© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/07 02. Februar 2007

An den Bildern klebt kein Blut
Kunstrestitution: Mit dem Verbleib von Hans Sachs' Plakatsammlung in Berlin siegt die Verantwortung über die Moralrhetorik
Wolfgang Saur

Wie Experten vorhergesagt haben, kommt die Lawine spektakulärer Streitigkeiten um Kunstrestitutionen und die Rückgabe von Kulturgütern erst richtig in Gang. Ausgelöst hat sie 1998 die Washingtoner Erklärung über den "Umgang mit NS-bedingt entzogenem Kulturgut" jüdischer Herkunft sowie die deutschen Nachfolgeregelungen 1999 und 2001. Sie scheint eine veritable Büchse der Pandora, die ein undurchsichtiges Geflecht aus Rechtsnormen, historischen Informationen, politischen Erwägungen und moralischen Reflexen freigesetzt hat.

Auch deshalb haben österreichische und deutsche Regierung Schlichtungsinstanzen ins Leben gerufen, die in verfahrener Lage Klarheit schaffen sollen. Wie fragwürdig deren Votum ausfallen kann, zeigt die berüchtigte Wiener "Causa Klimt" 2006. Schlußendlich hat man sich dort internationalem Druck gebeugt. Das wird nun kommuniziert als Sieg der "Moral". So entblödete sich selbst die FAZ nicht, kürzlich die Herausgabe eines Porträts aus dem Braunschweiger Museum an die Goudstikker-Erben als "Sieg der Moral über den spröden Standpunkt der Rechtsprechung" zu kommentieren. Wenn solch umstandslose Erfüllung von Begehrlichkeiten als Standpunkt "der Moral" übernommen wird, auch von den zuständigen Behörden, sieht es schwarz aus für den nationalen Kunstbesitz. Übrigens auch für die Integrität moralischen Urteils.

Deshalb kommt dem aktuellen Streit um die Berliner Plakatsammlung von Hans Sachs (1881-1974) höchste Bedeutung zu. Die von seinem Sohn 2005 geforderte Rückerstattung wurde durch die von beiden Parteien angerufene Beratende Kommission vergangenen Donnerstag abgewiesen. Dieser Entscheid kann als Lichtstreif am Horizont gelten. Er stellt faktisch und argumentativ die Weichen richtig.

Hans Sachs hatte schon als Jugendlicher Plakate gesammelt. Schließlich umfaßte seine Kollektion 12.000 Blatt; sie wurde von den Nationalsozialisten konfisziert. Er selbst emigrierte mit seiner Familie in die USA. Seinem 1961 gestellten Entschädigungsanspruch wurde 1963 mit 225.000 Mark entsprochen. Mit dieser "äußerst ansehnlichen" Abfindung - so seine Worte - sah er seine materiellen Ansprüche voll befriedigt. Als wenig später bekannt wurde, daß ein Teil der Sammlung gerettet und im Museum gelandet sei, reagierte der alte Herr freudig, sei doch somit "ein Teil dieser unwiederbringlichen Kostbarkeiten für die Allgemeinheit" erhalten. Diese Aussagen des Betroffenen hat sich die Kommission zu Herzen genommen und ihrer Entscheidung zugrunde gelegt. Sie ließ jetzt verlauten: "Die Beratende Kommission erwartet, daß das Deutsche Historische Museum der Leistung des Sammlers und Pioniers (...) Hans Sachs in vollem Umfang gerecht wird. Hierzu gehören Katalogisierung, Pflege und Ausstellung der Kunstwerke im Rahmen der konservatorischen Verantwortbarkeit."

Die Kommission votiert also für das Museum und gegen das Privatinteresse des nominellen Erben - derart, daß es die Rolle der Institution als Sachwalter kulturellen Erbes und auch als Garant von Humanität anspricht. Die Kommission verdeutlicht, daß dem idealistischen Sammler, der Pflege wie Erforschung seiner Kunst und dem öffentlichen Interesse eine aufs Gemeinwohl verpflichtete Einrichtung exakt entspricht. Diesem überpersönlichen Prinzip muß sich privates Besitzstreben unterordnen, ja argumentativ beipflichten. Weshalb auch die Kommission befand: "Dies entspricht auch den Intentionen des Sohnes und Erben, Peter Sachs, diese einzigartige Sammlung nicht in Vergessenheit geraten zu lassen." Sie nimmt also den Nachkommen beim Wort, verweigert sich indes einer Moralrhetorik, die bloß Einschüchterung bezweckt. Hatte Peter Sachs doch seinen Erbanspruch mit Aplomb unterstrichen, als er kategorisch erklärte: "Es ist eine moralische Frage. Darüber gibt es keine Verhandlungen."

In diesem Sinn legte jetzt sein Anwalt nach, indem er die briefliche Äußerung von Hans Sachs anzweifelte, der 1966 geschrieben hatte: Er freue sich zu sehen, wie Museumsleute jetzt seinen Kunstbestand hüteten. Der Verstorbene könne kaum gemeint haben, so Matthias Druba, daß "der Räuber der beste Hüter seiner Sammlung sei". Damit stellt er heutige Museen mit den Nazis in eine Linie und die Bundesrepublik in kryptofaschistische Nachfolge zum Dritten Reich. Ubiquitärer NS-Bezug legitimiert oder erledigt also heutige Positionen - je nach Bedarf. Doch an den strittigen Kunstwerken klebt kein "Blut", wie Georg Heuberger will, und die Nachfahren einst Verfolgter sind nicht einfach Lichtgestalten, deren Eigennutz jeder Kritik enthoben wäre. Ein angemaßter Opfer-Nimbus steht niemandem zu und darf somit entzaubert werden.

Es ist Zeit, daß Institutionen als Sachwalter sozialer Verantwortung sich der aggressiven Indienstnahme entziehen: dieser Gemengelage privatwirtschaftlichen Kalküls, politischen Drucks, pseudomoralischer Einschüchterung und medialer Inszenierung. Als Agenten des Gemeinwohls und Garanten staatlicher Integrität dürfen sie die NS-Verstrahlung nicht länger hinnehmen. Es gilt vielmehr, die Marodeure des moralpolitischen Geschäfts zu enttarnen.

Mit einem treffenden Wort hat Bernd Neumann das Kommissionsvotum apostrophiert: "Die Empfehlung der Kommission ist ein gutes Beispiel in der Debatte um die Zukunft der deutschen Restitutionspolitik." So ist es.


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