ihn die Vergangenheit einzuholen. Sein Denken wird von Ionescus jüdischem Schüler Mihil Sebastian als gardistisch, faschistisch und nicht zuletzt antisemitisch enthüllt. Eliade fällt es schwer, auf diese Vorwürfe zu reagieren, da sie offensichtlich stimmen, gleichzeitig aber am Kern der Auseinandersetzungen der dreißiger Jahre, des Weltbürgerkrieges der Ideologien, vorbeigehen. Seine Reputation als Wissenschaftler nimmt erheblichen Schaden. Eliade sollte es nie gelingen, klare Stellung zu beziehen und die Mißverständnisse aus dem Weg zu räumen.

1980

Eliade wird für den Nobelpreis nominiert. Daß er ihn nicht bekommt, kränkt ihn zutiefst.

1986

Am 22. April stirbt Eliade an einem Hirnschlag. Zuvor erfuhr er eine herausragende letzte Ehrung: Der Lehrstuhl in Chicago wurde nach ihm benannt, und damit erstmals nach einer lebenden Person.

Der Historiker Karlheinz Weißmann widmet sich im folgenden zwei Beziehungen Eliades: zum einen jener zu dem Wiener Altgermanisten Otto Höfler und zum anderen dem Kontakt mit dem Indogermanisten Georges Dumézil in Paris.


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