© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/06 03. November 2006

Öffentliche Selbstdemontage
Berlin: Charlotte Knobloch, die Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, ist mit ihrem Amt überfordert
Doris Neujahr

Am Dienstag vergangener Woche konstatierte die Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, vor der Bundespressekonferenz Ungeheuerliches: Antisemitische und rechtsextremistische Attacken erinnerten in ihrer "Offensichtlichkeit und Aggressivität" an die Zeit "nach 1933". Einen Tag lang war Knoblochs Erklärung in den Medien eine Spitzenmeldung. Auch in den Abendnachrichten der öffentlich-rechtlichen und privaten Sender und am nächsten Tag in der Presse erhielt sie den Platz, der dem Prestige von Frau Knobloch entspricht. Doch was war der sachliche Gehalt ihrer Aussage? Sie stellte eine Parallele her zwischen der akuellen Situation in Deutschland und der Zeit nach dem Regierungsantritt Adolf Hitlers. Damit setzte sie sich in Gegensatz zu der Erklärung des Zentralrats vom 20. Oktober, in der es eindeutig heißt: "Die Bundesrepublik von heute ist nicht die Weimarer Republik von 1932." Die Weimarer Republik unterschied sich auch in ihrer Endphase deutlich von der frühen Phase der NS-Diktatur.

Zur Erinnerung: Nach dem 30. Januar 1933 gab es einen öffentlich verkündeten Judenboykott ("Deutsche, kauft nicht beim Juden!"), es gab SA-Schlägertrupps, die als Hilfspolizei, also mit staatlicher Rückendeckung, gegen Juden vorgingen, der "Arierparagraph" für Beamte wurde eingeführt, jüdische Künstler, Hochschullehrer, Juristen und so weiter wurden sukzessive aus ihren Stellungen entfernt. Was Frau Knobloch verkündete, war nicht nur unsinnig, sondern auch ein Beitrag zur Hysterisierung der politischen Debatte. Bezeichnend war die Reaktion der Medien: Ihre Erklärung wurde entweder mit der üblichen Zerknirschung kommentiert oder höchstens unkommentiert gelassen. Die Leserforen im Onlinedienst von Spiegel und Zeit, nachdem sich ein Gewitter der Kritik ankündigte, wurden schnell wieder abgeschaltet. Nur ganz wenige Medien wagten einen Widerspruch zu hüsteln: Frau Knoblochs Vergleich sei überzogen, die "Resignation" aber, die sich in ihm ausdrücke, sehr verständlich.

Doch es geht nicht um Psychologie. Frau Knobloch ist eine der charmantesten deutschen Großmütter und ihre Leidensgeschichte unter dem NS-Regime verpflichtet jeden zu Respekt und Rücksichtnahme. Aber sie steht aus eigenem Entschluß auf der politischen Bühne, sie hat politische Ziele und vertritt einen Verband, der dezidiert politischen Einfluß beansprucht. Sie muß sich gefallen lassen, daß ihre Aussagen klar und uneingeschränkt an politischen Maßstäben gemessen werden. Die Schlußfolgerung kann dann nur lauten - und unter der Hand wurde sie schon längst gezogen -, daß sie mit ihrem Amt intellektuell, politisch und rhetorisch überfordert ist. Es erhebt sich die Frage, warum sie von ihren Mitarbeitern nicht besser auf die Pressekonferenz vorbereitet wurde und man sie ins offene Messer laufen ließ.

Gefahr eines Entfremdungsprozesses

Wenn man die Annahme verwirft, daß ihre Selbstdemontage beabsichtigt ist, bleibt nur die Möglichkeit, daß der Zentralrat ihre politische Unschärfe in Verbindung mit moralischem Furor als wirksamstes Mittel der Interessenvertretung betrachtet, weil er voraussetzen kann, daß niemand es wagen wird, dieses Verfahren zu benennen und zu kritisieren. Dieses Kalkül birgt aber die Gefahr in sich, daß hinter der Fassade kollektiver Betroffenheit und Kopfnickens sich ein Entfremdungsprozeß vollzieht und der Zentralrat insgeheim immer weniger ernst genommen wird. Als er während des jüngsten Libanon-Krieges den Einwand von Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD), das Vorgehen Israels sei völkerrechtswidrig, mit der empörten Forderung quittierte, es sei zu überlegen, ob die Ministerin "noch tragbar" sei, löste dieser Vorstoß allgemeines Kopfschütteln aus und blieb wirkungslos. Zweitens liegt in dem Kalkül die Gefahr, selber in den Sog politischer Instrumentalisierung zu geraten.

Auch dafür bot die Pressekonferenz ein anschauliches Beispiel. Es handelte sich um eine Lobby-Veranstaltung zugunsten der Anti-Rechts-Initiativen, mit der die Unionsparteien unter Druck gesetzt werden sollte. Auf dem Pdlium saß neben Knobloch auch der frühere Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye, Chefredakteur des sozialdemokratischen Vorwärts und Vorsitzender des einschlägigen Vereins "Gesicht zeigen". Von den Trommlern für die Weiterfinanzierung sogenannter antirassistischer, Antifa- und Opferinitiativen ist er der lauteste. Ein kaum bekanntes Motiv für seine Aktivitäten dürfte die finanzielle Lage der SPD sein. Der Partei bricht die Mitglieder- und die absolute Wählerbasis weg. Das reduziert ihre Einnahmen und zwingt zum Abbau der Parteibürokratie. Was liegt näher, als den Personalüberhang auf Staatskosten in zivilgesellschaftlichen Projekten zu parken und zugleich in schwer erreichbaren Regionen eine "demokratische (Parteien-) Struktur" zu implementieren? Im Sommer schoß er über das Ziel hinaus, als er verlangte, ausländische Gäste der Fußball-Weltmeisterschaft vor lebensgefährlichen Zonen in Deutschland zu warnen. Der Verlauf der WM bedeutete eine Ohrfeige für ihn und, zum Schaden seiner Anliegen, einen persönlichen Autoritätsverlust. Den dürfte er durch den dramatischen Aufritt von Frau Knobloch, die sich seine Wünsche zu eigen machte, kompensiert haben. Die Präsidentin wird die Frage, ob der Preis dafür angemessen war, für sich selbst beantworten müssen.

Die Stellung des Zentralrats ist schwierig. Seine Beunruhigung über die Zunahme antisemitischer Straftaten ist nachvollziehbar, doch diese gehen hauptsächlich auf das Konto muslimischer Zuwanderer. Die Aufwertung islamischer Organisationen durch den Staat wird den Einfluß des Zentralrats nach der Logik kommunizierender Röhren entsprechend absenken. Dem Einflußverlust versucht er durch den Dialog mit islamischen Organisationen und den Versuch abzuwenden, den Kampf gegen Antisemitismus mit dem gegen Islamophobie zu verbinden. Ob das der richtige Weg ist? Mehr politische Nüchternheit und weniger auftrumpfender Moralismus werden künftig auf allen Seiten nötig sein.

Foto: Charlotte Knobloch: Ihre Leidensgeschichte verpflichtet zu Respekt und Rücksichtnahme


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