© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/07 02. März 2007

Sein Paris liegt in Hollywood
„... jedes Loch genial“: In Berlin beginnt eine Retrospektive zum sechzigsten Todestag von Ernst Lubitsch
Michael Hofer

Von der Schönhauser Allee in Berlin über Babelsberg nach Hollywood, und von dort ins Pantheon der Allergrößten der Filmgeschichte führte der Weg des Regisseurs, Schauspielers und Produzenten Ernst Lubitsch. Am 30. November dieses Jahres jährt sich der Todestag des 1892 in Berlin geborenen Meisters der eleganten Komödie zum sechzigsten Mal.

Das Lubitsch-Jahr wird indessen jetzt schon triumphal begonnen: vom 1. bis 27. März präsentiert das Berliner Babylon-Kino das Werk Lubitschs in einer umfassenden Retrospektive mit insgesamt vierzig Filmen. Tochter Nicola Lubitsch wird als Ehrengast erwartet, der Dokumentarfilm „Ernst Lubitsch in Berlin“ uraufgeführt und eine Gedenktafel an dessen einstigem Wohnhaus enthüllt. Der Höhepunkt des Festivals ist jedoch ein am 10. und 11. März stattfindender „Stummfilm-Marathon“, an dem sämtliche erhaltenen Stummfilme Lubitschs in zweimal dreizehn Stunden hintereinander gezeigt werden – mit Live-Musikbegleitung von Stephan von Bothmer.

Seine Karriere begann Ernst Lubitsch als Statist, Kleindarsteller und Zweitbesetzung auf Theaterbühnen, bevor er zum Film kam, zunächst als Schauspieler. Später wechselte er ins Regiefach, von 1915 bis 1947 inszenierte er über siebzig Spielfilme. Davon am bekanntesten und populärsten ist heute sicherlich die Anti-Nazi-Komödie „To Be or Not To Be“ (Sein oder Nichtsein, 1942), die unlängst von Dani Levy für seinen mißglückten Film „Mein Führer“ (JF/07) geplündert wurde. Weniger bekannt als seine in den USA gedrehten Filme ist Lubitschs Frühwerk. Neben Fritz Lang, F.W. Murnau und G.W. Pabst gilt er als einer der Großen Vier des deutschen Stummfilms. Lubitsch entstammte dem jüdischen Bürgertum Berlins, sein Vater war ein wohlhabender Schneidermeister. Er besuchte das Sophien-Gymnasium und wurde gelernter Kaufmann. Es zog ihn jedoch schon früh zum Theater. 1911 wurde er Ensemble-Mitglied von Max Reinhardts Deutschem Theater. 1913 debütierte Lubitsch auch im Film als Schauspieler, 1915 als Regisseur. Er spezialisierte sich auf Komödien mit jüdischem Hintergrund wie „Schuhpalast Pinkus“ (1916) und „Meyer aus Berlin“ (1918). In Ossi Oswalda, die den Prototyp der frechen Berliner Göre verkörperte, fand er eine kongeniale Partnerin.

Lubitsch konnte aber auch anders. Er war erst 26, als er mit dem Monumentalstreifen „Die Augen der Mumie Mâ“ (1918) einen Welterfolg landete. Es folgten Kostüm- und Ausstattungsfilme wie „Madame Dubarry“ (1919) , „Anna Boleyn“ (1920), „Das Weib des Pharaoh“ (1921) und die Märchenphantasie „Sumurun“ (1920). Im Gegensatz zu vielen Filmen dieser Ära, die heute schwerfällig und unfreiwillig komisch wirken, sind Schauspiel, Witz und Inszenierung von Lubitschs Arbeiten erstaunlich frisch geblieben. Die größten Stars des deutschen Kinos wie Emil Jannings, Pola Negri oder Henny Porten traten in seinen Filmen auf. 1922 engagierte ihn Mary Pickford nach Hollywood, wo er sich in der Folge dauerhaft niederließ.

Mit Aufkommen des Tonfilms fand Lubitsch endgültig zu seinem charakteristischen Stil. Sein Markenzeichen wurde der sogenannte „Lubitsch-Touch“. Dieser läßt sich schwer auf einen Nenner bringen: Seine Ingredienzen sind Eleganz, Stil, sarkastischer Wortwitz, Nonchalance, subtiler Humor und eine gehörige Portion Erotik.

Schlagfertige Salonlöwen, charmante Gauner, glamouröse Verführerinnen sind die Protagonisten seiner meistens in der Oberschicht angesiedelten Liebesdreiecke. Sie bewegen sich in einer luxuriösen, tanzenden, unwirklichen Welt: Paris, Paramount, statt Paris, Frankreich. In „Ninotschka“ (1939) brachte Lubitsch es sogar fertig, die schwermütige Greta Garbo zum Lachen zu bringen: als stramme Kommunistin wird sie von dem Bonvivant Melvyn Douglas (mit obligatem Dreißiger-Jahre-Oberlippenbärtchen) genüßlich zur westlichen Dekadenz verführt.

Lubitschs Humor ist nicht von seinem raffinierten elliptischen Erzählstil zu trennen. Auf diese Weise schmuggelte er die verwegensten Andeutungen an der prüden US-Zensur vorbei. „Im Lubitsch-Emmenthaler“, schrieb François Truffaut, „ist jedes Loch genial.“ Damit wurde er zum Abgott aller Komödien-Regisseure, die sophistication dem slapstick vorziehen. Sein Schüler und Drehbuchautor Billy Wilder soll sich vor dem Inszenieren stets gefragt haben: „Wie hätte Lubitsch es gemacht?“ Als Wilder beim Begräbnis seines Meisters traurig murmelte „Kein Lubitsch mehr“, soll Regiekollege William Wyler entgegnet haben: „Schlimmer – keine Lubitsch-Filme mehr!“

Auf Billy Wilder soll auch die Idee zurückgehen, zehn Jahre nach Lubitschs Tod einen nach ihm benannten Preis für die beste komödiantische Leistung im deutschen Film zu vergeben. Ausgezeichnet wurde in diesem Jahr der Schauspieler Jürgen Vogel.

Sein gepflegter Wortwitz ist bis heute erstaunlich frisch

Das Festival im Berliner Babylon-Kino präsentiert die ganze Bandbreite von Lubitschs Schaffen. Neben den genannten Filmen gibt es zu sehen: die verspielte Groteske „Die Puppe“ (1919), lange verschollene Raritäten wie „Romeo und Julia im Schnee“ (1920), „Broken Lullaby“ (Der Mann, den sein Gewissen trieb, 1931), einen der wenigen „ernsten“ Filme des Regisseurs, „Design For Living“ (Serenade zu Dritt, 1933), Lubitschs vielleicht edelste Komödie, und last not least „Angel“ (Engel, 1937) mit Marlene Dietrich.

Eine Auswahl der deutschen Stummfilme ist übrigens als DVD-Box bei der Transit-Film erschienen: die „Ernst- Lubitsch-Collection“ enthält rare Perlen wie „Ich möchte kein Mann sein“ (1918), „Die Austernprinzessin“ (1919), „Die Bergkatze“ (1921), „Anna Boleyn“ und „Sumurun“.

Foto: Greta Garbo und Melvyn Douglas in „Ninotschka“ (USA, 1939): Ernst Lubitsch brachte sogar die schwermütige Schwedin zum Lachen


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