© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/05 19. August 2005

Frisch gepresst

Kulturrevolution. Im Alter jenseits der Siebzig schließen viele ihren Frieden mit der Welt - nicht so Günter Rohrmoser, Professor für Sozialphilosophie. Er kritisiert munter die CDU, die sich vom linken Zeitgeist an der Nase herumführen lasse. In sechs Reden, die jetzt publiziert wurden, fordert Rohrmoser eine kulturell-moralische Wende. Seine feingliedrige Analyse endet im Paukenschlag: Kulturrevolution für Deutschland und Europa. Als Vorbild präsentiert Rohrmoser die USA. Dabei interessiert sich der bekennende Demokrat Rohrmoser weniger für die Person George W. Bush, als für die Umwälzungen, die zur Zeit in den USA stattfinden: "Was hier geschehen ist, ist eine nationale, religiöse, fast fundamentalistisch bestimmte geistige Revolution. Das ist ein revolutionärer Angriff auf die geheiligsten Güter und Prinzipien unserer spätliberalen Dekadenz." Der erste Beitrag "Aus den Trümmern der Utopie" (JF 09/05) diskutiert die Frage, ob sich ohne Religion gesellschaftliche Stabilität erzeugen lasse. Rohrmoser verweist auf Samuel Huntington, der in seinem Weltpanorama zu Recht die gemeinschaftsbildende Kraft der Religion betone. Im zweiten Beitrag folgt eine Präzisierung des Wischiwaschi-Begriffs "sozial", schließlich kritisiert Rohrmoser den Autoritätsverlust des Lehrers im Schulalltag. Dann skizziert er Bedrohungen für unsere Demokratie und verweist gleichzeitig auf Demokratiedefizite (Kulturrevolution oder Niedergang?! Sozialstaat, Bildung, Kultur. Gesellschaft für Kulturwissenschaft, Bietigheim/Baden 2005, 172 Seiten, broschiert, 14,80 Euro).

Eskalation im Weltkrieg. Vor zwei Jahren legte der Historiker Stefan Scheil mit seiner Analyse "Fünf plus Zwei. Die europäischen Nationalstaaten, die Weltmächte und die vereinte Entfesselung des Zweiten Weltkrieges" (Duncker & Humblot, Berlin 2003) die wohl bislang gründlichste Studie über den Beginn des Zweiten Weltkrieges vor. Er wies stichhaltig nach, daß Deutschland weder Hecht im Karpfenteich noch Opfer außenpolitischer Zwangsmaßnahmen war, und beschrieb die Rolle der insgesamt sieben beteiligten Mächte. Nun hat Scheil seine Arbeit über die Fortentwicklung des Krieges vorgelegt. Er schildert die Konzeption Großbritanniens und die der Sowjetunion: Mit der gegen den für Churchill äußerst ungünstigen Status quo nach der französischen Niederlage betriebenen Fortführung und Eskalation des Krieges ging das Kalkül Stalins auf. Damit gerät Scheil natürlich auch in das Fahrwasser der immer wieder aufkochenden Präventivkriegs-diskussion zum Juni 1941, mit der er seine Untersuchung schließt. Ohne sich selbst auf ein konkretes Urteil einzulassen, macht Scheil durch seinen profunden Dokumenten- und An-merkungsapparat deutlich, daß zumindest die These eines "Überfalls" auf die Sowjetunion statt eines "Angriffs" kaum länger haltbar sein dürfte (1940/41. Die Eskalation des Zweiten Weltkriegs. Olzog Verlag, München 2005, 528 Seiten, gebunden, 34 Euro).


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