© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/07 02. Februar 2007

Pankraz,
die tätige Reue und der Gnadenerweis

In der Öffentlichkeit wird jetzt viel über Reue geredet, seitdem der Plan der deutschen Justiz ruchbar geworden ist, zwei verurteilte mehrfache Mörder von der ehemaligen RAF, Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar, freizulassen. Sofern die Verurteilten "echte Reue" zeigten, heißt es behördlicherseits, stehe ihrer Entlassung nichts mehr im Wege. Schließlich säßen sie schon fünfundzwanzig Jahre ein und müßten nun die Chance erhalten, den Rest ihres Lebens selbstbestimmt zu gestalten. Im Falle Mohnhaupt liegt die Entscheidung beim Oberlandesgericht Stuttgart, im Falle Klar soll der Bundespräsident von seinem Begnadigungsrecht Gebrauch machen.

Bei den sogenannten "kleinen Leuten" bestehen beträchtliche Widerstände gegen das Vorhaben. In allzu frischer Erinnerung ist noch der Horror der Taten, für die Mohnhaupt und Klar verurteilt wurden, die Energie und Kaltschnäuzigkeit dieser Killer, welche ja ohne jeden Skrupel nicht nur die von ihnen zu Feinden erklärten Symbolfiguren (Buback, Ponto, Schleyer) umlegten, sondern auch beliebig viel Begleitpersonal, Chauffeure, Pförtner, Leibwächter. Die Strecke der Opfer ist groß, faktisch alle Wunden bluten noch, keine Träne ist versiegt.

Zudem geht die Angst um, die Entlassenen könnten von den sensationsgeilen linken Medien, für die nur der RAF-Täter interessant ist, zu "wichtigen Zeugen der Zeitgeschichte" aufgeblasen werden, von Talkshow zu Talkshow herumgereicht, von Filmregisseuren und TV-Dokumentaristen als "Consulter" engagiert, mit riesigen Interview-Honoraren von Bild und Stern bedacht. Man kann sich gut in die Seelen der Hinterbliebenen der Mordopfer hineinversetzen, die diesem Treiben voll ohnmächtiger Bitterkeit zusehen müßten.

Weder Mohnhaupt noch Klar haben bisher zu erkennen gegeben, daß sie sich im Falle einer Freilassung jener würdelosen medialen Täter/Opfer-Umkehrung widersetzen oder wenigstens verschließen würden. Vor allem aber sind sie bislang jedes Bekenntnis schuldig geblieben, daß sie ihre Taten bereuen, "echt" bereuen. Was heißt das denn: "echte Reue"? Man kann alles mögliche bereuen, etwa daß man sich damals, beim Entfesseln und Organisieren des "individuellen Terrors", leider geirrt habe, daß der Weltgeist eben doch nicht so wollte, wie man es gern gehabt hätte, und daß also alles "umsonst" gewesen sei. Ist dies aber echte Reue?

Reue für sich genommen, als innerer Affekt, ist gar nichts, kann sogar zu neuen Schandtaten anstiften. "Nichts taugt Ungeduld, / Noch weniger Reue. / Jene vermehrt die Schuld, / Diese schafft neue", heißt es bei Goethe. Reue taugt nur etwas als "tätige Reue". Der wirklich Reumütige, der "Penetent", wie früher die Mönche sagten, kommt nie von seiner Schuld los, will es auch gar nicht, setzt vielmehr seine Reue unermüdlich in gute Taten um, die nicht den geringsten Zweifel an der Echtheit seines Affekts aufkommen lassen und für die er nie und nimmer belohnt werden will.

Eine Art Urbild dieses echt reuigen Sünders gibt "Tookie" Williams ab, jener farbige Schriftsteller, den sie voriges Jahr in Kalifornien hingerichtet haben. Er hatte als junger Mann im Auftrag der Mafia Morde ausgeführt, wurde zum Tode verurteilt und kam danach, wie dort üblich, in den Hochsicherheitstrakt für Hinrichtungskandidaten. Dort verbrachte er volle sechsundzwanzig Jahre, bis endlich alle Revisionsverfahren negativ erledigt und alle Gnadengesuche abgelehnt waren. Danach gaben sie ihm die Giftspritze, und er trug sein Schicksal mit größter Gelassenheit und klagte niemand an.

Während der ganzen sechsundzwanzig Jahre im "Wartesaal für Mörder" und jeden Tag mit seiner Hinrichtung rechnend, hatte sich Williams zum ausgezeichneten Schriftsteller und zum die Herzen ergreifenden Penetenten entwickelt. Er verfaßte Kinder- und Jugendbücher, eines besser als das andere, wo er auf höchst überzeugende Weise vor jeder Gewalt warnte und seinen eigenen Weg ins Verbrechen als warnendes Beispiel anführte. Die hohen Honorare für seine Bücher stiftete er Organisationen, die Verbrechensopfer und ihre Angehörigen betreuen, behielt keinen einzigen Cent für sich. Und er klagte wie gesagt nicht, als man ihn zum Tode führte.

Verglichen mit jenem Autor war das Schicksal der Mohnhaupt und Klar das reinste Zuckerlecken. Es ist indes nicht bekannt geworden, daß sie in all der Zeit je etwas für ihre Opfer oder deren Angehörige getan hätten; nicht einmal Respekt haben sie ihnen bezeugt, sich nicht einmal eindeutig als Täter bekannt. Erschütternd zu hören, wie in einer Talkshow der Sohn des ermordeten Bundesanwalts Buback darüber seufzte, er wisse bis heute noch nicht, wer nun eigentlich seinen Vater und dessen Fahrer erschossen hat, weil die Täter offenbar nach wie vor das mafiose Gebot der "Omertà" befolgten, das Gesetz des Schweigens.

Falls es in der gegenwärtigen Diskussion über Begnadigung oder nicht tatsächlich um die "echte Reue" als Voraussetzung geht, wäre mithin einiges anzumerken. Erstens: Echte Reue ist tätige Reue, nur als solche kann sie gerecht beurteilt werden. Zweitens: Der erste Schritt zu tätiger Reue ist ein ehrliches und umfassendes Schuldbekenntnis nebst völliger Aufklärung über konkrete Täterschaften und Netzwerke. Und drittens: Zur tätigen Reue gehört, daß man nicht den geringsten eigenen Nutzen aus seinen Schandtaten zieht, sich aller medialen Würdelosigkeiten enthält und die Empfindlichkeit der Opfer-Angehörigen mit höchster Dezenz berücksichtigt.

Natürlich ist das vorstellbar: Ein Christian Klar, der sich nach seiner Entlassung echt würdig verhält, sich möglicherweise in ein buddhistisches Schweigekloster zurückzieht, eine Brigitte Mohnhaupt, die endlich über die Fragwürdigkeit ihrer wahnwitzigen, weltanschaulich angeheizten kriminellen Energie, die sie in ihrer Mörderzeit an den Tag gelegt hat, genau nachdenkt und eine Krankenschwester oder Altenpflegerin wird, vor der sich niemand fürchten muß. Vorstellbar ist so manches. Ein Risiko bleibt. Aber jeder Gnadenerweis ist ein Risiko.


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