© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/07 09. Februar 2007

Zwischenzeit
Kino I: "Die Farbe der Milch" von Torun Lian
Ellen Kositza

Der Zielgruppe pubertierender Mädchen wird filmisch beileibe nicht wenig geboten. Der Übergang vom Sandmännchen zur partygesättigten High-School-Szene der einschlägigen TV-Serien ist dabei meist derb, oder präziser: nicht vorhanden. In derlei Genre geht es nicht um eine Zwischenzeit, sondern gleich ans Eingemachte. Allenfalls steht die überlebende Kuscheltierhorde auf dem Jugendbett für die Zeit, die einmal war.

Die klassische Form der Zelebration von Übergangsriten in traditionsbefreiter Zeit mögen die in den Achtzigern überaus populären Folgen des Partyfilms "La Boum" mit Sophie Marceau darstellen. Was seinerzeit von konservativen Betrachtern noch als Softporno gescholten wurde, dürfte heute für lau durchgehen.

Dagegen mag man das - allerdings hochsommerliche - Frühlingserwachen, das die fünfzigjährige norwegische Schriftstellerin Torun Lian als Regisseurin des Berlinale-Streifens "Die Farbe der Milch" auf die Leinwand bannt, recht poetisch nennen. Zwar sind die zwölfjährigen Freundinnen Elin, Ingrun und Selma keine Backfische im Sinne unerweckter Ahnungslosigkeit, sondern agieren als kesse Teenager per SMS-Botschaften, doch sind sie zugleich spielende Kinder, denen der Luxus von Allüren und die ausgefahrenen Spuren der Phrasen und des Jargons noch fern sind.

Das alte Versprechen der Mädchen, daß "Jungs uns egal sind", ist für Ingrun und Elin mittlerweile nur mehr eine Ausrede für mangelnde Angebote und Gelegenheiten, Selma (Julia Krohn) nimmt den Eid ernster. Mag ja sein, daß die Hormone auch an ihr regelrecht ihr Werk verrichten. Drum sei es nicht damit getan, daß sie, Selma, "die Natur" ignoriere, denn umgekehrt, so die Blondine als bisweilen ziemlich altkluge Sprecherin aus dem Off, werde das ja kaum der Fall sein. Man müsse die Sache mit Abstand betrachten, nimmt sich Selma vor.

Darum strebt die mutterlose Musterschülerin eine frühe wissenschaftliche Karriere an. Die genaue Erforschung der umgebenden Phänomene, so Selmas Hoffnung, könne das Unvorhergesehene und Unerwünschte schon verhüten.

Was sie sieht in bezug auf die Liebe, gefällt ihr nicht: Sie erlebt den beinahe grotesken Wechsel von heftigem Streit und seichtem Kose-Gezirpe zwischen aufgebrezelter Tante und Beinahe-Onkel, sie beobachtet einen älteren Nachbarjungen beim Fremdknutschen in den Dünen, ihr entgeht auch nicht das beginnende äffische Weibchengetue ihrer Freundinnen.

Es trifft sie, daß sich augenscheinlich auch der von ihr geschätzte gleichaltrige Andy, Anführer der Jungsclique, zum Spielball seiner Hormone machen läßt. Dennoch gestattet sie ihm einen Platz an ihrer Seite - als Assistent in Forschungsangelegenheiten freilich nur. Ohne ihn hätte sie die Aufgabe des rätselhaften jungen Mannes aus Schweden nicht lösen können: welche Farbe die Milch im Innern des Glases hat, dort, wo kein Licht darauf fällt. Daß Andy und Selma am Ende des Films dennoch ein Pärchen sein werden (was immer das im zarten Alter von zwölf auch heißen mag), ist abzusehen.

Ein leidlich netter Film für den erwachsenen Zuschauer, der vor allem die nordsommerlich verzauberte Bullerbü-Atmosphäre goutieren mag und dem all die symbolischen Zaunpfähle nicht entgehen, mit denen hier gewinkt wird: etwa die große Schlange der Jungs, die alle Mädchen bis auf Selma (die hält sie mutig in der Waschküche ihrer entsetzten Tante hin, worauf künftig der Mann das Waschweib geben darf) kreischen läßt, oder jener Elfmeter, den Andy vergibt, weil Selma im Tor steht.

Was Heranwachsende mit diesem Film anfangen können, ist fraglich. Immerhin werden spezielle Schulvorführungen angeboten. Identifikatorisches Sehen (wer dies überhaupt für das Gebot der Stunde hält!) läuft in dem Alter kaum über die Holzhammermethode per lautem Reflektieren über den eigenen Zustand, wie es die Hauptfigur hier tut. Daß Terry Zwigoffs großartiger Pubertätsfilm "Ghostworld" (2001, mit Scarlett Johansson und Thora Birch) unerreicht bleiben würde, war allerdings auch vorher klar. 

Foto: Andy (Bernhard Naglestad) und Selma (Julia Krohn)


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