© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/06 27. Oktober 2006

Verteidigungsexperten befürchten Schlimmes
Foltervorwürfe: Im Fall des "Bremer Taliban" Murat Kurnaz gerät die Bundeswehr unter Druck / Heftige Debatte über Mandatsverlängerung erwartet
Paul Rosen

Rambo-Typen will man nicht beim Kommando Spezialkräfte (KSK), der Elite-Einheit der Bundeswehr. Aber wenn man dem als "Bremer Taliban" bekannt gewordenen Murat Kurnaz Glauben schenken will, dann sind in Afghanistan um die Jahreswende 2001/2002 deutsche Rambos unterwegs gewesen. Die Aussagen von Kurnaz könnten den Ruf der Einheit belasten. Und die Verlängerung des Mandats "Enduring Freedom", unter das KSK-Einsätze in Afghanistan fallen, könnte für die Große Koalition zum Problem im Bundestag werden.

Kurnaz macht gewiß keinen besonders glaubwürdigen Eindruck. Aber das Verteidigungsministerium verhielt sich merkwürdig nach Bekanntwerden des Vorwurfs, deutsche Soldaten hätten in einem amerikanischen Gefängnis in der afghanischen Stadt Kandahar Kurnaz gefoltert.

Zuerst wurde alles bestritten. Erst als der öffentliche Druck wuchs, weil Kurnaz ein Interview nach dem anderen gab, gab das Ministerium zu, daß sich ab Ende 2001 deutsche Soldaten in Kandahar befunden hätten. Später räumte das Ministerium ein, daß KSK-Soldaten Wachaufgaben in dem amerikanischen Gefängnis übernommen hatten. Ist es jetzt nur noch ein kleiner Schritt bis zu dem Eingeständnis, es habe mehr als nur einen Blickkontakt mit Kurnaz und den Zuruf "Du warst auf der falschen Seite" gegeben?

Die Große Koalition wurde sehr nervös. Die SPD drängte darauf, einen Untersuchungsausschuß einzusetzen, und die Union gab dem Drängen nach. Damit wird Kurnaz Gegenstand zweier Untersuchungsausschüsse: Der BND-Untersuchungsausschuß befaßt sich unter anderem mit der Frage, ob die Bundesregierung sich nicht rechtzeitig für den von den amerikanischen Behörden von Afghanistan nach Guantánamo verbrachten Kurnaz eingesetzt oder sogar seine frühe Überstellung nach Deutschland verhindert hat. Kurnaz saß vier Jahre in Guantánamo ein.

Der Verteidigungsausschuß des Bundestages, der jetzt als Untersuchungsausschuß eingesetzt wird, soll der Frage nachgehen, welcher Art die Kontakte zwischen Kurnaz und Bundeswehr-Angehörigen in Afghanistan waren. Auch hier wurden inzwischen Details bekannt. Bereits Anfang 2002 meldete das KSK an das Einsatzführungskommando in Potsdam, unter den Gefangenen der amerikanischen Truppen sei ein Mann, der Deutsch spreche. Wenige Tage später meldete der Bundesnachrichtendienst diese Nachricht an das Bundeskanzleramt. In der Führungsebene des Verteidigungsministeriums kam die KSK-Botschaft nicht an, und auch im Kanzleramt tat sich nichts.

Verteidigungsminister war Anfang 2002 Rudolf Scharping (SPD), ihm folgte ein halbes Jahr später Peter Struck (SPD). Zuständiger Kanzleramtsminister war der heutige Außenminister Frank-Walter Steinmeier.

Wenn Scharping noch etwas angehängt wird, wäre das den Sozialdemokraten egal. Scharping ist nach diversen Affären aus der Politik ausgeschieden. Aber Struck und Steinmeier sind besonders wichtige Politiker der SPD. Daß die SPD den Verteidigungsausschuß als Untersuchungsausschuß einsetzen läßt, hat deutliche Verschleierungsabsichten: Der Ausschuß tagt in der Regel nicht öffentlich und wird in KSK-Angelegenheiten mit Sicherheit geheim tagen.

Ruf der Einheit dürfte Schaden nehmen

Da lassen sich möglicherweise belastende Details besser verwischen als im öffentlich tagenden BND-Untersuchungsausschuß. Unter Abgeordneten der Koalition wird es für möglich gehalten, daß die Folter-Vorwürfe von Kurnaz zutreffen könnten. Als Problem gilt, daß die Elite-Einheit damals wohl nicht besonders gut von der politischen Führung kontrolliert wurde.

Es wird auch darauf hingewiesen, daß in amerikanischen Gefängnissen ein anderes Verhalten üblich ist als in deutschen Haftanstalten. Sollten KSK-Soldaten amerikanische Verhaltensweisen übernommen haben? Und sollte es möglicherweise noch andere Vorfälle im Zusammenhang mit dem KSK geben? Verteidigungsexperten des Bundestages befürchten Schlimmes, auch wenn sie das öffentlich nicht sagen und die bisherigen Ermittlungsergebnisse keine Bestätigung für die Vorwürfe von Kurnaz liefern.

Der Ruf der Einheit dürfte unabhängig vom Ausgang der Untersuchungen Schaden nehmen. Daran trägt aber das Verteidigungsministerium eine Mitverantwortung, weil über die KSK-Einsätze nicht berichtet wird. Da können leicht Spekulationen ins Kraut schießen. Andere Regierungen geben bereitwillig über Einsätze ihrer Spezialkräfte Auskunft - jedenfalls nachdem die jeweilige Operation beendet ist.

Im Bundestag wittern jetzt Kritiker der Eliteeinheit besonders auf dem linken Flügel der SPD Morgenluft. Um die bald anstehende Verlängerung des Mandats dürfte es heftige Debatten geben, die auch an den Nerv der Großen Koalition gehen könnten.


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