© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/07 16. Februar 2007

Seltsame Befindlichkeiten
F. X. Messerschmidts "phantastische Köpfe"
Claus-M. Wolfschlag

Skurril, extravagant, ausgefallen - diese Adjektive fallen dem Betrachter bei den "Charakterköpfen" des Franz Xaver Messerschmidt ein, die derzeit im Frankfurter Liebieghaus zu sehen sind. Zugekniffene Augen, gepreßte Mundwinkel, aufgerissene Mäuler - Messerschmidts Spätwerk zählt zu den eigenwilligsten Erzeugnissen der Bildhauerei des 18. Jahrhunderts.

Messerschmidt wurde 1736 im schwäbischen Wiesensteig geboren. Nach dem Tod des Vaters ging er bei seinem Onkel, dem etablierten Münchner Hofbildhauer Johannes Baptist Straub, in die Lehre, gelangte schließlich 1755 an die Kunstakademie Wien. Nachdem die österreichische Kaiserin Maria Theresia auf den jungen Bildhauer aufmerksam geworden war, begann er für den Wiener Hof zu arbeiten, schuf barocke Porträts und Statuen des Herrscherpaares und anderer Vertreter der aristokratischen Führungsschicht. Nach einem längeren Rom-Aufenthalt fand Messerschmidt ab etwa 1770 zu einem neuen Stil, der in Kreisen der Wiener Aufklärung Zustimmung erfuhr. Bekannte Aufklärer und Wissenschaftler ließen sich nun vom ihm porträtieren. Wirtschaftliche Probleme und mangelnde akademische Anerkennung ließen Messerschmidt schließlich nach Preßburg umziehen, wo er sich bis zu seinem Tod 1783 vor allem den nun in Frankfurt gezeigten "Charakterköpfen" widmete.

In den "Charakterköpfen" überwand Messerschmidt den Individualismus seiner aufklärerischen Büsten zugunsten der Beschäftigung mit dem Allgemeingültigen - beinahe eine Rückwendung zur barocken Expressivität. So legte er ohne Auftrag und meist nach Studie des eigenen Spiegelbildes eine irritierende Reihe von Büsten mit extremer mimischer Gestik an. Diese basierten auf Verzerrungen des Gesichts und sollten dadurch seltsame Befindlichkeiten und Gemütszustände ausdrücken: Freude, Schmerz, Angst, Ekel und Ärger. Bizarre Grimassen entstanden durch diese physiognomische Erforschung menschlicher Gefühle: "Ein mit Verstopfung Behafteter" zeigt sich mit hochgezogenen Schultern, das Kinn auf die Brust gepreßt, den Hals verdeckend. Der "Gähner" präsentiert dem Betrachter seinen geöffneten Mund, die hochgewippte Zunge zwischen den fein modellierten Zahnreihen. Der "kindisch Weinende" wiederum hat die Augen weit aufgerissen, die Nase und die Stirnfalten ornamental hochgezogen, die Oberlippe leicht geöffnet, so daß ein insgesamt clownesker Eindruck entsteht.

Nicht grundlos wurden die "Charakterköpfe" nach Messerschmidts Tod mehrfach in nur der Volksbelustigung dienenden Ausstellungen, unter anderem im Wiener Prater, gezeigt. Irgendwann wurden sie in alle Winde verstreut. Dem Frankfurter Liebieghaus, bekannt für seine Antikensammlung, gelang es nun, eine große Anzahl der skurrilen Werke Messerschmidts zusammenzustellen.

Die Ausstellung "Die phantastischen Köpfe des Franz Xaver Messerschmidt" im Liebieghaus, Schaumainkai 71, Frankfurt am Main, ist bis zum 11. März zu sehen. Geöffnet täglich außer montags von 10 bis 17 Uhr, Mi. bis 20 Uhr.

Foto: "Der Gähner"


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