© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/07 02. Februar 2007

"Beleidigung des Türkentums"
Hrant Dink beigesetzt
Curd-Torsten Weick

Ob er zur leuchtenden Symbolfigur der christlichen Armenier in der Türkei wird oder nach seiner schlagzeilenträchtigen Ermordung als Menetekel türkischer Menschenrechtsdefizite in Vergessenheit gerät, wird die Zukunft erst noch weisen. Fest steht: Der brutale Mord an dem türkisch-armenischen Journalisten Hrant Dink durch einen 17jährigen nationalistischen Türken erschütterte nicht nur Istanbul. Das Beben war auch in Brüssel und Berlin zu spüren und sorgte für eindeutige Worte der deutschen Ratspräsidentschaft: "Hrant Dink war ein mutiger Journalist, der seine Sache mit anhaltendem Einsatz für Demokratie und Meinungsfreiheit verbunden und dabei große persönliche Risiken in Kauf genommen hat. Er war dabei stets auf Ausgleich bedacht und hat es vermieden, Konfrontationen zu provozieren."

Nicht zu provozieren, wenn es um die Aufarbeitung der jüngsten Historie zwischen Armeniern und Türken - Stichwort Völkermord - geht und um die Anerkennung der armenischen Minderheit überhaupt, war allerdings kaum durchzuhalten. Dink, Chefredakteur der in Türkisch und Armenisch erscheinenden Wochenzeitung Agos (6.000 verkaufte Exemplare), geriet ins Fadenkreuz der türkischen Justiz und türkischer Nationalisten. Zu seiner eigenen Überraschung wurde ihm der Prozeß gemacht, und seine Unbekümmertheit - genährt aus einem tiefen Vertrauen in eine unabhängige, moderne türkischen Justiz - verflog. Die wertete den Inhalt eines Artikels anders als Dink, befand ihn der "Beleidigung des Türkentums" für schuldig und verurteilte den als Christ erzogenen Intellektuellen zu sechs Monaten Haft auf Bewährung.

Der Gründer von Agos, der Zeitung, die sich die Aufklärung und Versöhnung auf ihre Fahne schrieb und sich für gesellschaftliche Veränderungen engagierte, zeigte sich konsterniert: "Ich war mir so sicher, denn ich hatte ja in meinem Artikel das Türkentum niemals, nicht im geringsten beleidigen wollen." Konsterniert und "fassungslos": "Bei jedem Sitzungstermin hatten die Zeitungen, die Leitartikler, die Fernsehsender behauptet, daß ich geschrieben habe, türkisches Blut sei giftig. Jedesmal wurde ich noch etwas bekannter als 'Türkenfeind'." (Tagesspiegel)

Dink hatte die Hartnäckigkeit unterschätzt, mit der in der Türkei der berüchtigte Strafrechtsparagraph 301 (Beleidigung des Türkentums) verteidigt wird. Ebenso die Wirkung des Urteils. Die unverhohlenen Drohungen nahmen ungeahnte Ausmaße an. Die Zeichen sprachen für eine Ausreise. Diese jedoch lehnte Dink ab. "Hier ist das Land meiner Vorfahren, hier sind meine Wurzeln und ich habe ein Recht darauf, in dem Land zu sterben, in dem ich geboren bin", erklärte der 52jährige fünf Tage, bevor er am 19. Januar erschossen wurde, in einem Stern-Interview.

Es seien "Schüsse auf die Türkei" gewesen, erklärte der ums Renommee besorgte Premier Recep Tayyip Erdoğan - und entschwand zur Eröffnung eines Autobahntunnels. Derweil erlebte Istanbul eine ungewöhnliche Trauerkundgebung. Hunderttausend Menschen versammelten sich vor dem Redaktionsgebäude und solidarisierten sich: "Wir alle sind Armenier". Und auch die Trauerfeier selbst unterstrich das versöhnende Vermächtnis Dinks. So rief der armenisch-othodoxe Patriarch Mesrob II., wie die deutsche Nachrichtenagentur Idea berichtete, zu einem ehrlichen Dialog auf, verlas zentrale Abschnitte des Neuen Testaments und erbat Gottes Segen für die Türkei.


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