© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/07 16. Februar 2007

Von Tiefgang keine Spur
Jahrmarkt der Eitelkeiten: "Vanity Fair" steckt sich hohe Ziele und scheitert auf ganzer Linie
Ellen Kositza

Die erste Ausgabe von Vanity Fair? Dann halte dich mal ran", mahnt einer am Telefon zur Eile, "hier in Berlin war sie bereits mittags ausverkauft." In der Hauptstadt wirft ein Projektor den neuen Zeitschriftentitel in gewaltigen Lettern an zentrale Fassaden, ein Doppeldeckerbus mit Vanity Fair-Logo kurvt Unter den Linden. Der Jahrmarkt der Eitelkeiten - so die Übersetzung des Titels - dürfte ländlich weniger frequentiert sein. Ein Kioskbesuch am Folgetag sollte ausreichen - durch ungezählte Rezensionen (allgemeines Echo: unterirdisch) meint man den Inhalt ohnehin zu kennen.

Doch wo lächelt im kleinstädtischen Zeitschriftenverkauf Titeljunge Til Schweiger? Es liegen in Stapeln 32 Zeitschriften des nämlichen Formats - dick, bunt, trendy, hochglänzend - aus: Gala, Bunte, GQ, Men's Healthy, Neon, Park Avenue, aber kein Vanity Fair (VF) zum konkurrenzlosen Einstiegspreis von 1 Euro. Gibt's wohl nicht mehr? "Nu, reichlich", weist die Kassenfrau nach oben. Erhöht in mehreren Plexiglasaufstellern thront es, je anderthalb Pfund schwer, mit schwarz-weiß-goldenem Außenumschlag: "Das neue Magazin für Deutschland", das in Anlehnung an den amerikanischen Zeitschriftenmythos gleichen Namens "visuelle Opulenz mit intellektueller Tiefe" verbinden will, "aktualitätsbezogenen Qualitätsjournalismus" zu präsentieren beansprucht.

Dies nicht monatlich wie im Mutterland, sondern Woche für Woche. In Italien ist dies geglückt, durchschnittlich 250.000 Leser erreicht das Magazin aus dem Hause Condé Nast dort wöchentlich. 120.000 Leser werden für Deutschland angepeilt, bei einem Preis, der auf maximal drei Euro steigen soll.

Wen wundert's, daß die Models gelangweilt gucken

Irgendein Alleinstellungsmerkmal fällt bereits beim ersten Durchblättern weg. Hundert Seiten Werbung, hauptsächlich hochpreisige Modemarken, Models, die in bekannter Manier anorektisch, teils mit fettigem unfrisiertem Haar, generell gelangweilten Blickes posieren. Neben einem Dior-Mannequin in Koma-Pose auf Seite 17 endlich der erste redaktionelle Beitrag, das Editorial von Chefredakteur Ulf Poschardt, den man auch "persönlich" unter seiner elektronischen Adresse (posh, zu deutsch: todschick, piekfein) erreichen kann. Sein Verlag, so Poschardt, sei begeistert von "diesem neuen Deutschland" (angespielt wird auf die Fußball-WM) und habe beschlossen, hier mit Vanity Fair "über 100 Arbeitsplätze" zu schaffen: Wie man hört, sind bereits vor Erscheinen der Nullnummer einige davon freiwillig wieder geräumt worden. Als zu peinlich dürfte empfunden worden sein, wie arg der eigene Anspruch verfehlt worden ist, und dies bereits bei einer Erstausgabe mit denkbar langem Vorlauf.

Deklinieren wir die selbstgesteckten Zielattribute durch, beginnen wir mit der "visuellen Opulenz". Til Schweiger wünscht sich seit zwei Jahrzehnten, "mit Bruce mal Fotos zu machen" und bedankt sich "insofern herzlich bei VF", daß Starfotograf Bruce Weber ihn hier auf einer zehnseitigen Fotostrecke inszeniert. Der Peinlichkeit der Bilder (Schweiger mit zwischen die unterbehosten Beine geklemmten sprudelndem Wasserschlauchphallus, verklärten Blicks beim Hundekraulen und Kälbchenfüttern) steht das Interview kaum nach: Seinem gelegentlich unglücklichen Sohn habe der von der Familie getrennt lebende Vater eingestanden, auch er habe das Leben mal "scheiße" gefunden. Er habe dem Kleinen gesagt: "Ich weiß, daß du ein geiles Leben haben wirst, weil du ein guter Mensch bist und weil du cool bist."

Auf diesem Niveau läßt man den Schauspieler seitenlang weiterphilosophieren, womit die apostrophierte "intellektuelle Tiefe" angeschnitten wäre, die sich ebenfalls in kunstvoll formulierten Überschriften spiegelt: "Wo kommt diese komische Berlinale-Figur eigentlich her, die jeder will?" Zum "aktualitätsbezogenen Qualitätsjournalismus" nur soviel: Kylie Minogues aktuelle Trennung von ihrem langjährigen Freund hat das breitangelegte Minogue-Porträt nicht erreicht, von Robert de Niro hat man in den letzten Jahren, von den britischen Prinzengespielinnen in den vergangenen Monaten und von Präsidentschaftsanwärter Barack Obama jüngst schon vielfach ausführlich gelesen. Vanity Fair weiß hier wie dort keine Neuigkeiten zu ergänzen. Ein bißchen schlagwortartige Info, ansonsten Pop und Konsum, von Tiefgang keine Spur. Nebenbei: Gerade Poschardt hatte ja vor Jahren einen "neuen Patriotismus" als Heilmittel gegen "überzogenen Individualismus und Konsumismus" ausgerufen.

Friedmans Reportage erfreut die NPD

Immerhin überraschend ist der Modus, mittels dessen sich Michel Friedman auf diesem Jahrmarkt der Eitelkeiten eingefunden hat: per Titelthema als "Reporter an der Braunen Front". Friedman traf sich mit Politgrößen der NPD, er sprach mit deren Vorsitzendem Udo Voigt sowie mit Udo Pastörs und Peter Marx von der Landtagsfraktion in Mecklenburg-Vorpommern.

Was dabei herausgekommen ist, entlockt der Partei kleine Jubelrufe. Es habe Anrufe gegeben, ob man mit Friedman wohl einen neuen Marketingmann gefunden habe. Voigt ("vielleicht der intelligenteste der NPD-Funktionäre") wird beschrieben als "unauffällig, ein freundlicher Herr, ausgeglichener als manch anderer Abgeordneter", der sich von Gewalt, Hitler und Antisemitismus distanziere. Peter Marx habe gar etwas "Väterliches", er "könnte in der Businessklasse der Lufthansa sitzen, ohne aufzufallen". Die nationaldemokratischen Parlamentäre, schreibt Friedman, "machen Jugendarbeit, kümmern sich um Arbeitslose, besetzen vor allem im Osten soziale Leerstellen, die der Staat nicht mehr ausfüllen kann oder will".

Auch Fraktionschef Pastörs erscheint dem Reporter - begleitet von privaten Personenschützern und zwei Mannschaftswagen - als eloquent, den beiden Ex-Republikanern Ute Witt und Klaus Weinschenk schreibt er gar "das weise Lächeln des Alters" ins Gesicht: "Mit mir möchten sie nicht an einem Tisch sitzen. In ihren Augen gibt es wohl niemand, der dem Ansehen der Juden so schadet wie ich." Auf Friedmans bemerkenswerte Innenansichten zeigt sich Poschardt (schade eigentlich, daß das vieldeutige deutsche Wort des "Stutzers" aus der Mode gekommen ist) "besonders stolz". Worauf auch sonst.

"Vanity Fair"-Lektüre: Selbst die gehobene Leser-Zielgruppe findet das neue Heft zum Einschlafen


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen