© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/07 09. Februar 2007

Abstimmung oder Abzug
Bundeswehr: Die Rechtsgrundlage für Auslandeinsätze ist noch immer nicht eindeutig / Verfassungsänderung als Ausweg
Helmut Weiss

Der geplante Einsatz von Aufklärungs-Tornados der Luftwaffe in Afghanistan wird demnächst den Bundestag beschäftigen. Die deutsche Öffentlichkeit hat sich mittlerweile an die Auslandseinsätze der Bundeswehr gewöhnt. Mancher Einsatz ist bereits in Vergessenheit geraten oder wird verdrängt, wie die Teilnahme der Bundeswehr am Krieg gegen Restjugoslawien sowie die Einsätze zur Friedenswahrung etwa in Bosnien-Herzegowina oder im Kosovo. Allgegenwärtig sind dagegen die schwerbewaffneten Missionen in Afghanistan und vor der Küste des Libanon.

Dabei ist das für die meisten Auslandseinsätze Wichtigste außer Blickweite geraten: die Rechtsgrundlage für die vielen verteidigungsfremden "Friedenseinsätze" der Bundeswehr. Das verwundert allerdings nicht, denn es gibt keine. Ganz im Gegenteil. Artikel 87a des Grundgesetzes (GG) verbietet alle Auslandseinsätze, die nicht der Verteidigung wenigstens irgendeines Staates der Völkergemeinschaft dienen, also beispielsweise auch den bewaffneten Libanon-Einsatz der Bundeswehr. Daß gegen dieses Verbot beharrlich verstoßen wird, liegt allein an der Meinungsäußerung des Bundesverfassungsgerichts in seinem Urteil vom 12. Juli 1994 (2 BvE 3/92). Darauf berufen sich seither die deutsche Regierung, die Parlamentsmehrheit und die Bundeswehrführung. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist jedoch rechtswidrig. Es gelangte zur Erlaubnis der verteidigungsfremden Auslandseinsätze nur mit einem rechtlich unzulässigen Trick.

Die Argumentation steht auf dem Kopf

Das Gericht argumentierte nämlich etwa folgendermaßen: Nach ihrer Gründung 1949 habe die Bundesrepublik Deutschland den Vereinten Nationen und der Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft (Nato) frei ihre eigene militärische Einsatzbeteiligung gemäß Artikel 24 Absatz 2 GG uneingeschränkt anbieten dürfen. Nach Schaffung der Bundeswehr 1956 könne doch diese Vertragsfreiheit nicht durch ein spezielles Verbot von verteidigungsfremden Einsätzen wieder eingeschränkt worden sein. Überträgt man diese Argumentationsweise auf das zivile Leben, so wäre es etwa erlaubt, das Stoppschild im Straßenverkehr zu mißachten oder fremde Wohnungen zu durchstöbern: Denn mit den entsprechenden Verboten könne der Gesetzgeber doch unmöglich die allgemein verfassungsrechtlich geschützte, freie Entfaltung der Persönlichkeit des flexiblen Bürgers beschränkt haben wollen. Die Argumentation steht einfach auf dem Kopf und führt deswegen zwangsläufig immer zu absurden Ergebnissen. So stürzte sich auch in unserem Fall das Bundesverfassungsgericht fälschlich und ohne übrigens seine Methode zu begründen, als erstes auf die allgemeinere Regelung des Artikels 24 Absatz 2 GG (Vertragsfreiheit Deutschlands), um dann anschließend Artikel 87a Absätze 1 und 2 GG (Einsatzverbot) abwürgen zu können.

Nach rechtsstaatlich anerkannter Methodik hätte das Gericht jedoch sofort allein den speziell greifenden, klaren Artikel 87a GG anpacken müssen. Denn dies geht den allgemeineren Überlegungen rechtlich vor. Auf die allgemeineren Aussagen des Artikels 24 GG kam es dann logischerweise gar nicht mehr an. Etliche Rechtsgelehrte haben die verkehrte Methodik des Bundesverfassungsgerichts natürlich durchschaut und sie immerhin als "kritisch" kommentiert, dann aber mit Verbeugung vor Autorität, Belesenheit und juristischer Sprachgewandtheit letztlich hingenommen.

Praktische Folgerungen aus dem erkannten Urteilsunrecht sind für die Zukunft kaum noch diskutiert worden, obwohl sich das geradezu aufdrängte. Denn das Bundesverfassungsgericht hatte ja lediglich etwas für erlaubt befunden. Niemand muß jedoch von einer als rechtswidrig entlarvten Erlaubnis auch weiterhin Gebrauch machen - mittlerweile seit zwölf Jahren. Statt dessen verstecken sich Regierung und Parlamentsmehrheit stets erneut hinter jenem Unrechtsurteil, um ihre Bundeswehreinsätze durchzudrücken, aus welchen ehrenwerten Hintergründen auch immer.

So wurde auch der Libanon-Einsatz der Bundeswehr am 20. September 2006 mit großer Mehrheit der Bundestagsabgeordneten trotz der verfassungswidrigen Grundlage gebilligt. Interessant ist, wie Funktionsträger auf eine letzte Warnung davor reagiert haben, den Rechtsstaat abermals einer Staatsräson zu opfern: Die Linksfraktion im Bundestag hielt besagtes Gerichtsurteil zwar rechtlich für mindestens bedenklich, will aber wohl resignierend nicht rechtlich, sondern nur politisch argumentieren. Die Bundestagsfraktion der SPD berief sich durch ihren verteidigungspolitischen Sprecher Rainer Arnold hauptsächlich auf deutsche Interessenpolitik in Nahost. Sie hält zudem pauschal das Urteil des Bundesverfassungsgerichts für eine rechtmäßige Einsatzgrundlage, stützt sich aber im Widerspruch dazu auf einen selbsterwählten, vermeintlich rechtfertigenden Begriff der "Verteidigung". Dieser soll sich auch erstrecken auf die Verhütung von Konflikten und Krisen und die gemeinsame Bewältigung von Krisen und Krisennachsorge, jeweils in aller Welt. Solchen "rechtlichen" Unfug hatte das Bundesverfassungsgericht natürlich nicht geäußert.

Die Bundestagsfraktion der CDU/CSU ließ durch ihren verteidigungspolitischen Sprecher Bernd Siebert bezeichnenderweise mitteilen, daß neben der Bindung des Parlaments an die verfassungsmäßige Ordnung stets auch politisches Verantwortungsbewußtsein der Abgeordneten stehe. Dagegen steht in unserem Rechtsstaat doch wohl die Verfassungstreue nicht nur neben der Politik, sondern über ihr.

Nachdem schließlich der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans Jürgen Papier, aufgerufen worden war, er möge wenigstens die gelegentliche Überprüfbarkeit jener Alt-Entscheidung des Gerichts vom 12. Juli 1994 andeuten, verlautete aus dem Präsidialrat ablehnend unter anderem folgendes: Der Präsident sei Vorsitzender des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts, während Verfahren aus dem hier angesprochenen Rechtsgebiet in die Zuständigkeit des Zweiten Senats fallen.

Die Heimatfront schluckt nicht alles

Festzuhalten bleibt, daß angesichts der rein rechtlichen Klarstellung nicht allein der Libanon-Einsatz, sondern auch diverse andere laufende und zurückliegende Auslandseinsätze der Bundeswehr verfassungswidrig sind und waren, soweit und solange es sich nicht nachweislich um die Verteidigung eines Mitgliedsstaates der Vereinten Nationen gegen einen rechtswidrigen Angriff handelt.

Durchaus verständlich ist, daß bei einem solchen Ausmaß kein Verantwortlicher gern den Vorwurf der "Verfassungsfeindlichkeit" hören will, zumal da selbst eine künftig etwa rettende Verfassungsänderung die bisherige rechtsmißachtende Haltung nicht ungeschehen machen kann.

Dennoch sollte es im Rechtsstaat nie zu spät sein, Recht und Unrecht offen beim Namen zu nennen und entsprechend auch zu handeln. Dazu gehört hier nun einmal, entweder die betreffenden Einsätze sofort zu beenden oder die fehlende Rechtsgrundlage durch eine heilende Verfassungsänderung zu schaffen. Oder befürchten die Verantwortlichen mit Recht, trotz Großer Koalition die dazu erforderliche Zweidrittelmehrheit der Bundestagsabgeordneten und damit die demokratische Legitimation für alle Auslandseinsätze der Bundeswehr nicht zu erreichen? Eines jedenfalls sollte klar sein: Die demokratische Heimatfront schluckt nicht alles.

 

Helmut Weiß ist Jurist und war Ministerialrat beim Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages.

 

Fotos: Eine deutsche Streife in der Stadt Prizren im Kosovo: Manche Einsätze geraten in Vergessenheit


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