© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/07 16. Februar 2007

"Kommen Sie doch in einem halben Jahr wieder"
Gleichbehandlungsgesetz: Das Bundesfamilienministerium hat eine Stelle eingerichtet, bei der Bürger angebliche Diskriminierungen melden können
Anni Mursula

Der Berliner Alexanderplatz gleicht einer Baustelle. Die Fassaden der alten DDR-Plattenbauten sehen heruntergekommen aus. Auch das Gebäude, in dem sich das Bundesfamilienministerium befindet, macht nicht den besten Eindruck. Alles hat den Anschein des Halbfertigen. Äußerlich marode, wird im Inneren auf Hochtouren saniert. Das Ministerium belegt fast einen ganzen Häuserblock: Am Gehsteig reihen sich die unterschiedlichsten Beratungsstellen und "Infotheken" für Senioren, Frauen und Jugend.

Auch die neu eingerichtete Antidiskriminierungsstelle des Bundes vermittelt noch den Eindruck eines Provisoriums. Im sechsten Stock des Gebäudes sitzen seit dem Inkrafttreten des "Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes" im vergangenen August 19 Mitarbeiter. Die Räume sind auch nach einem halben Jahr nur spärlich eingerichtet: Es gibt keine Regale, an den Wänden hängen keine Bilder, auf den Tischen liegen keine Papiere oder Akten. In dem Büro, wo Bürger ihr Leid klagen können, wenn sie sich diskriminiert fühlen, ist nicht einmal der Rechner an.

Der einsame Besucher wird hier begeistert von einem Mitarbeiter mittleren Alters begrüßt. Sofort entschuldigt er sich für die "Unvollständigkeit" der Büroräume. "Es ist hier alles noch lange nicht fertig", sagt der Mann. "Uns gibt es ja erst seit einem halben Jahr." Seit Anfang Februar habe die Anlaufstelle überhaupt erst eine Leiterin, Martina Köppen, bekommen. "Auch sie muß erst richtig ankommen. Das dauert ja auch seine Zeit", sagt er.

Alle Mißstände können nicht geregelt werden

Ziel des Antidiskriminierungsgesetzes ist es, "Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität" zu verhindern oder zu beseitigen. "Aber das Gesetz betrifft natürlich nur zwischenmenschliche Verträge - sprich Arbeits-, Miet-, Kredit- oder Versicherungsverträge", sagt der Ministeriumsmitarbeiter. Sämtliche gesellschaftlichen Mißstände und Diskriminierungen könnten damit sowieso nie geregelt werden.

"Bislang haben wir rund eintausend Anfragen durch persönlichen Besuch, Post, Telefon, oder E-Mail erhalten", sagt der Mann. "Viele Menschen haben wohl lange gewartet, bis sich die Gesetzeslage zur ihren Gunsten verändert. Es besteht offenbar viel Bedarf für das neue Gesetz." Nach dem Gespräch fragt der Mann, ob er auch aus dieser "Beratung" eine namentliche Notiz für die Akten machen dürfe. Alle Gespräche seien wichtig und zeigten, daß aus der Bevölkerung Interesse an der Stelle besteht. Schließlich stehe das Antidiskriminierungsprojekt noch am Anfang. Nun müsse ein deutschlandweites Netzwerk der verschiedenen bereits existierenden Stellen erstellt werden, zu denen auch Frauenreferate und Integrationsbeauftragte gehören. Allerdings reiche auch das nicht aus - schließlich baue das Gleichbehandlungsgesetz auf einer EU-Direktive auf. Das eigentliche Ziel sei, ein umfassendes Netz über ganz Europa zu spannen. Deshalb gebe es auch das aktuelle EU-Projekt: "2007 - Europäisches Jahr der Chancengleichheit für alle!"

"Wie sich die tausend eingereichten Fälle zusammensetzen, kann ich Ihnen noch nicht sagen. Diese konnten wir in der kurzen Zeit noch nicht ausgewerten", erzählt der Mann. "Lapidar würde ich sagen, daß es sich dabei hauptsächlich um Ausländerdiskriminierung handelt. Das sollen sie aber noch nicht als statistische Wahrheit nehmen." Momentan seien die ersten Klagen bei den Gerichten angekommen: "Bislang wurden meines Wissens nur Fragen der Altersdiskriminierung verhandelt", sagt er.

Broschüre informiert über Beweislastumkehr

Bis es erste Urteile in den verschiedenen Diskriminierungsarten gebe, bleibe aber auch die letztendliche Umsetzung des Gesetzes offen. Daß ein Opfer es nun einfacher hat, gegen Diskriminierung vorzugehen, steht mit der neuen Bestimmung fest: Schließlich sieht das Gesetz die sogenannte "Beweislasterleichterung" vor. In einer der ausliegenden Infobroschüren steht: "Wenn es Ihnen gelingt, Indizien vorzulegen, die darauf schließen lassen, daß eine Diskriminierung vorliegt, ist die Gegenseite in der Pflicht zu beweisen, daß sie nicht diskriminiert hat."

In diesem Heft wird eine genaue Anleitung geboten, wie in solch einem Fall zu handeln ist: "In der Situation Ruhe bewahren: Auch wenn Sie sich in Ihrer Würde verletzt und provoziert fühlen, sollten Sie möglichst ruhig bleiben. Eine lautstarke Beschwerde oder Beleidigung gegenüber dem Diskriminierer kann später vom Nachteil für Sie sein." Danach müßten Beweise gesichert und mögliche Zeugen schriftlich notiert werden.

"Trotzdem müssen Arbeitgeber, die sich nichts vorzuwerfen haben, keine Angst haben", beruhigt der Mitarbeiter des Antidiskriminierungsbüros. "Schließlich entscheiden die Gerichte über die Beschwerden. Wer unschuldig ist, hat in einem Rechtsstaat nichts zu fürchten." Daß solche Gesetze auch mißbraucht und vor allem Mittelständlern zum Verhängnis werden könnten, will er nicht glauben. "Wenn Arbeitgeber unsicher sind, wie sie sich zu verhalten haben, sollen sie sich bei der Deutschen Industrie- und Handelskammer informieren. Auf der Internetseite gibt es zahlreiche Tips. Dort werden sogar Seminare für Arbeitgeber zu diesem Thema angeboten."

Zum Schluß entschuldigt sich der Mitarbeiter zum wiederholten Mal für das Chaos: "Kommen Sie doch in einem halben Jahr wieder. Dann können wir sicherlich was für Sie tun."


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