© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/07 23. Februar 2007

Von Quote keine Spur
Familienpolitik: Ursula von der Leyen will junge Mütter ins Erwerbsleben und die Kinder in das staatliche Betreuungssystem führen
Ellen Kositza

Daß politische Frauen anders als Männer nicht nur Sachkenntnis, sondern ihre ganze Person in die Waagschale der öffentlichen Meinung zu werfen haben, ist kein feministischer Gemeinplatz, sondern Realität. Schlechtrasierte Abgeordnetenwangen, fremdgehende Minister und des Hochdeutschen unkundige Politiker schlagen sich allenfalls in Klatschspalten nieder, während private Unstimmigkeiten und ungeschicktes Äußeres, schon gar eine unvorteilhafte Stimmlage bei Politikerinnen gern in die Sachbeurteilung einfließen. Eine Schwachstelle ist die Quotenfrau allemal - auch dann, wenn nicht Quote und Klüngel, sondern Sachverstand ihre Karriere rechtfertigt. In dieser Hinsicht hat die CDU mit Ursula von der Leyen einen Glücksgriff getan. Wo sonst in den eigenen Reihen wäre die Ineinssetzung von Politik und Privatleben (übrigens eine alte Forderung der Achtundsechziger) so meisterhaft vollbracht wie in dieser Person?

Selbstgemachter Aufstieg in die Polit-Liga

Der Familienbonus der heute 48 Jahre alten Tochter des ehemaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht (CDU) - die Mutter arbeitete als Journalistin - mag ihr als Quereinsteigerin anfangs nützlich gewesen sein. Von Protektion und Seilschaften aus Zeiten der Jungen Union kann keine Rede sein, von der Leyens Binnenaufstieg in der obersten Polit-Liga ist ein selbstgemachter. Erst 1990 trat sie gemeinsam mit ihren vier älteren Brüdern der Union bei. Das bedeutete zunächst eine Solidaritätsbekundung mit ihrem Vater, der nach vierzehnjähriger Landesvaterschaft sein Amt an Gerhard Schröder (SPD) abgeben mußte. Bereits da war sie eine gemachte Frau: Assistenzärztin in glücklicher Ehe mit dem Medizinprofessor Heiko von der Leyen, zwei Kinder, ein internationales Volkswirtschaftslehre- und Medizinstudium hinter sich. Den Sprößlingen David und Sophie folgten Donata, die Zwillinge Johanna und Sophie, Egmont sowie Gracia.

Dazwischen, wie nebenbei, promovierte die gebürtige Brüsselerin zu einem gynäkologischen Thema, studierte in Übersee und wurde 1996 vom damaligen niedersächsischen Oppositionsführer und jetzigen Ministerpräsidenten Christian Wulff (CDU) als Beraterin engagiert. Der gern benutzte Ausdruck einer "Vielbeschäftigten" erfährt hier seine schwer übertreffbare Krönung: Von der Leyen agierte als Mehrfachmutter, Politikberaterin, angestellte Ärztin, zudem stellvertretende Bürgermeisterin ihrer Heimatgemeinde Ilten. 2003 - das jüngste Kind war nicht mal eingeschult - wurde sie Ministerin für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit des Landes Niedersachsen. Im Schattenkabinett Angela Merkels galt sie früh als sichere Nummer, von der Leyen selbst soll sich für das Gesundheitsministerium empfohlen haben. Im November 2005 wurde sie zur Familienministerin berufen. Seither sorgt die Dame in elegantem Hosenanzug für Furore.

Das taten bereits ihre Vorgänger im Amt: Seit Bruno Heck (Ablösung 1968) stellte das Familienministerium, verantwortlich immerhin für die "Keimzelle der Gesellschaft", die progressivste Spitze gerade der CDU-Regierungen. Erinnert sei an Aenne Brauksiepes Eintreten für die Ganztagsschule (auch von der Leyen war "glückliche Ganztagsschülerin"), an Heiner Geißlers Partner­schaftsverständnis, an die durch und durch fortschrittliche Rita Süssmuth. Bevor sie in der heutigen Familienministerin eine der ihren erkennen konnten, hat sich die progressive Schreiberzunft manchen Krampf angetan und sich dennoch an der "Supermutterpowertochter" (taz) schier die Zähne ausgebissen. Irgendwo mußte der Lack zu schrammen sein, soviel Licht konnte wohl kaum ohne Schatten strahlen. Jugendsünden vielleicht, ein Mogeln auf der Karriereleiter (generöser Mutterbonus?), schiefer Haussegen, mißratene Kinder, wenigstens ein ohne Muttermilch aufgewachsener Säugling - durchweg Fehlanzeige.

Wo sachlich nichts zu mäkeln war, ließ man der subjektiven Lästerzunge den Lauf: Dieses Dauerlächeln! Diese ewiggleiche Frisur! Diese Familienfotos ständig und überall - was hat überhaupt ein Lamm in der bürgerlichen Wohnstube zu suchen? Und, oha, Frau Perfekt läßt sich coachen, rhetorisch unterweisen - wird Mama wohl nötig haben! Noch im jüngsten Stern-Interview begegnen ihr die Fragesteller despektierlich: Wann sie das letzte Mal mit einem fremden Mann geflirtet habe, welcher Kollege ihr am attraktivsten erscheine? Doch an der Eloquenz der Ministerin ist schwer zu rütteln, souverän pflegt sie den schmalen Grat zwischen Offenheit in privaten Dingen und ausbeutbarem Boulevardwissen zu meistern.

Vorzeigbarer Lebensweg

Daß von der Leyens Lebensweg vorzeigbar ist, wird schwer zu bestreiten sein. Sie selbst hat ihn von Anfang an zum Paradigma ihrer Politik erklärt. Daß 70 Prozent aller Mädchen einen klassischen Frauenberuf ergreifen, stimmt sie skeptisch, für Knaben hat sie die geschlechterrollensprengende Aktion "Neue Wege für Jungs" initiiert. Wenn sie von "Wahlfreiheit" spricht und einer "veränderten Arbeitswelt", unterschlägt sie den Unterschied, den es bedeutet, eine tatsächliche Notlage zu meistern oder einen Trend hervorzurufen. Ihre Visionen klingen bisweilen wie Drohungen an die weniger emanzipierte Mitwelt. Normativ sind sie auf jedem Fall. Etwa, was den von ihr propagierten Typus des "engagierten Vaters" als Haushaltsgehilfen und Kinderbetreuungspartner angeht: "Für Männer, die sich diesem Rollenbild verweigern, wird es in Zukunft schwer werden, eine Partnerin zu finden." Oder mit Bezug auf die Frau als Erwerbstätige: "Die Frauen von morgen werden arbeiten. Die Frage ist, ob sie Kinder wollen."

Die Beharrungskraft traditioneller Rollenmuster - keinesfalls die Angst der Männer, emanzipatorischen Forderungen nicht gerecht zu werden - stellt für die Ministerin den Hauptgrund für den Kindermangel dar. Daran will sie rütteln. Die aktuelle Aufregung um die 500.000 Krippenplätze, die nach dem Willen der Ministerin zu installieren sind und die zwischen drei (von der Leyen) und acht Millionen Euro (Berechnungen des kritischen Familiennetzwerks) kosten werden, erscheint darum als eine künstliche.

Spätestens seit dem Einsatz der Ministerin für die Reduzierung des Erziehungsgeldes auf maximal vierzehn Monate und dessen Abhängigkeit vom vorherigen Lohn des Erziehenden - was im Regelfall, und selbstgewählt, die Frau sein dürfte - sowie der Absetzbarkeit von Betreuungskosten für Doppelverdiener war klar, wohin der Weg führen sollte: für junge Mütter ins Erwerbsleben (wohin sonst, wenn nach einem Jahr die Ersatzleistung versiegt), für die Kleinen ins staatliche Betreuungssystem (das Eltern schließlich steuerlich finanzieren). O-Ton von der Leyen (die erwerbsmäßig zehn Monate nach der Geburt ihres ersten Kindes pausierte): "Am Ende des ersten Jahres wird erwartet, daß Eltern das Einkommen selbst verdienen. Wenn sie das nicht können, springt der Sozialstaat ein."

Emma-Herausgeberin Alice Schwarzer nannte die Familienministerin die "irritierendste Rollenbrecherin im Kabinett", und passend merkten Journalisten an, ihre "Gleichstellungs-Homepage" lese sich, als sei sie von der Redaktion der Emma verfaßt. Mit dem Zentralorgan des radikalen Feminismus in ein Boot gesetzt zu werden, stellt kein Problem dar für von der Leyen. "Was stört Sie daran?" konterte sie lässig.


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