© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/07 02. März 2007

Überdehnt
Irak: Mit dem Abzug der Briten geht die Ära der „Willigen“ zu Ende
Günther Deschner

Vor vier Jahren, als US-Präsident George W. Bush nur mit Lügen und massivem Druck seine „Koalition der Willigen“ für den Irak-Krieg zusammenbekam, war Briten-Premier Tony Blair sein treuester Alliierter, so ergeben und kritiklos, daß er sich im Spott der Opposition und in spitzen Karikaturen als „Bushs Schoßhündchen“ wiederfand. Seine politische Glaubwürdigkeit hat durch diese Haltung irreparablen Schaden genommen. Als ausgerechnet er vergangene Woche eine Verringerung des britischen Truppenkontingents im Irak ankündigte und die Möglichkeit eines vollständigen Abzugs bis zum Frühling 2008 erwähnte, war die Überraschung groß.

Zu einer Zeit, in der Bush die Aufstockung der US-Truppen im Irak für zwingend hält, war die Meldung aus London zumindest schlechtes Timing. Zeitgleich hatte auch Dänemark angekündigt, bis August sein Irak-Kontingent ganz zurückziehen. Von der internationalen Willigen-Truppe ist dann nicht mehr viel übrig-geblieben: Nach Spanien, das 2005 den Anfang machte, hatten bereits Italien, die Niederlande, die Ukraine, Ungarn, Japan und andere ihre zusammen 10.000 Soldaten komplett abgezogen. So sehr war aus dem Feldzug „Iraqi Freedom“ (Freiheit des Irak) ein Synonym für politische Fehlkalkulation und militärisches Scheitern geworden, daß Kommentatoren weltweit spöttelten: „Bush bald allein im Irak?“

Bush übte sich in Schadensbegrenzung. Der Truppenabzug sei ein Indiz des Erfolgs, ließ er verlautbaren. Die Lage im Südirak, wo die Briten das Kommando haben, sei eben inzwischen soweit stabilisiert, daß die Iraker nun selbst für die Sicherheit sorgen könnten.

Allein der Zeitpunkt der Erklärungen aus London und Kopenhagen weist darauf hin, welch rapider Erosion Bushs Führungsanspruch im Bündnis unterworfen ist: Auf die in einer Woche anstehende und für Bush schwierige nächste Runde der Irak-Abstimmungen im US-Kongreß nahmen London und Kopenhagen mit ihren Ankündigungen keine Rücksicht. Die New York Times stellte bereits die etwas mehr als rhetorische Frage, ob „Das Ende der Allianz“ (so der Titel) bereits gekommen sei.

Soweit ist es vielleicht noch nicht. Doch einige Momente der Wahrheit finden sich in der Ankündigung des britischen Premiers auf jeden Fall. Etwa, daß gerade in Demokratien die Außenpolitik oft nichts anderes ist als eine Funktion der Innenpolitik. Bei dramatisch niedrigen Umfragewerten für sich und seine Partei, die vor allem aus einer zunehmenden Ablehnung des Irak-Krieges resultieren, stand Blair seit langem unter Druck, britische Soldaten aus dem Irak abzuziehen.

Wie George W. Bush ist auch Tony Blair ein politisches Auslaufmodell – und beide würden nur zu gerne als bedeutende Politiker in die Annalen eingehen. Mit der Behauptung, England könne im Irak eine Stufe zurückschalten, weil die Iraker inzwischen selbst einen Schritt voran gemacht hätten, hofft er vielleicht, einer in den Augen der Öffentlichkeit gescheiterten Mission doch noch einen Firnis von Sinn und Erfolg zu geben. Es ist zwar auch für Blair unbestreitbar, daß die Briten im Südirak und der Metropole Basra eine politische Struktur hinterlassen werden, die weitgehend von schiitischen Islamisten beherrscht wird, die kein Interesse daran haben, die Einheit des Irak zu erhalten. In Erinnerung soll aber bleiben, daß die britischen Besatzungstruppen wenigstens versucht hatten, eine politische Plattform zu schaffen, auf der sich die Sicherheitskräfte des „neuen Irak“ bewegen konnten. Daß die militärischen Ressourcen und auch das politische Mandat dazu fehlten, die Region von rivalisierenden Schiitenmilizen zu befreien, war von London eben nicht gewollt und auch nicht zu ändern.

Im britischen Unterhaus hat Blair seine Entscheidungen und Enttäuschungen etwas ausführlicher dargelegt. Er zeigte sich weiterhin überzeugt, daß es 2003 richtig war, den USA auch in den Irak-Krieg zu folgen. Zu dem übergeordneten Engagement im weltweiten „Kampf gegen den Terror“ bekannte er sich ausdrücklich. Dazu paßt, daß Blairs Verteidigungsminister Desmond Browne am vergangenen Dienstag die Entsendung weiterer eintausend britischer Soldaten nach Afghanistan bekanntgab. Auch Dänemark erwägt, seine Soldaten, die es aus dem Irak abziehen wird, an den Hindukusch zu verlegen. Offenbart dieser Strategieschwenk die Tatsache, daß die Kräfte der US-geführten Bündnisse zwei Kriegsschauplätzen gleichzeitig nicht gewachsen sind, daß die Hoffnung auf einen Sieg im Irak erloschen ist und der Versuch gemacht werden soll, wenigstens Afghanistan zu „retten“? Der britische Feldmarschall Peter Inge sprach vor kurzem offen aus, daß zumindest Großbritanniens Streitkräfte ihre Einsätze überdehnt haben: „Damit riskieren wir das Scheitern auch in Afghanistan.“

Nicht zuletzt markiert die Entscheidung für den Rückzug aus dem Irak in gewisser Weise auch das Ende einer Ära. So ungestört wie unter Blair und Bush werden die britisch-amerikanischen Beziehungen in nächster Zukunft vielleicht nicht verlaufen. „Denn“, so analysierte das renommierte Strategieinstitut CSIS, „die letzten Jahre haben die britische Öffentlichkeit mit tiefem Argwohn gegen den amerikanischen Politikstil erfüllt. Dem auf Blair folgenden Premierminister wird es schwerfallen, diese Tatsache zu ignorieren.“


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