© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/07 5. Januar 2007

Das Vertrauen schwindet
Doch die Konservativen werden von der Politischen Klasse weiter ignoriert
Karlheinz Weissmann

Der Parteiaustritt des CDU-Bundestagsabgeordneten Henry Nitzsche im Dezember hat kaum Aufsehen erregt. Vielleicht lag das an dem Tempo, in dem sich die Entwicklung vollzog: von der medial verstärkten Irritation über die zaghafte Solidarisierung der Partei, deren Zurückweichen, Nitzsches Hartnäckigkeit bis zu seinem Entschluß, die Union zu verlassen. Nitzsche erweckte dabei nicht den Eindruck, der Getriebene zu sein. Man hatte eher das Gefühl, daß jemand den Tabubruch bewußt kalkuliert hatte, weil er es unerträglich fand, länger im Reich der Lüge zu leben.

Wie zielsicher die einzelnen Schritte gegangen wurden, kann aber nur Nitzsche selbst sagen. Jedenfalls hat er einen anderen Weg eingeschlagen als Martin Hohmann. Ähnlich ist nur die Reaktion der Parteiführung, die vor allem dankbar reagierte, die Störenfriede loszusein. Irgendwelche Bedenken wegen der Binnen- oder der Außenwirkung scheint es nicht zu geben. Man fürchtet weder Konflikte mit der Parteibasis oder einem Parteiflügel noch Stimmenverluste. Der gegenwärtigen Union ist der Gedanke selbstverständlich, daß Wahlen "in der Mitte" gewonnen werden, daß die Konservativen keine Wahl haben und daß die Partei selbst eine Transformation durchlaufen hat, an deren Ende die Unionsrechte - Vertriebene, Nationalprotestanten, in gewissem Maß auch traditionelle Katholiken - keine Rolle mehr spielt. Wer noch an dieser Einschätzung zweifelt, muß durch das Desinteresse belehrt sein, mit dem Angela Merkel auf den Abgang von Jörg Schönbohm aus dem Präsidium der CDU reagierte.

Allerdings äußerte Thomas Schmid, der neue Chefredakteur der Welt, daß dieses Desinteresse nichts mit Stabilität zu tun habe, sondern auf eine "schwere Krise" der Union hindeute: Bei aller Anpassungsfähigkeit, die sie in der Vergangenheit ausgezeichnet habe, sei sie doch immer nur stark gewesen, "weil sie ein mehr oder minder homogenes Milieu konservativ Gesonnener repräsentierte". Dieses Milieu sei geschrumpft, was aber schwerer wiege, sei die Ignoranz gegenüber seiner Bedeutung. Die Stimmenverluste der Partei erklärten sich aus dieser Ignoranz ebenso wie deren Unfähigkeit, zu irgendeiner klaren Linie zu kommen. Im Grunde genommen habe nur die konservative Grundierung der Union eine gewisse programmatische Klarheit gegeben, seitdem die fehle, könne in ihren Reihen niemand ein Ziel benennen, außer dem, die Macht zu behalten.

Natürlich möchte Schmid der CDU einen guten Rat geben, nämlich den, wieder mehr Rücksicht auf die konservative Klientel zu nehmen, und er findet sich dabei in trauter Runde mit vielen echten oder falschen Freunden des konservativen Lagers. Helfen wird es aber kaum. Zwar will die Merkel-Union auf den Begriff "konservativ" nicht ganz verzichten, soweit er sich zur Dekoration der "neuen Bürgerlichkeit" eignet, allerdings: um Fragen des Dekors geht es längst nicht mehr, sondern um Fragen der Substanz.

Es war ein merkwürdiges Zusammentreffen, daß der Parteiaustritt von Nitzsche zeitgleich mit den Ergebnissen einer neuen Studie des Bielefelder Instituts für interdisziplinäre Gewalt- und Konfliktforschung gemeldet wurde. Wenn man die Interpretation der "deutschen Zustände" durch den notorischen Wilhelm Heitmeyer beiseite läßt, dann ergibt sich ein ganz erhellendes Bild der Stimmungslage: Ein wachsender Bevölkerungsteil sieht sich unter Druck - materiell wie ideell -, die Wahrnehmung der Bedrohung nimmt rapide zu, das Vertrauen in die Kompetenz der Politischen Klasse nimmt rapide ab. Weder glaubt man an die Beschwichtigungsformeln in bezug auf Migration und Islamismus, noch meint man, daß "Partyotismus" alles ist, was an Identität benötigt wird. Das Vertrauen in den Staat schwindet, und was bleibt, ist eine Art Selbstbehauptungstrotz, gepaart mit dem Unwillen, sich länger an geltende Sprachregeln zu halten.

Das alles können Symptome eines Mentalitätswandels sein, der wenig mit früheren Verschiebungen im Kollektivbewußtsein zu tun hat. Hier spiegelt sich ein gesellschaftlicher Prozeß, der weder mit dem Hinweis auf unselige Kontinuitäten und den "autoritären Charakter" noch mit dem auf "Vorurteile" zu deuten ist, weder mit der Bezugnahme auf "Ausgrenzung" noch mit der auf "Modernisierungsverlierer". Es handelt sich außerdem um einen Prozeß, dessen Gefährlichkeit zunimmt, weil die Ungeduld der Betroffenen wächst.

Ihre Vorstellungen und Erwartungen unterscheiden sich deutlich von dem, was in der alten Bundesrepublik oder in der DDR prägend wirkte, die Schwierigkeiten, denen sie sich ausgesetzt sehen, sind konkreter Natur und haben jedenfalls nichts mit Nostalgien oder Utopien zu tun - niemand will das "Reich" zurück, und keiner glaubt an die Aufhebung der Herrschaft von Menschen über Menschen. Es geht um das Gefühl von Isolation im eigenen Land und die Wahrnehmung eines anonymen Apparates, der zwar allgegenwärtig ist, aber unfähig, das Notwendige zu tun.

Die Politische Klasse wird das alles nach Kräften ignorieren. Denn wenn sie die Lage anerkennen würde, müßte sie ihre eigene Verantwortung zugestehen und einräumen, daß eine adäquate Reaktion nur "von rechts" her möglich ist. Bleibt die Frage, wie diese Reaktion sonst ermöglicht werden kann.


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