© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/07 26. Januar 2007

Hohepriester der Holocaust-Religion
Der Jerusalemer Historiker Dan Diner und seine Versuche, den Judenmord "zu vermenschheitlichen"
Durs Neumann

Am 25. November 2006 hat der Historiker Dan Diner, Professor für Neuere Geschichte an der Hebräischen Universität in Jerusalem und Direktor des Simon-Dubnow-Instituts für Jüdische Geschichte und Kultur an der Universität Leipzig, den Ernst-Bloch-Preis der Stadt Ludwigshafen erhalten. Er sei eine "Stimme des Verständnisses und der Vernunft. Er wägt die Argumente, prüft die Vorurteile", so die zuständige Jury. Sie bestätigt seine Position als Aufklärer, die Diner beansprucht. Doch der Aufklärung droht Gefahr. Das ist der Tenor seiner Dankrede "Gedächtnis hier, Gedächtnis dort", die am 2. Dezember 2006 in der Tageszeitung Die Welt ganzseitig abgedruckt wurde. Woraus speist sich Diners Sorge?

Er konstatiert eine weltweite Konkurrenz der Erinnerungsdiskurse. Hatte er noch kürzlich keinen Zweifel daran, daß am Ende die "Universalisierung als Vermenschheitlichung des Holocaust" stehen würde ("Gedächtnis und Restitution", 2002), fürchtet er nun, daß die "zunehmend selbstbewußt sich artikulierenden Erinnerungen der kolonialen Opfer der überseeischen europäischen Expansion" gleichberechtigt neben die für den Westen "geltenden Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg mit dem Holocaust als Gedächtniskern" treten. Diese "auf Gleichheit und Gleichwertigkeit aller Opfergedächtnisse pochende, unterschiedslose Vermenschheitlichung von Leiderfahrung" bedeute einen "Schwund historischer Urteilskraft (...), gar eine Erosion von Grundbegriffen der Vernunft". Für Diner steht außer Frage, daß die "Denkbewegung der historischen Urteilskraft", die der "Tradition der Aufklärung erwachsen" ist, die "substantielle Differenz" des Holocaust zu anderen Großverbrechen zwingend feststellt. Die Sonderstellung ergibt sich daraus, daß er "alle Stufen von Vernunft und Selbsterhaltung durchbricht" und damit als "das praktisch gewordene Dementi der Aufklärung zu verstehen ist".

Die Gefahr gehe insbesondere von der "theozentrischen", "sakral durchdrungenen Kultur" des Islam aus, der nicht akzeptiere, daß für den säkularen Menschen des Westens der Holocaust "der ihm zugeschriebenen Absolutheit wegen" eine "hohe und höchste Bedeutung" besitzt und "gleichsam an die Stelle Gottes tritt". Um die göttliche Instanz (in diesem Fall: Allah) weiterhin als das Höchste preisen zu können, müßten die Muslime "ihr anthropozentrisches Substitut in Gestalt der Aufklärung ebenso wie ihre Negation als Holocaust" leugnen. In seinem Selbstverständnis profiliert sich Diner, indem er die Exklusivität des Judengenozids verteidigt, als Verteidiger europäischer Kultur und Zivilisation gegen ihre religiös-fanatischen Feinde.

Holocaust als sakrale Instanz der säkularen Gesellschaft

Das Wort "Aufklärung" leitet sich aus der Lichtmetaphorik der Theologie (Licht in die Finsternis tragen, Erleuchtung) sowie aus dem Sinnbereich der Wetterbeschreibung (wie Klarheit der Sonne) ab. Es bezeichnet ein breites Spektrum geistig-kultureller Emanzipationsbestrebungen des Bürgertums gegen das metaphysisch-theologische Weltbild der Feudalgesellschaft. Den Aufklärern ging es um die Mündigkeit des Individuums und seine Befreiung von Autoritäten, die durch die Vernunft nicht legitimiert waren. Sie formulierten die radikale Absage an den Dogmatismus und stellten den Begriff der Kritik ins Zentrum. Vor diesem Hintergrund erscheint Diners Anspruch auf Aufklärung zweifelhaft. Seine Kritik endet dort, wo die Exklusivität des Holocaust anfängt. Dessen Erkenntnis, die erst zu begründen wäre, setzt er in der erkenntnistheoretischen Begründung schon voraus, so daß seine Argumentation einen Zirkelschluß bildet: Weil der Holocaust die aufklärerische Vernunft in unvergleichbarer Weise dementiert, ist er nach ihren Maßstäben ein unvergleichbares Ereignis, das die Vernunft in unvergleichbarer Weise dementiert. Die Argumente laufen sich im Kreise heiß, und aus der überhitzen Mitte steigt ein "Absolutes" auf, das Diner sich als unhinterfragbare, quasi-sakrale Instanz der säkularen Gesellschaft denkt. Das ist keine Aufklärung, sondern eine aufklärungsfeindliche Metaphysik, so daß man ironisch fragen könnte, ob er nicht mehr mit islamischen Theokraten gemein hat als mit europäischen Aufklärern.

Ob der behauptete westliche Erinnerungskonsens jenseits staatstragender Reden und opportunistischen Bekenntniszwangs wirklich existiert, sei dahingestellt. Fest steht, daß Diner mit einer Fülle von Aufsätzen, Sammelbänden, Anthologien usw. seit über zwanzig Jahren daran arbeitet, ihn herzustellen, und daß es Gründe gibt, ihn für einen außerordentlich einflußreichen Geschichtspolitiker zu halten. Er ist kein Historiker im klassischen Sinne, sondern betätigt sich als Ideen- und Universalgeschichtler. Sein Buch "Das Jahrhundert verstehen" (2000) will "eine universalhistorische Deutung" des 20. Jahrhunderts liefern und damit neben Ludwig Dehios "Gleichgewicht oder Hegemonie" (1948) und Ernst Noltes "Deutschland und der kalte Krieg" (1974) treten. Mit Nolte scheint Diner eine Haßliebe zu verbinden. Zwar fand er seine Thesen bereits 1987 (mit den Worten Saul Friedländers) "unhaltbar" und "außerhalb des wissenschaftlichen Diskurses angesiedelt" ("Ist der Nationalsozialismus Geschichte?"), doch vieles deutet darauf hin, daß er in ihm eine Art Vorbild erblickt, das er zu widerlegen und überbieten versucht. Allerdings sind seine Arbeiten weniger ideen- als diskursgeschichtlich interessant.

Diners zentraler Begriff ist der "Zivilisationsbruch". Im Holocaust sei ein "universeller Zivilisationsbruch offenkundig (geworden). Er liegt darin begründet, daß eine grundlose Vernichtung von Menschen (im Original hervorgehoben) möglich und wirklich geworden ist." Damit sei die Zivilisation widerlegt worden, "deren Denken und Handeln einer Rationalität folgt, die ein Mindestmaß antizipatorischen Vertrauens voraussetzt". In seiner Ludwigshafener Dankrede wiederholt er diese Überlegung. Der Holocaust habe "gleichsam grundlos, (....) jenseits allen politischen Konflikts" stattgefunden. Diner knüpft an Hannah Arendts These vom "radikal" oder "absolut Bösen" an, das mit dem Dritten Reich an die Oberfläche getreten sei. Arendt hatte sich auf Kants Wort vom "schlechthin bösen Willen" bezogen, bei dem der Widerstreit gegen das menschliche Sittengesetz selbst die Triebfeder ist und das Böse um des Bösen willen getan wird. Diese Eigenschaft war für Kant "teuflisch" und auf die Menschenwelt nicht mehr anwendbar. Für Ernst Nolte ist das eine "dogmatische Konstruktion", die auf einer "unwissenschaftlichen Zerstörung der Zusammenhänge" beruht. Der Holocaust sei "nicht unverstehbar, denn er hat leicht erkennbare Prämissen, und er war kein der Geschichte enthobenes Werk des 'absolut Bösen'".

Um den "absoluten" Charakter des Holocaust zu begründen, bedarf es eines schlichten Bildes von der Aufklärung, das bei einem exzellenten Kenner der "Dialektik der Aufklärung" sonst auch verwundern müßte. Schon sehr früh wurde formuliert, daß die Aufklärung "alle Bande frommer Scheu" löste (Friedrich Schiller) und die Französische Revolution, die aus ihrem Schoß hervorging, im Namen des Fortschritts die Schleusen zum politischen Massenmord öffnete. Georg Büchner hat in seinem Revolutionsdrama "Dantons Tod" von 1835 herausgearbeitet, daß der revolutionäre Terror sich keineswegs nur im Rahmen von "Vernunft und Selbsterhaltung" bewegt, sondern auch einer Eigendynamik gehorcht, die schnell in Destruktion umschlägt. Er zitiert aus einer Konventsrede Saint Justs: "Die Revolution ist wie die Töchter des Pelias: sie zerstückt die Menschheit, um sie zu verjüngen. Die Menschheit wird aus dem Blutkessel wie die Erde aus den Wellen der Sündflut mit urkräftigen Gliedern sich erheben, als wäre sie zum ersten Male geschaffen." Die Revolution, die sich an der ungelösten Ernährungsfrage festgefahren hat, soll durch "ein Blutgericht über unsere Feinde" wieder flottgemacht werden. Vom Standpunkt politischer Rationalität ist der Terror eine irrationale Ausweichbewegung - unpolitisch und grundlos ist er deswegen noch lange nicht.

Das historische Vorbild der Französischen Revolution für den stalinistischen Terror ist offensichtlich. Georg Lukács hob entsprechend in seinem 1937 im Moskauer Exil beendeten Büchner-Aufsatz die Rede Saint Justs hervor, weil in ihr "die eherne und unmenschliche Notwendigkeit der Geschichte, die ganze Generationen, die ihr im Wege stehen, revolutionär zerstampft, die wie ein unwiderstehlicher Vulkanausbruch oder wie ein Erdbeben wirkt, mit leidenschaftlichem Pathos bejaht und verherrlicht wird". Die Theorie und Praxis, die Lukács hier benennt, bildeten die Voraussetzung für eine Notiz, die Carl Schmitt nach dem Zweiten Weltkrieg zum Judenmord niederschrieb: "Es sind Gesinnungsverbrechen von der negativen Seite. Sie mußten mit dialektischer Notwendigkeit kommen, nachdem aus Humanität die Gesinnungsverbrechen aus guter Gesinnung entdeckt worden waren. Mit anderen Worten: es sind die aus menschenfeindlicher Gesinnung entstandenen und von solcher Gesinnung zeugenden Taten, also: das, was der zum Feind der Menschheit Erklärte tut. Politisch im extremsten und intensivsten Sinne des Wortes." Man muß der Apodiktik Schmitts nicht bis ins Letzte folgen, um zu erkennen, daß von Diners Metaphysik nichts übrigbleibt.

Berlin soll ein "universeller Gedächtnisort" werden

Schmitt verweist hier auch auf einen realgeschichtlichen Zusammenhang, auf die Wendung zum diskriminierenden Kriegsbegriff, der dem Kriegsgegner nur die Aussicht auf die bedingungslose Kapitulation und den Galgen läßt. Es ist bemerkenswert, daß Diner, der seine Dissertation - noch unter dem Namen Donald Diner - über den Kriegsbegriff und das moderne Völkerrecht verfaßt hat, darauf überhaupt nicht eingeht. Der Gegner sieht sich vor die Alternative des Alles oder Nichts gestellt und wird bis zur Weißglut radikalisiert.

Den Zusammenhang zwischen Judenmord und Kriegslogik ist schon von Max Domarus in seinem Standardwerk mit den Reden und Proklamationen Hitlers herausgearbeitet worden. Zur Rede vom 30. Januar 1941 merkt er an, die angedrohte Massakrierung der Juden sei "ein letztes Mittel" Hitlers gewesen, um die Briten zum Friedensschluß zu zwingen. Dem lag eine schiefe, aber in sich schlüssige Logik zugrunde: "Wenn er nun den Juden in Europa die totale Vernichtung androhte, mußte dann nicht die geheime jüdische Weltregierung die von ihr abhängige englische Regierung schleunigst zum Frieden mit Deutschland veranlassen, um den europäischen Juden zu helfen?" Seit der Niederlage vor Moskau Ende 1941 und der formalen Kriegserklärung an die USA war auch diese Überlegung obsolet und hatte die NS-Führung endgültig das Nichts vor Augen. Die Verlängerung des eigenen Lebens um jeden Preis und, wie Sebastian Haffner und andere bemerkten, ein archaisches Rachebedürfnis rückten in den Vordergrund. Es schlägt sich unter anderem im schauerlichen Tagebucheintrag Joseph Goebbels' vom 14. März 1945 nieder. Über die Meldung, ein jüdischer Emigrant hätte in der amerikanischen Presse eine harte Behandlung Deutschlands verlangt, tröstet er sich hinweg, daß man wenigstens die Tötung von Juden "ja Gott sei Dank schon redlich besorgt" habe.

Einen Konnex zwischen Krieg und Holocaust sieht auch Götz Aly in "Hitlers Volksstaat" (2005). Im Kapitel "Von Rhodos nach Auschwitz" schildert er das Schicksal der 1.777 Juden der Insel Rhodos, die noch Ende Juli 1944 abtransportiert wurden. Allgemein wird dies als Beleg für einen irrationalen Antisemitismus herangezogen, "der sich selbstzerstörerisch noch über das nackte Sicherheits- und Rückzugs-interesse deutscher Soldaten erhoben" habe. Aly weist präzise nach, daß "ein militärisches Interesse an der Deportation" bestand. Der jüdische Besitz wurde beschlagnahmt und bei der einheimischen Bevölkerung gegen Lebensmittel zur Versorgung der Wehrmacht eingetauscht. Die Aktion trug somit zur Herrschafts- und Lebensverlängerung des todgeweihten NS-Regimes bei. Wenn man außerdem bedenkt, daß der Kriegsausbruch im Sommer 1939 komplexere Ursachen hatte, als eine biedersinnige Historiographie einschließlich der Alys das darstellt, und daß die NS-Führung in den Juden die Drahtzieher ihrer Feinde erblickte - über die wirren Prämissen, die sie leiteten, haben Domarus, Nolte, Rogalla von Bieberstein hinreichend Beleg geführt -, mußte ihr Schicksal grauenvoll sein.

Ernst von Weizsäcker, bis 1943 Staatssekretär im Auswärtigen Amt, hat 1948 unter dem Stichwort "Menschenvernichtung" notiert: "Nachdem einmal der Krieg da war, konnte es kein Halten mehr geben. Das Entscheidende war also der Kriegsausbruch." Daher ging, wie er in seinen "Erinnerungen" (1950) schreibt, "das Judenproblem für (ihn) in dem größeren allgemeinen Problem auf: wie kommen wir am schnellsten zu einem Frieden ohne Hitler?" Anders sei "dem Judentum" nicht zu helfen gewesen. Doch "die primitive Formel vom 'unconditional surrender' (...) gab Hitler das Mittel an die Hand, mit dem er zwei weitere Jahre an der Spitze Deutschlands den Krieg fortsetzen konnte". Solche realgeschichtlichen Zusammenhänge ignoriert Dan Diner.

Ernst Nolte schreibt in "Deutschland und der Kalte Krieg", daß Deutschland seit dem 19. Jahrhundert ein weltgeschichtliches Laboratorium und Modell darstellte. "Seine Geschichte ist in höherem Maße eine Geschichte ideologischer Konflikte und politischer Teilungen als diejenige irgendeines anderen Staates der Welt." Es ist der "Ort einer paradigmatischen Modifikation der europäischen Geschichte, welche ihrerseits Ausgangspunkt der modernen Weltgeschichte ist". Daran knüpft Diner unausgesprochen an, wenn er die weltgeschichtliche Rolle Deutschlands noch längst nicht erschöpft sieht. Die deutsche Gedenkstättenlandschaft nehme "geradezu paradigmatischen Charakter an. Berlin entwickelt sich zunehmend zu einem universellen Gedächtnisort der Vergangenheit." Auf diesem Weg erhalte der Holocaust "zunehmend die Bedeutung eines Gründungsereignisses" für Europa und entfalte perspektivisch eine Gedächtniswirkung wie die Reformation oder die Französische Revolution. Die Geschichte der Juden werde zur "erkenntnisleitenden Warte einer integrierten europäischen Historie", um dann - so ist die Ludwigshafener Rede zu verstehen - hoffentlich doch noch ins Weltweite auszugreifen.

Ein klares Bekenntnis zur Kollektivschuldtheorie

Diner räumte schon vor fast zwanzig Jahren ein, daß Deutschland sich damit die "Rückkehr zu sich selbst, zu seiner positiven 'nationalen Identität'", mithin also zur Politik- und Überlebensfähigkeit verbaut. Nach seiner Überzeugung kommen in dieser Selbstnegation und Selbstbezichtigung als "Täterkollektiv" die geschichtliche Vernunft und die menschliche Natur gleichsam zu sich selbst und fallen in eins. Denn es sei "ein gleichsam anthropologisches Phänomen, daß eine enorme Anzahl von Opfern eine ebenso große Zahl von Schuldigen erwarten läßt" und die "Schuldmasse auf das Kollektiv zurückfällt, von dem das Kollektivverbrechen ausgegangen war", denn dieses führe "gleichsam intuitiv eine kollektive Schuldvermutung nach sich". Für das "kollektive Schuldgefühl ist es letztendlich unerheblich, wie viele Deutsche unmittelbar oder in abgestufter Weise mittelbar an den nationalsozialistischen Verbrechen (...) beteiligt gewesen waren". ("Schulddiskurse und andere Narrative - Epistemisches zum Holocaust", 1999)

Das klingt hochwissenschaftlich, und Diner hält sich auch viel auf seine "komplexe Dialektik aufeinanderfolgender Negationen" zugute, doch die Argumentationsstruktur ist simpel. Er weiß ganz genau, daß die Internalisierung des Kollektivschuldgefühls mit jahrzehntelanger Gehirnwäsche, mit der Gesetzeslage und mit Machtverhältnissen in Politik, Medien, Wissenschaft zu tun hat. Mit Blick auf den Holocaust spricht der Verfassungsrechtler Josef Isensee in "Tabus in einem freiheitlichen Staat" (2003) von einem praktizierten "didaktischen Tabu". Den Erfolg dieser Manipulation nun als anthropologisches Argument für die Evidenz der eigenen Thesen anzuführen, ist ein Bubenstück ohnegleichen. Hier hört die Wissenschaft auf und fängt der Schamanenkult an.

Diner räumt ein, daß der Holocaust, da er sich in der "institutionellen Vernebelung" und "gesellschaftlichen Arbeitsteilung" einer modernen Industriegesellschaft vollzogen habe, den meisten Deutschen gar nicht erkennbar gewesen sei, doch mindere das nicht die Schuld. Denn der "erlebte Alltag" der Deutschen sei irrelevant gegenüber dem "Zivilisationsbruch" und dem "absoluten Extremfall", den die "Vernichtung um der Vernichtung willen" darstelle. Nur aus dieser Perspektive lasse sich die "Totalität des Ereignisses" und seine Bedeutung für die Deutschen adäquat erfassen. Daß diese Zirkelschlüsse weder geschichtsphilosophisch (siehe Schmitt und Nolte) noch realgeschichtlich (siehe Aly, Domarus) haltbar sind, muß den Metaphysiker nicht stören, denn seine Erkenntnisse sind schon vorausgesetzt - geoffenbart.

Solche falsche Metaphysik ist ungeeignet, sich der islamischen Sakralität zu erwehren, denn sie hindert uns, die schärfste aller Waffen zu nutzen, die die Aufklärung uns an die Hand gibt: die geistige und politische Freiheit. Nicht einmal Originalität kann Diner für sich beanspruchen. Der sowjetische Kriegspropagandist Ilja Ehrenburg wußte bereits im Herbst 1944 ganz genau, was Sache ist: "Hunderttausende (von Deutschen) sind schuldig an Verbrechen und Millionen der Komplicenschaft" (Soviet War News, 5. Oktober 1944).

Foto: Dan Diner und das Holocaust-Mahnmal in Berlin (Montage): "Gleichsam an die Stelle Gottes getreten"


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