© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/07 09. März 2007

Alles eine Frage der Zeit
Demographie: Angesichts eines alternden und schrumpfenden Volkes empfiehlt der Chef-Volkswirt der Deutschen Bank eine verstärkte Einwanderung
Fabian Flecken

Der Chef-Volkswirt der Deutschen Bank, Norbert Walter, war der prominenteste Redner auf der Jahrestagung, zu der die Deutsche Gesellschaft für Demographie (DGD) in der vergangenen Woche nach Berlin eingeladen hatte. Dabei sparte Walter in seinen Ausführungen nicht mit klaren Worten und beleuchtete - von der demographischen Krise ausgehend - die Situation Deutschlands aus volkswirtschaftlicher Sicht. Insbesondere seine Aussagen zur Einwanderung ließen aufhorchen.

Seiner Meinung nach wäre es aufgrund der sinkenden Zahl an jungen Deutschen "nicht ausreichend", nur hochqualifizierte Einwanderer anzuwerben. Auch sei über neue Wege wie die Einführung von Patenschaften nachzudenken, damit Einwanderer durch Deutsche in ihrer ersten Zeit in Deutschland persönlich unterstützt würden. Um aber einwanderungswillige Arbeitskräfte zu finden und hochqualifizierte Einheimische im Land zu halten, sei ein neues Steuersystem und eine Senkung der Sozialabgaben notwendig.

Als mahnendes Beispiel nannte er den verstärkten Weggang von Ärzten ins Ausland. Außerdem werde die Weiterbildung immer noch zu stiefmütterlich behandelt, hier sei "jedes Individuum" gefragt. Nach Ansicht Walters gäbe es aber auch die Möglichkeit, auf tarifvertraglicher Basis Urlaub und Weiterbildung miteinander zu koppeln. Besondere staatliche Förderungen lehnte er ab. In bezug auf die Lohnentwicklung in Deutschland sprach sich der 62 Jahre alte gebürtige Nordbayer für eine stärkere "Lohnspreizung" aus, also für noch weiter auseinanderklaffende Einkommen, die sich stärker am Markt orientieren sollten statt an tarifvertraglichen Regelungen.

Vorschulpflicht und Ausbau der Kinderbetreuung

Änderungen müßten seiner Meinung nach auch bei der Betreuung von Kindern vorgenommen werden. Eine Vorschulpflicht nach dem Vorbild Spaniens nannte der Diplom-Volkswirt genauso als richtungweisendes Beispiel wie den von der Bundesregierung geplanten Ausbau von Krippenplätzen für Kleinkinder. Die Quote der erwerbstätigen Frauen müsse auf ein ähnlich hohes Niveau wie etwa in Schweden oder Frankreich angehoben werden.

Walter sprach sich zudem für eine Beibehaltung des föderalen Ausbildungssystems in Deutschland aus, allerdings bei einer Stärkung des Wettbewerbs und einer Abschaffung der Kultusministerkonferenz.

Auf die "Rente mit 67" und das Beispiel des Dachdeckers angesprochen, der in diesem Alter unter Umständen für seine gefährliche Tätigkeit nicht mehr geeignet sei, entgegnete Walter, daß dies kein wirkliches Problem darstelle, da immer mehr Arbeitsplätze keine besondere körperliche Beanspruchung voraussetzten. Im Gegenteil, das Rentenalter müsse langfristig weiter angehoben werden.

In die Zukunft richtete er seinen Blick auch, als er vom zunehmenden globalen Druck sprach, dem Deutschland durch junge und dynamische Gesellschaften verstärkt ausgesetzt sei. Der technische Aufholprozeß anderer Weltregionen sei zudem unumkehrbar. Als mögliche Antwort nannte er die Verlängerung der Erwerbstätigkeit und die Aufstockung der wöchentlichen Arbeitszeit. Zusammen mit einer Verteilung der Produktivitätsgewinne auf die Arbeitenden statt auf die Rentner könnten diese Maßnahmen die Folgen der gesellschaftlichen Alterung mildern. Walter gab allerdings zu bedenken, daß solche Lösungsansätze Zeit brauchen.


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