© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/07 12. Januar 2007

Mit Scheinlösungen in die Zukunft
Umweltschutz: Das vergangene Jahr sorgte erneut für Ernüchterung / Bioenergie und Windkraft sind keine Allheilmittel
Volker Kempf

Weltweit stieg auch 2006 erneut der Öl- und Gasverbrauch an - besonders wegen der Schwellenländer und der USA. Aber wenigstens Deutschland ist Vorreiter beim Klimaschutz, eine Art Musterschüler. Das jedenfalls werden Politiker nicht müde zu betonen.

Um so mehr staunte man Anfang Dezember, als Deutschland aus Brüssel - neben neun weiteren EU-Staaten - ermahnt wurde, beim Klimaschutz konsequenter zu sein. Ansonsten würden Strafen eingefordert werden. Energie werde teurer werden, Strom um zwei Cent je Kilowattstunde, ließ die Bundesregierung anschließend verlautbaren. In der Tat, wenn die Energiepreise steigen, sinkt der Energieverbrauch. Aber haben die Beschwörungen der Alternativenergien nicht gehalten, was sie versprachen?

Wird etwa Erdöl durch Palmöl ersetzt, schont das zwar die Erdölreserven, aber bei der Verbrennung wird so oder so Kohlendioxid (CO2) freigesetzt. Schlimmer noch: Für Palmöl muß Regenwald weichen. Ein Umweltmedium würde nur gegen ein anders ausgespielt. Auch bei der Windkraft waren die Hoffnungen groß, doch ihre Landschaftsbeeinträchtigung sorgt für Rufe nach ihrer Begrenzung. Windkraftanlagen sollen daher auf dem Meer installiert werden - "offshore" sieht man sie nicht.

Aber auch dieser Hoffnungsträger stößt auf Grenzen: Die Naturschutzverbände WWF und BUND haben sich zusammen mit sieben Inselgemeinden an der Nordsee im Dezember gegen den Bau eines Offhore-Windparks am Standort Nordergründe ausgesprochen. Begründung: Die Gefahr, daß am Rande des Nationalparks Wattenmeer - in der Nähe von Schiffahrtsstraßen - ein Tankerunglück passiert, sei zu groß.

WWF-Expertin Beatrice Claus erinnert auch an wahrscheinliche Störungen für Vögelzüge durch die sich bewegenden Rotoren. "Der Standort Nordergründe ist aus Sicht des Naturschutzes unverantwortlich", so das Resümee der Expertin. Tiere brauchen Ruhezonen, die Windkraftanlagen zu Wasser und zu Lande stören.

Unesco hat 2007 zum Jahr des Delphins ausgerufen

Eigentlich stört der Mensch mit seinen zivilisatorischen Aktivitäten überall die Ökosysteme, zu Lande, zu Wasser und in der Luft. Weil dem so ist, hat die Unesco das Jahr 2007 zum Jahr des Delphins ausgerufen und betont, Meeressäuger brauchen Ruhezonen (JF 2/07). Respekt vor Wildtieren sei nötig.

Bei der Windkraft ist die Beeinträchtigung der Vogelwelt teilweise beträchtlich. Zählungen an Anlagen etwa im Schwarzwald haben immer wieder für Schlagzeilen gesorgt, da auch seltene Raubvögel zu den Opfern gehören. Ergo gibt es keine Energie, die problemlos gewonnen werden könnte. Auch sonst gibt es keine Wirtschaftsaktivität, die der Tierwelt oder einem natürlichen Umweltmedium nicht zusetzt. Wirklich umweltfreundlich ist nur die Aktivität des Menschen, die er unterläßt. "Der Mensch ist zum Überleben zu tüchtig", hatte Herbert Gruhl (1921-1993) daher einmal treffend in einem Spiegel-Essay geschrieben.

Die Standortfragen von Windkraftanlagen zu klären, hilft Schäden zu begrenzen, aber verhindern lassen sie sich nicht. Viele Menschen verdrängen viele Tierarten und plündern ihre eigenen Erdvorräte an Öl, Gas und Rohstoffen. Aufbrechende Probleme werden durch Scheinlösungen angegangen, so daß neuartige Probleme entstehen. Grundsatzfragen wieder vermehrt aufzuwerfen, könnte im 21. Jahrhundert nicht schaden. Das gilt noch mehr für Umweltverbände, die Gefahr laufen, sich in Detailfragen zu verlieren und keine neuen Akzente mehr zu setzen.

Ökologische Profilschärfung ist bei den oppositionellen Grünen seit ihrem letzten Bundesparteitag angesagt. Was daraus wird, bleibt abzuwarten. Denn Parteichefin Claudia Roth kommt in ihrem neuen Buch "Das Politische ist privat" nur wenig auf ökologische Fragen zu sprechen und dabei kaum über Schlagworte hinaus. Die gar nicht umweltbewegte Geschichte der dominierenden linken Achtundsechziger ist bei den Grünen noch nicht ganz vergangen.

In der CDU indes forderte Mitte Dezember 2006 ein Kreis aus Umweltpolitikern, ihre Partei solle doch mit Blick auf ein neues Grundsatzprogramm ihr "extremes Defizit" beim Thema Klimaschutz angehen. Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) scheint - wie sein Vorgänger - eher zufällig in dieses Ressort gekommen zu sein.

Im Nachbarland Frankreich droht immerhin der populäre Fernsehmoderator und Umweltschützer Nicolas Hulot bei der Präsidentschaftswahl mitzumischen, um so für eine ökologische Politik Druck auszuüben, die "weder links noch rechts" sei. Man darf für 2007 gespannt sein, aber umweltpolitisch leider auch nicht zuviel erwarten.

Foto: Delphine im Meer: "Der Mensch ist zum Überleben zu tüchtig"


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