© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/07 5. Januar 2007

Die Vitalen werden uns überrollen
Michael Stürmer sucht vor der Apokalypse Trost in der "Ordnungsmacht" USA
Holger von Dobeneck

Dem emeritierten Erlanger Historiker Michael Stürmer haftete vielleicht auch deshalb die Aura an, ein "Konservativer" zu sein, weil er im Historikerstreit moderat Partei für die Thesen Ernst Noltes ergriff. Zudem beschäftigte er sich zeitlebens mit den verschiedenen Gestaltungen Deutschlands, seiner Rolle im zwanzigsten Jahrhundert ("Das Jahrhundert der Deutschen"), war Berater des Bundeskanzlers Helmut Kohl und Chefkorrespondent der Zeitung Die Welt. Für nicht wenige bestätigt sich aus diesem oberflächlichen Schaffens-Spektrum ebenfalls ein konservatives Klischee.

Doch nun wendet er sich einem anderen Thema zu, es geht ihm gleich um die politische Konfiguration der Welt insgesamt. In seinem Buch "Welt ohne Weltordnung" ortet er die Hauptkampflinie der Weltmacht Amerika im Mittleren Osten. Diese stellt das Zentrallabor des Westens dar, hier werden die Ölpreise und damit die Ökonomie und die sozialen Strukturen des Westens maßgeblich beeinflußt.

In dieser Region liegen auch die Bruchlinien der religiösen Fronten und findet am ehesten der von Samuel Huntington prophezeite Zusammenprall der Zivilisationen statt. Von hier kann eine Destabilisierung der gesamten Welt ausgehen. Nach dem Machtbeben der Sowjetunion finden wir keine Rationalitätsstandards mehr in der Blockkonfrontation, sondern in einer postmodernen Situation kommt es zu asymmetrischen Kriegen, die gekennzeichnet sind durch Ungleichzeitigkeit, Ungleichgewicht und Unregierbarkeit. Keine Weltordnung hat mehr die alleinige Kraft, die Mächte zu disziplinieren. In dieser Lage gibt es keine klaren Fronten mehr.

Der Hauptkontrahent der USA ist der Iran, und zwischen diesen beiden Staaten findet ein Hegemonialkonflikt statt. In diesem regionalen "großen Spiel" strebt der Iran nicht nur die Vormacht über die Verfügung der Energiequelle Öl und die Herrschaft über den Golf an, sondern ist bemüht, die unbestrittene Führungsmacht des Islam einzunehmen. Durch Raketen und nukleare Gefechtsköpfe möchte er ein Interventionsverbot der USA in der gesamten Region durchsetzen. Die Öl-emirate und die Saudis stehen dabei paradoxerweise heimlich auf seiten der USA, doch sie fürchten, zwischen den Hammer des Terrors und den Amboß des Iran zu geraten.

Stürmer kommt zu dem Ergebnis, daß die islamische Welt eher eine literarische Fiktion ist als eine festgefügte politische Einheit und sich niemals freiwillig dem schiitischen Iran unterwerfen wird. Daher geht seiner Ansicht nach die Ambition des Iran, die gesamte islamische Welt unter seiner atomwaffengestützten grünen Fahne des Propheten zu vereinen, gründlich fehl. Dennoch warnt Stürmer eindringlich vor den Irrationalismen der islamischen Welt, denn wo Todeskult und Endzeitbewußtsein sich mit der der Atomwaffe verbünden wie im heutigen Iran, sei leider das Undenkbare jederzeit denkbar geworden.

Doch er hofft auch auf eine verschüttete Rationalität, denn der technologisch noch weitgehend unterentwickelte Iran sei eigentlich dringend auf die Unterstützung des Westens angewiesen.

Von daher möchte er die Entwicklung einer iranischen Atombombe eher als eine polit-psychologische Drohgebärde sehen. Auf lange Sicht läßt die demographische Entwicklung und das Aufbegehren der jüngeren Generation gegen die rigiden Moralvorstellungen der alten Mullahs nicht sehr wahrscheinlich erscheinen, daß die "Mullahkratie" ihren islamischen Gottesstaat auf Dauer gegen die Masse der Frauen und der jüngeren Generation wird durchhalten können.

Doch kommt es zu einer massiven Repression, dann sieht Stürmer als Folge, daß die iranische und islamische Bevölkerungsexplosion eines Tages sich zu gewaltigen Migrationsstürmen entwickelt, denen Europa gegenüberstehen wird. Diese Entwicklung wird dann die Stabilität unserer Gesellschaft massiv gefährden bzw. die gesamte europäische Konstruktion aus den Angeln heben. Mit dem Beschwören einer multikulturellen Gesellschaft wird dieser vitalen Strömung nur mehr die komplette Hilflosigkeit dokumentiert.

Das Szenario endet mit apokalyptischen Visionen für unsere Gesellschaft, in deren Kern der sich anbahnende Verlust eines legitimierenden Ordnungszentrums steht. Da dieses wohl nur in Gestalt der USA eine Zukunft haben kann, gibt Stürmer dem Leser das Bekenntnis zur "uneingeschränkten Solidarität" mit auf den Weg.

Michael Stürmer: Welt ohne Weltordnung. Wer wird die Erde erben? Murmann Verlag, Hamburg 2006, gebunden, 250 Seiten, 22,50 Euro


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