© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/07 09. März 2007

Zeitschriftenkritik: Scheidewege
Die Musik des Weltalls
Werner Olles

Herausgegeben von der Max Himmelheber-Stiftung, erscheinen die Scheidewege im 36. Jahrgang. Bis 1983 als Vierteljahresschrift und seither als Jahresschrift haben sie nicht nur die ökologische Bewegung philosophisch begleitet, sondern auch in anderen relevanten gesellschaftlichen Bereichen, in der Naturwissenschaft und in der Technik, in der Anthropologie und in der Pädagogik, in Politik und Soziologie prägende Akzente gesetzt und kritische Anmerkungen und Gebrauchsanweisungen gegeben. Nicht ohne Grund lautet doch der Untertitel "Jahresschrift für skeptisches Denken", und in der Tat wird die regelmäßig in Form eines dicken Buches erscheinende Schrift diesem Grundsatz vollauf gerecht.

So versammelt auch der Jahrgang 2006/2007 wieder eine Reihe Essays, Artikel, Polemiken und Bekenntnisse, deren Vielfalt den Leser angenehm überraschen. Schon die Lektüre des ersten Beitrags von Josef H. Reichholf "Wale im Sonnenuntergang" ist ein Lesegenuß ersten Ranges. Der Autor, Biologe, Geograph und Tropenmediziner schildert mit bewegenden Worten das Leben der letzten Giganten unter den Säugetieren, die majestätisch die Weltmeere durchpflügen, ihre Fontänen in den Himmel stoßen und in unvorstellbare Tiefen tauchen. Wie er die Schönheit und den Lebenskampf dieser Kreaturen in den Ozeanen beschreibt, das liest sich so aufrüttelnd und fesselnd wie ein modernes Epos.

Über "Novalis und die Ordensburg" schreibt der Philosoph, Germanist und katholische Theologe Karlheinz Gradl. Für Novalis entsprach die Topographie dieser Welt der romantischen Vorstellung vom Mittelalter als einer Zeit, "in der die Katholische Kirche in Europa sich sowohl als spirituelle wie auch als politische Welterklärungsmacht etabliert hatte". Scharf kritisierte er den Rationalismus der Aufklärung als "Einfall gegen die Religion" und generelle Bedrohung der menschlichen Fähigkeit, die Wirklichkeit als "unendliche Musik des Weltalls" wahrzunehmen. Im Gegensatz dazu beharrte er mit einer radikal ganzheitlichen Blickperspektive auf einer anti-aufklärerischen Position. Daß seine Vision eines Tages Bestandteil realer Politik in Gestalt der politischen Religion des Nationalsozialismus werden sollte, konnte der Dichter allerdings nicht ahnen.

Der Theologe und ehemalige Mitarbeiter Martin Luther Kings, Hans-Eckehard Bahr, kommt in seinem Essay "zur Philosophie des Verzeihens" zu dem Schluß, daß "religiös sensibilisierte Kräfte offenbar eher zu einer Haltung der politischen Versöhnung imstande sind als religiös unmusikalische". Gegenüber einer solchen Erkenntnis darf man jedoch angesichts der Entwicklung im Nahen Osten und des weltweit agierenden islamischen Terrors durchaus skeptisch sein. Und berechtigte Zweifel sind auch angebracht bei der Aussage, daß "Hitler und die Seinen die Provinzen des Ostens verspielt hatten", denn da zogen wohl ganz andere Mächte im Hintergrund ihre Fäden. Und "Versöhnung als Politikkategorie" setzt doch auf jeden Fall voraus, daß nicht nur die Millionen heimatvertriebenen Deutschen vergeben, sondern vor allem die Vertreiberstaaten endlich ihre schrecklichen Verbrechen bekennen und bereuen.

Anschrift: Hirzel Verlag, Birkenwaldstr. 44, 70191 Stuttgart. Preis 29,50 Euro. Weltnetz: www.scheidewege.de


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