© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/07 09. Februar 2007

Konflikt, Konfrontation, Kollision, Krieg
Mittlerer Osten: Geostrategen und Finanzanalysten diskutieren immer offener einen Angriff auf den Iran
Günther Deschner

Ob die Spannungen zwischen den USA und Israel einerseits und dem Iran andererseits noch in diesem Jahr in einen Krieg münden könnten, wird weltweit von Strategieexperten und Analysten immer nervöser diskutiert. Als möglicher Termin wird "Ende Februar bis Ende März" genannt. Die Unruhe über die wie von einem inneren Automatismus getriebene Zuspitzung vom Konflikt zur Konfrontation und zur Kollision findet in Medien wie der New York Times, dem britischen Guardian oder dem Spiegel zunehmend schriller ihren Niederschlag. Tatsächliche oder angebliche Kriegspläne der USA, der Israelis oder beider gemeinsam werden "enthüllt", dementiert, diskutiert und kommentiert.

Zweiter US-Flugzeugträger in die Golfregion entsandt

Die Spannungen mit Teheran beruhen auf zwei Entwicklungen - dem Streit über die Ziele des iranischen Atomprogramms (das nicht zuletzt wegen der aggressiven Rhetorik des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadi-Nedschad in Israel Bedrohungsängste auslöst) und der behaupteten "Einmischung" des Iran im Irak. In diesem Punkt schlägt US-Präsident George W. Bush immer rabiatere Töne an. Aus seinem Mund klingt es so, als sei sein Scheitern im Irak auf die angeblichen Waffenlieferungen Teherans für den irakischen Widerstand zurückzuführen. Im Hintergrund geht es um mehr, um einen Machtkampf zwischen der angeschlagenen Weltmacht USA und dem aufstrebenden Iran, der in Konkurrenz zu den von Saudi-Arabien angeführten sunnitischen Klientelstaaten Washingtons das "gefühlte" Machtvakuum am Golf mit eigener Vormacht ausfüllen will.

Bushs propagandistische Kriegsvorbereitung läuft bereits auf Hochtouren. Besonnenere Mitglieder der US-Regierung wie der neue Verteidigungsminister Robert M. Gates und Außenministerin Condoleezza Rice bemühen sich um Eindämmung der Hysterie. Beide beurteilten eine für letzte Woche anberaumte Präsentation iranischer "Sünden" im Irak als "übertrieben und letztlich unbegründet" und sagten sie kurzerhand ab.

Der angelaufene US-Aufmarsch in der Golfregion sorgt für zusätzliche Unruhe. Der Aufbau eines umfassenden US-Raketenabwehrsystems am Golf und die Entsendung einer zweiten Flugzeugträgergruppe zusätzlich zu der bereits vorhandenen werden überwiegend als konkrete Vorbereitungen für einen Militärschlag gedeutet. Oder soll Teheran vorerst doch nur eingeschüchtert werden? Beobachter fühlen sich an das Drehbuch für die Entfesselung des Irak-Krieg erinnert. Als der US-Globalstratege Zbigniew Brzeziński am 1. Februar vor dem Auswärtigen Ausschuß des US-Senats erklärte, wie man sich ein Szenario für einen Zusammenstoß mit dem Iran vorzustellen habe, war ihm Aufmerksamkeit gewiß. Der Iran, sagte er, erfülle die US-Vorgaben nicht; darauf folge der Vorwurf iranischer Verantwortung für das Scheitern, dann eine Provokation im Irak oder ein Terroranschlag in den USA, dessen der Iran beschuldigt wird. Dann müsse "Amerika" einen "Verteidigungskrieg" führen. Vor einem solchen Ablaufmuster wollte Brzeziński diesmal warnen. Ein Krieg gegen den Iran werde die USA und die Verbündeten "in einen sich ausweitenden und vertiefenden Sumpf ziehen, der womöglich vom Irak über den Iran und Afghanistan bis Pakistan reicht".

In dieser Situation findet die Studie "Attacking Iran" der niederländischen Bankengruppe ING, die als die elftgrößte der Welt gilt, besonderes Interesse. Auf 20 Seiten untersuchen die ING-Analysten für den Fall eines möglichen US-israelischen Angriffs bereits die Auswirkungen auf die Weltfinanzmärkte. Dort herrsche zwar die Auffassung, ein Angriff auf den Iran sei eher unwahrscheinlich. "Doch", so das Fazit, "sowohl die Kriegsrhetorik aus Israel als auch der akute Aufbau amerikanischer Kräfte im Golf könnte sie eines Besseren belehren."

Präzise und unaufgeregt legen die ING-Autoren die Hintergründe des Konflikts dar: Wie ist er entstanden? Und sie beantworten die sich ergebenden Fragen: Ist die Haßrhetorik Irans und Israels mehr als Schattenboxen? Wenn nicht, worin bestehen dann die Gründe für einen Angriff? Wie könnte er durchgeführt werden? Wer würde angreifen? Israel oder die USA? Wann? Dient der amerikanische Aufmarsch eher dazu, um die Vergeltungs-Optionen des Iran einzudämmen? Wie werden die Folgen aussehen?

Staatsanleihen, Gold, Ölwerte und der Euro profitieren

Das Fazit der Studie geht davon aus, daß - wenn es tatsächlich zu einem Militärschlag kommt - Israel den Angriff führen wird. "Israel befürchtet, daß der Iran die Fähigkeit zur Herstellung von Atomwaffen erlangt haben könnte, wenn die Bush-Regierung Ende 2008 aus dem Amt scheidet, ... Da eine diplomatische Lösung offenbar in weiter Ferne liegt, könnte Israel die Chance zum Angriff nutzen." Die beiden US-Flugzeugträgergruppen würden demnach als "Absicherung" des israelischen Militärschlags dienen. Auch auf die Befindlichkeit der beiden großen politischen Lager in den USA gehen die Autoren ein: "Wenn Israel den Angriff gegen den Iran führen würde, würde es wahrscheinlich die Unterstützung von Republikanern und Demokraten erhalten, denn deren Fraktionschefin, Nancy Pelosi, gilt allgemein als entschiedene Parteigängerin Israels."

Für ihre Großanleger-Kunden weist die ING-Bank darauf hin, daß die Finanzmärkte "im Falle eines solchen Angriffs dramatische Einbrüche" erleben würden. Aktien- und andere Papiere und einige Währungen würden einbrechen. Es wird empfohlen, auf sicherere Werte umzuschichten: Staatsanleihen, Gold und Ölwerte und der Euro würden profitieren. Vorsichtigen wird zu einer Umschichtung in Schweizer Franken oder Norwegische Kronen geraten.

Foto: Iranische Shahab-Rakete: Aufstrebende Regionalmacht am Golf


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