© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/07 23. Februar 2007

Politische Leichenschändung als Tusch
Die Auflösung am 25. Februar 1947 markierte das symbolische Ausrufezeichen des langen Kampfes der Alliierten gegen Preußen
Thorsten Hinz

Das Herz Deutschlands schlägt in Preußen. Hier liegt der Ursprung der Krankheit, die stets neu ausbricht", erklärte der britische Premier Winston Churchill am 21. September 1943 im Unterhaus. Großbritannien hatte sich früher und detaillierter Gedanken über die Befriedung Deutschlands nach dem Krieg gemacht als seine Alliierten. Auf jeden Fall sollte Preußen als territoriale Einheit, als politisch-militärische Struktur und als Träger eines bestimmten Geistes zerschlagen werden. Die Abtrennung Ostpreußens sowie großer Teile Schlesiens und Pommerns nebst der Deportation der Bevölkerung stand für die Briten schon 1942 fest. Es war lediglich noch unentschieden, ob ein kleines, auf seine mitteldeutschen Kerngebiete zurückgestutztes Restpreußen Bestand haben sollte.

Die endgültige und offizielle Auflösung Preußens am 25. Februar 1947 war die logistische Voraussetzung, um Deutschland nach Belieben umgestalten zu können. Die Umrisse der deutschen Bundesländer wurden den Grenzen der Besatzungszonen angepaßt. Eine preußische Verwaltungseinheit über alle Zonen hinweg hätte die Befugnisse der jeweiligen Besatzungsmächte konterkariert und ein Stück deutscher Einheit bewahrt. Als Hauptverursacher der deutschen Teilung gelten heute die Russen, doch die Politik der Briten und Amerikaner war nicht minder rabiat. In der britischen Zone war die Auflösung bereits am 26. Oktober 1946 erfolgt. Die preußischen Provinzen Schleswig-Holstein und Hannover wurden in Länder umgewandelt (Gründung Schleswig-Holsteins am 23. August und Niedersachsens am 22. November 1946), die Provinz Westfalen mit den Regierungsbezirken Aachen, Düsseldorf und Köln zum Land Nordrhein-Westfalen (Gründung am 23. August) zusammengefaßt.

Kritik am Militarismus war falsch und vorgeschoben

Für welche "deutsche Krankheit" wurde Preußen verantwortlich gemacht? Man sah in ihm vor allem den Träger des Militarismus. Nur hatte der, wie die im Gegensatz zu den US-Amerikanern geschichtsbewußten Briten sehr wohl wußten, weniger Kriege ausgelöst als andere große Länder. Außerdem hatte er die Briten nicht gehindert, im Siebenjährigen Krieg und in der Napoleon-Zeit Bündnisse mit Preußen einzugehen. Noch Anfang des 20. Jahrhunderts wurde zwischen Berlin und London über Bündnismöglichkeiten sondiert. Schwer wog auch, daß Preußen mit dem liberal-kapitalistischen Westen nicht leicht auf einen Nenner zu bringen war. Der Nationalsozialismus sei das realisierte Bündnis von Preußentum und Sozialismus, glaubte man in England. Das preußische Junkertum - das durch die Vertreibung seine wirtschaftliche Grundlagen verlieren sollte - und den Generalstab hielt man bis zum 20. Juli 1944 noch für eigenständige Machtfaktoren. Selbst wenn das zutreffend gewesen wäre - warum störte England sich dann nicht auch an der halbasiatischen Despotie der Sowjetunion, sondern öffnete ihr den Weg nach Mitteleuropa?

Alliierte störte Preußens Kontrolle über Mitteleuropa

Der Hauptgrund für die Preußenfeindschaft war ein anderer. Die alten Großmächte hatten Preußen nicht verziehen, daß es mit der Reichseinigung von 1871 Deutschland zur potentiellen europäischen Hegemonialmacht gemacht hatte. Die Mitte Europas war seitdem keine Verfügungsmasse mehr in den Händen der großen Nachbarn. Preußen, das etwa zwei Drittel des Territoriums und der Bevölkerung Deutschlands stellte, zog dem neuen Reich das politische, staatliche und militärische Korsett ein. Mittlere Länder wie Sachsen oder Baden, von den Kleinstaaten ganz zu schweigen, hatten auch kaum eine außenpolitische Tradition herausbilden und dem Reich zur Verfügung stellen können.

Das Verhältnis zwischen Preußen und Reich blieb eng, gestaltete sich aber dynamisch. Das ist ablesbar an der Baugeschichte der preußischen Regierungsmeile in der Berliner Wilhelmstraße. Zunächst wurden die Angelegenheiten des Reiches von den preußischen Ministerien erledigt, die zugleich Reichsämter wurden. Bald traten die Reichs- gegenüber den preußischen Belangen in den Vordergrund, die preußischen Ministerien bezogen andere Standorte. Ende des 19. Jahrhunderts kehrten die preußischen Ministerien in Neubauten in die Wilhelmstraße zurück. Bis zum Ende der Weimarer Republik bildete die Ostseite die preußische, die westliche die Reichsseite. Das politische Herz Deutschlands schlug in der Tat in Preußen. Berlin trat als Metropole konkurrierend neben London und Paris. Seine Herabstufung gehörte ebenfalls zu den alliierten Kriegszielen. Ein deutlich verkleinertes, föderal gegliedertes Deutschland ohne Preußen und ohne starke Mitte sollte in die Zeit des nach außen handlungsunfähigen, mit sich selbst beschäftigen Deutschen Bundes zurückführen. Es ist durchaus symbolisch, daß die Wilhelmstraße heute die trostloseste Gegend der sonst glanzvoll aufmöblierten Berliner Mitte ist.

Viele Deutsche teilten die antipreußischen Affekte. Der Nationalökonom Wilhelm Röpke plädierte in seinem im Schweizer Exil verfaßten Buch "Die deutsche Frage" (1945) für eine Aufteilung der deutschen Konkursmasse in föderalistisch organisierte Länder. Es sei zu hoffen, schrieb er, daß ein "föderatives Westdeutschland, das nunmehr bis zur Klärung des russischen Problems von Preußen getrennt wäre und den wichtigsten und größten Teil Deutschlands ausmacht, bald in die atlantische Gemeinschaft aufgenommen würde". Der damals 23jährige Nationalkommunist Wolfgang Harich, dessen familiäre Wurzeln in Ostpreußen und Berlin lagen, wollte darin "die satanische Absicht der endgültigen Aufspaltung und Vernichtung Deutschlands" erkennen.

Den ergreifendsten Nekrolog auf Preußen-Deutschland verfaßte der Diplomat Ullrich von Hassell, der von den Verschwörern des 20. Juli als Außenminister ausersehen war. Ein gnädiges Schicksal ersparte ihm die Erkenntnis, daß er, der überzeugte Preuße, für die Briten genauso ein Gegner war wie die Nationalsozialisten. Anfang Juli 1944, zwei Monate, bevor er am Galgen starb, stattete er dem Besitz der Bismarcks in Friedrichsruh einen Besuch ab. Sein Tagebucheintrag ist voll bitterer Selbstanklage. Die Deutschen trugen demnach die Hauptschuld, daß der Reichsgründer in der Welt als Popanz erschien. Zum Gewaltmenschen in Kürassierstiefeln habe man ihn erhoben, dabei hätten ihn Fingerspitzengefühl und die Fähigkeit zum Maßhalten ausgezeichnet, so daß er in einzigartiger Weise das Vertrauen der anderen erwarb - "genau umgekehrt wie heute". Tief bewegt besichtigte Hassell die Stätten von Bismarcks Wirken. "Kaum zu ertragen", notierte er, "ich war dauernd an Tränen beim Gedanken an das zerstörte Werk."

Foto: Demontage der Standbilder preußischer Fürsten und Könige auf Geheiß der alliierten Siegermächte, Berlin-Tiergarten 1947: "Ich war dauernd an Tränen beim Gedanken an das zerstörte Werk"


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