© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/07 12. Januar 2007

Die ganze Region sitzt auf einem Pulverfaß
Mittlerer Osten: Saudi-Arabien und Iran ringen um Vormacht im Irak und im Persischen Golf / Sunniten kontra Schiiten
Günther Deschner

Als ein Berater des saudischen Botschafters in Washington, Prinz Turki al-Faisal, vor drei Wochen in einem Gastbeitrag für die Washington Post schrieb, Saudi-Arabien werde im Fall eines Abzugs der US-Truppen zugunsten der von pro-iranischen Schiiten-Milizen massiv bedrängten Sunniten im Irak intervenieren, war die Aufregung groß. Neben der Unterstützung mit Geld und Waffen könne der Erdölreichtum des engen US-Verbündeten als Druckmittel eingesetzt werden, hieß es in dem Artikel.

Aus Riad kam zunächst ein lauwarmes Dementi: Die Politik des saudischen Königreichs ziele nach wie vor auf die Einheit und Stabilität des Irak unter Einschluß aller religiösen Gruppen. Allerdings, so formulierte Saudi-Arabiens König Abdullah zum Auftakt eines Treffens des Golf-Kooperationsrats (GCC) unter ausdrücklicher Erwähnung der Situation im Irak, sitze "die ganze Region wie auf einem Pulverfaß".

Die Diskussion über die Frage, ob, wie und in welchem Ausmaß sich das von Wahabiten (den echten, unverfälschten und radikalsten Sunniten) regierte Königreich Saudi-Arabien zum Beschützer der sunnitischen Brüder im Irak aufschwingen soll, verdeckt die Tatsache, daß dies schon längst und in erheblichem Umfang geschieht.

Seit zwei Jahren erhält die sunnitische Widerstands- und Aufstandsbewegung im Irak laufend finanzielle, logistische und politische Unterstützung einflußreicher saudischer Kreise und Organisationen, die mit der staatlichen Ebene zumindest verbunden sind. Man macht daraus auch kein großes Geheimnis. Im Oktober letzten Jahres etwa wurde der Iraki Harith al-Dhari, Chef des dem sunnitischen Widerstand zugerechneten Verbands Islamischer Studenten in Riad, hochoffiziell empfangen.

Irak ist für Saudi-Arabien Pufferstaat zum Erzfeind Iran

Der Irak hat für Saudi-Arabien schon seit jeher die Funktion eines Pufferstaats zum schiitischen Erzfeind Iran. Das war auch der Grund, warum Riad im Frühjahr 2003 die Nutzung der US-Stützpunkte für den Angriff auf den Irak und den intendierten Sturz Saddam Husseins nicht gestattete - sehr zum Ärger Washingtons. Saddam war für die Saudis der beste Garant für einen stabilen Irak und für die Zurückweisung der Machtansprüche des Iran. In den Augen saudischer Prinzen und Politiker war Saddams einziger Fehler die Invasion des Nachbarlandes Kuweit.

In der saudischen Presse wurden Saddam Husseins letzte Worte vor seiner Hinrichtung, mit denen er die USA und den Iran verfluchte, groß herausgestellt. Sie trafen genau die arabischen Ängste, ein erstarkender Iran könnte die traditionellen Führungsmächte der Region - vor allem Ägypten und Saudi-Arabien - ihrer Führungsrolle berauben und eine schiitische, vom Iran dominierte Achse von Kabul bis zum Mittelmeer installieren. Mit wachsender Sorge registriert die saudische Presse, daß Teheran beste Beziehungen mit befreundeten Regierungen in Bagdad und Damaskus und mit militanten Gruppen wie der Hisbollah im Libanon, der palästinensischen Hamas und den schiitischen Hassara in Afghanistan unterhält, deren Einfluß in ihren jeweiligen Ländern ständig zunimmt.

Auch Wortführer der wahabitisch-sunnitischen Staatsreligion Saudi-Arabiens, in deren Augen der schiitische Islam nichts anderes als teuflisches Ketzertum darstellt, melden sich lautstark zu Wort: Worte wie die "persische Offensive" und die "iranische Bedrohung" charakterisieren die anti-iranische Rhetorik, die nach Meinung europäischer Diplomaten vor Ort laufend an Schärfe zunimmt. "Iran ist inzwischen noch viel gefährlicher als sogar Israel", giftete Scheich Musa bin Abdul Asis, der Herausgeber des Magazins Al Salafi, der sich selbst als gemäßigten Salafi, als fundamentalitischen Muslim also, bezeichnet. "Die iranische Revolution hat den Anspruch der Perser auch auf unsere Region erneuert. Für uns ist das der wirkliche Kampf der Kulturen."

Zugunsten der irakischen Sunniten intervenieren

Viele Beobachter sind der Meinung, daß eine Machtprobe mit Iran unvermeidlich ist. Die kurze Entspannungsphase, die es vor einigen Jahren gegeben hatte, ist längst immer schriller werdenden Ängsten gewichen, Teheran könne sich zur Atommacht und damit de facto zur Supermacht der Nah-Mittelost-Region aufschwingen.

Das will Riad auf jeden Fall verhindern. Im saudischen Königshaus, das die Zügel der Politik fest in der Hand hat, ist offenbar eine heftige Diskussion über das "Wie?" entstanden, die gelegentlich auch an die Oberfläche dringt. Soll man sich "volle Kraft voraus!" der offensiven Iran-Politik Washingtons anschließen? Oder soll man eher auf regionale Diplomatie setzen und dem Iran eigene Angebote machen, wie sie in der Entspannungsphase schon mal diskutiert worden waren?

Der abrupte Rücktritt Turki al-Faisals nach nur 15 Monaten als Botschafter in Washington wird als Indiz für einen innersaudischen Meinungsstreit gewertet. Turki war ein Befürworter von Verhandlungen mit Teheran. Sein Nachfolger gilt als weniger eigenständig, eher als direkter Draht zwischen König Abdullah und der US-Regierung. Der König greift angesichts der zunehmenden Spannungen mit Teheran auch selbst in das außenpolitische Geschehen ein. Wie die New York Times berichtete, warnte er US-Vizepräsident Dick Cheney in einem persönlichen Gespräch, Saudi-Arabien würde mit allen geeigneten Mitteln zugunsten der irakischen Sunniten intervenieren, sollte sich Amerika aus dem Irak zurückziehen.

In diesem Kontext habe der König auch einen Plan präsentiert, der eine beträchtliche Erhöhung der Ölförderung vorschlägt, um durch einen Verfall des Ölpreises den Iran in wirtschaftliche Turbulenzen zu bringen. Ein direktes Eingreifen Saudi-Arabiens in die amerikanisch-israelisch-iranische Konfrontation soll so vielleicht vermieden werden. Dem saudiarabischen Politikstil würde das genau entsprechen.

Foto: König Abdullah (l.), Präsident Ahmadi-Nedschad: Kontrahenten


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