© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/07 23. Februar 2007

Antaios war längst zerdrückt
Gegen das Herakles-Prinzip: Die aktuelle "Sezession" widmet sich dem Religionswissenschaftler Mircea Eliade
Baal Müller

Von 1959 bis 1971 gab Ernst Jünger zusammen mit Mircea Eliade (1907-1986) die Zweimonatsschrift Antaios heraus. Ihr Name bezieht sich auf einen Riesen der griechischen Sage, der seine Kraft aus der Berührung mit der mütterlichen Erde gewann und von Herakles, dem rastlos umherziehenden, überall die Ungeheuer der Vorzeit bekämpfenden Helden, besiegt wurde, indem dieser ihn beim Ringkampf emporhob und ihm den Brustkorb eindrückte.

Jünger und Eliade, aber auch Martin Heidegger und Carl Schmitt waren nach 1945 besiegte Geistesriesen, die geglaubt hatten, eine "antaiisch" verwurzelte Lebensform gegen den planetarisch ausgerichteten Herakles zu verteidigen; sie standen im nachhinein auf der falschen Seite, nicht nur weil es die der Verlierer (und insofern die des Antaios) war, sondern weil in Wirklichkeit zwei heraklidische Mächte, zwei auf globale Herrschaft abzielende Ideologien einander bekämpft hatten. Antaios war längst zwischen ihnen zerdrückt; sein Name jedoch blieb für die Gründer dieser "Zeitschrift für eine freie Welt" - so der Untertitel - mit der Hoffnung auf ein eigenwüchsiges Leben verbunden - und ebenso auch für Götz Kubitscheks Edition Antaios, in der seit 2002 die Zeitschrift Sezession erscheint.

Das aktuelle Heft markiert gleich ein doppeltes Jubiläum: Erstens kommt die Sezession künftig zweimonatlich statt wie bisher quartalsweise auf den Markt, und zweitens ist es mit Mircea Eliade anläßlich dessen hundertstem Geburtstag am 9. März einem Denker gewidmet, der aufgrund seines vielfältigen Schaffens nicht nur für die Religionswissenschaft des 20. Jahrhunderts, sondern allgemein für ein Denken wegweisend war, das sich strikt an den Phänomenen anstatt an Ideologien und Konstruktionen zu orientieren suchte.

Das Heft beginnt mit einem Überblick zu Leben und Werk des rumänischen Gelehrten, an dessen abenteuerlicher Biographie heute vor allem die "dunkle Seite" fasziniert, seine zeitweilige Mitgliedschaft in der faschistischen Eisernen Garde, bei der bis heute umstritten ist, ob man sie als primär politische oder eher als religiöse Erneuerungsbewegung anzusehen hat, wie sie wohl von Eliade selbst wahrgenommen wurde.

Der zweite Beitrag des Literaturwissenschaftlers Till Kinzel widmet sich mit Emil Cioran einem der berühmtesten Weggefährten Eliades: Von ähnlichen Voraussetzungen ausgehend, ebenso stark von der überragenden Gestalt des Philosophen Nae Ionescu geprägt und wie Eliade eine zeitlang für die Legionärsbewegung Partei ergreifend, war sein Aufwachen aus den Fieberträumen von einer rumänischen Großmacht noch schmerzlicher und führte zu einer radikalen Abwendung nicht nur von seinen kulturellen Wurzeln - Cioran schrieb in seinem französischen Exil nur noch französisch -, sondern von jeder Religion und Metaphysik. Zurück blieb nur das unter Titeln wie "Lehre vom Zerfall", "Syllogismen der Bitterkeit", "Die verfehlte Schöpfung" und "Vom Nachteil, geboren zu sein" eindringlich variierte Thema von Nihilismus, Skeptizismus und existenzieller Hoffnungslosigkeit.

Ein anderer, näherer Geistesverwandter Eliades wird von dem Historiker Karlheinz Weißmann in seinem Aufsatz über Eliade und Werner Müller in den Blick genommen. "Wie für Eliade das kosmische Christentum der rumänischen Bauern war für Müller die Religiosität der Indianer der Ausgangspunkt und Maßstab aller Überlegungen", schreibt Weißmann über den heute vergessenen Kulturwissenschaftler, der trotz seiner Mitgliedschaft in Himmlers "Ahnenerbe" noch in den frühen achtziger Jahren mit ihrer Tendenz zu Zivilisationsmüdigkeit und Sinnsuche eine gewisse Popularität genoß.

Der Beitrag "Heilige Tiefe und geistiger Überblick: die Zeitschrift Antaios (1959-1971)" des Germanisten Alexander Pschera beschreibt das geistige Konzept von Eliades und Jüngers gemeinsamem Projekt, dem die Bewunderung des großen Schriftstellers für Eliades Zeitschrift Zalmoxis und die dort gepflegte "Bilderschrift" vorausging.

Ein Novum dieses Heftes ist auch, daß Götz Kubitschek einen eher literarischen Text vorlegt: "Negoi - Eine Wanderung", der auf Reisen durch Südosteuropa und Erkundungen "nach verlorenen Dingen" zurückgeht. Kubitschek gelingt es auf eindrucksvolle Weise, die Atmosphäre einer von Konsum und Business weitgehend unkontaminierten Welt zu evozieren und dabei doch in kritischer Selbstreflexion den touristischen Charakter solcher Sehnsucht nach Ursprünglichkeit herauszustellen: Auch das "Anpacken" bei einem Bauern mit den eigenen "Studentenarmen" hat einen etwas selbstgefällig fraternisierenden Gestus, wenn man nicht auf solche Arbeit angewiesen ist, jederzeit wieder aufhören kann und zudem genug Geld in der Tasche hat, um dem Bauern einen geübteren einheimischen Helfer zu bezahlen.

Die rumänische Kultur hat nicht nur Dracula zu bieten

"Mircea Eliade heute" ist ein Aufsatz von Wolfgang Saur betitelt, der die Verdrängung des Eliadeschen Ansatzes durch konstruktivistische und kulturalistische Modelle beschreibt, die in der religiösen Erfahrung keinen Realitätsgehalt mehr, sondern nur noch ein "offenes Beziehungsgeflecht" kontingenter Diskurse erkennen wollen.

Es folgen einige kürzere Beiträge: "Faschismus rumänisch", in dem sich Götz Kubitschek noch einmal Eliades und der Eisernen Garde annimmt und auf Forschungsliteratur zu diesem Thema hinweist; sodann "Deutsche Religion?" von Karlheinz Weißmann, der wichtige Neuerscheinungen zur neugermanischen Religionsbewegung des zwanzigsten Jahrhunderts sowie der Gegenwart vorstellt, und schließlich ein Aufsatz von Martin Voelkel über "Die Politik des Großen Tiers", wie sich der Okkultist Aleister Crowley in apokalyptischer Pose zu nennen liebte.

Mohammed Rassems Erinnerungen an Eliade führen noch einmal zu dem rumänischen "Philosophen des Heiligen" zurück, und Rezensionen vorwiegend religionsphilosophischer Bücher sowie einige Kurzbeiträge vermischten Inhaltes beschließen das gelungene und anregende Heft, dem erstmals auch ein vierseitiger farbiger Bildteil mitgegeben ist: Er zeigt Abbildungen von Gemälden des Malers Michael Otto unter dem Titel "Richtung Transsylvanien".

Es ist unangemessen, bei diesem Namen nur an Dracula denken; die rumänische Kultur hat manchen anderen Repräsentanten zu bieten, wie die aktuelle Sezession deutlich zeigt. 

Foto: "Sezession", Heft 16, Februar 2007: Von nun an zweimonatlich

Kontakt: Sezession, Rittergut Schnellroda, 06268 Albersroda, Tel./Fax: 03 46 32 / 9 09 42. Internet: www.sezession.de 


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen