© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de
39/04 17. September 2004
LOCKERUNGSÜBUNGEN Die Bundesrepublik ist, so legt das Grundgesetz nahe, ein demokratischer und sozialer Rechtsstaat. Alle drei Facetten stehen in einem inneren Zusammenhang. Für die Politik ergeben sich daraus praktische Konsequenzen. Wer die Leistungen des Sozialstaates zurückschraubt und damit die materielle Sicherheit des Bürgers reduziert, muß ihm auch ein gutes Stück Rechtsschutz entziehen. Ansonsten könnte sich nämlich nicht bloß eine gewisse Asymmetrie zwischen den verschiedenen Beziehungsebenen des Einzelnen zu seinem Gemeinwesen einstellen, sondern vor allem eine unzeitgemäß plebsfreundliche Justiz ein rigides Sparen am Bürgerwohl zu korrigieren versuchen. Die Justizminister der Länder haben nun Vorschläge auf den Tisch gelegt, wie
einer solchen Fehlentwicklung zu wehren wäre. So regen sie zum Beispiel an, die
Ebene der Amtsgerichte abzuschaffen. Dies hätte den Vorteil, daß so mancher
Mittellose es sich in Zukunft gründlich überlegen würde, ob er tatsächlich den
Rechtsweg beschreiten soll, da er ohne juristischen Beistand nicht mehr auskäme
und damit ein zusätzliches Kostenrisiko einzukalkulieren wäre. Jene, denen dies
noch nicht Abschreckung genug darstellte, soll ferner eine Art "Praxisgebühr",
die unabhängig von dem Ausgang des Verfahrens zu tragen sein würde, zum
Nachdenken bringen, ob man denn wirklich so kleinlich sein muß, wegen jeder
Lappalie gleich vor Gericht zu ziehen. Zu kritisieren ist an diesem Reformpaket jedoch, daß es zwar den Umbau des
Gemeinwesens nach neoliberalen Maximen flankiert, selber aber noch nicht
wirklich neoliberal ist. Diese Ehrenbezeichnung würde es nämlich erst dann
verdienen, wenn es das längst fragwürdig gewordene Justizmonopol des Staates
aufzuheben trachtete und auf eine Privatisierung der Gerichte sowie die
Implementierung einer Konkurrenz zwischen diesen zielte. Warum soll der
Standortwettbewerb auf die Verwaltungen der Länder und Kommunen beschränkt sein,
ausgerechnet das Justizwesen aber ausklammern? Die Bürger müßten doch wohl
mündig genug sein, sich selbst die Gerichte auszusuchen, von denen sie sich,
eventuell unter Leistung adäquater Zahlungen, die Durchsetzung ihrer Interessen
versprechen können. |