© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/07 02. Februar 2007

Kolumne
Wahrhaftigkeit
Norbert Geis

Die Menschen halten die Politik für ein "schmutziges Geschäft". Wahrhaftigkeit erwarten sie nicht. Wahrhaftig verhält sich der, der sich in seinem Reden und Handeln nach der Wahrheit richtet. Die Politiker tricksen, so meint man, und wer am besten trickst, hat den größten Erfolg. Zwar dürfen sich Politiker nicht bereichern, keine Steuern hinterziehen und keinem auswärtigen Geheimdienst Informationen liefern. Höher aber sind die Erwartungen an die Politik nicht.

Politiker sollen nach dem Wunsch der veröffentlichten Meinung "authentisch" sein. Authentisch ist aber noch nicht wahrhaftig. Der Politiker muß ankommen, muß in den Talkrunden Souveränität suggerieren und muß sich gut zu inszenieren wissen. Dabei muß ihm die Sorge um das Wohl unseres Landes und um die Freiheit und Sicherheit unserer Bürger ins Gesicht geschrieben stehen.

Fischer war dafür ein Musterbeispiel. Wer erinnert sich nicht an das von tiefer Sorge gefurchte Gesicht unseres früheren Außenministers, wenn er mit stockender, zäher Sprache seine Statements abgab. In jeder Geste, in jeder Mimik und in jedem Tonfall war er sich seiner Bedeutung bewußt. Fischer wurde vom größten Teil der Medien in Deutschland für authentisch gehalten. Sie haben ihn gefeiert. Warum eigentlich? Offenbar kommt es nur noch darauf an, wie Politik verkauft und dargeboten wird. Darin liegt die Meisterschaft. Der Inhalt ist nicht so wichtig.

Die Lüge in all ihren Erscheinungen bemächtigt sich schnell der Politik, und die Menschen können unter dem Einfluß der Medien das Wahre vom Falschen nicht mehr unterscheiden. Die Wahrhaftigkeit, die nicht blendet und nicht die großen Töne wählt, hat es in einem solchen Klima schwer. Und trotzdem, die Lüge sitzt nicht am längeren Hebel. Die Wahrheit wird sich immer durchsetzen, wenn sie Menschen findet, die sich ihr öffnen, ihr Handeln danach ausrichten und den Mut haben, der Lüge zu widersprechen.

Schon Kant hat in seiner "Grundlegung der Metaphysik der Sitten" gelehrt, daß der Politiker sein Handeln an der Wahrheit auszurichten habe. Und Papst Johannes Paul II. schrieb in der Enzyklika "Veritatis Splendor" 1993: "Wenn die Prinzipien der Wahrhaftigkeit nicht eingehalten werden, zerbricht das Fundament des politischen Zusammenlebens und das ganze gesellschaftliche Leben wird dadurch fortschreitend beeinträchtigt, bedroht und der Auflösung preisgegeben." Wahrhaftig muß der Politiker sein, authentisch genügt nicht.

 

Norbert Geis (CSU) ist Mitglied des Deutschen Bundestages und lebt als Rechtsanwalt in Aschaffenburg.


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