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39/04 17. September 2004
Eichels Utopia
Bundeshaushalt 2005 - weiter auf dem Weg vom Schuldenstaat zum Bankrott
Bernd-Thomas Ramb
Wieder einmal wird ein utopischer Haushaltsplan vorgelegt, dessen Zahlen
vielfach der reinen Phantasie entspringen. So hofft der Bundesfinanzminister für
2005 auf einen Bundesbankgewinn von 3,5 Milliarden Euro. In diesem Jahr wurden
gerade einmal 280 Millionen Euro aus Frankfurt überwiesen.
Weitere 15,5 Milliarden Euro Einnahmen will Hans Eichel durch den Verkauf von
Bundesvermögen erzielen. Doch das funktioniert nur, wenn die staatseigene
Kreditanstalt für Wiederaufbau die Post- und Telekomaktienpakete des Bundes
übernimmt und mit großzügigen Kaufpreisen bewertet. Die kommenden
Lkw-Mauteinnahmen sind mit drei Milliarden Euro angesetzt, dabei ist immer noch
nicht sicher, ob das Toll-Collect-System ab Januar einwandfrei läuft.
Unsicherheit besteht auch hinsichtlich der Steuereinnahmen aus der Tabaksteuer,
deren planmäßige Erhöhung der Bundesfinanzminister selbst in Frage stellt. Nach
Schätzungen der Tabakindustrie wird eine weitere Erhöhung sogar zu einem
Rückgang der Steuereinnahmen führen. Die Preiserhöhung würde zu einem so
scharfen Einbruch der Nachfrage nach Tabakwaren führen, daß die Erhöhung des
Steuersatzes überkompensiert wird. Statt eines Einnahmeplus von 1,5 Milliarden
Euro wären Steuermindereinnahmen von einer Milliarde zu verbuchen. Zudem würde
die illegale Beschaffung von Zigaretten noch heftiger angeheizt.
Während auf der Einnahmenseite maßlos übertrieben wird, leiden die Ausgabenpläne
unter Untertreibungen. So sind beispielsweise im Bereich Arbeitslosenzuschüsse
die fünf Milliarden Euro Mehrkosten nicht berücksichtigt, die sich aus den
"Nachbesserungen" bei Hartz IV und der steigenden Langzeitarbeitslosigkeit
ergeben. Insgesamt geht Eichel, der seinen Haushalt wieder einmal "auf Kante
genäht" hat, von einer Neuverschuldung von 22 Milliarden Euro aus. Bei geplanten
Investitionen in einer Gesamthöhe von 22,8 Milliarden Euro bleiben gerade einmal
800 Millionen Euro, um den Haushalt vor dem Verfassungsbruch zu bewahren. Ein
illusorisches Zahlenwerk, meint auch der Bund der Steuerzahler, dessen Präsident
Karl Heinz Däke den Rechenfehler auf 10,5 Milliarden Euro schätzt.
Damit würde die Neuverschuldung wieder einmal die Drei-Prozent-Grenze
übersteigen, wäre wieder einmal das Maastricht-Kriterium verletzt, würde wieder
einmal nichts zum Abbau des horrenden Schuldenberges beigetragen, läge wieder
einmal ein verfassungsrechtlich illegaler Haushalt vor. Doch wen kümmert das
ernstlich und medial wahrnehmbar?
Die Drohung mit den im Euro-Stabilitätspakt vorgesehenen Sanktionen wirkt nach
den jüngsten Äußerungen der EU-Kommission hinsichtlich der Ausweitung von
Ausnahmeregelungen nur noch lächerlich. Wenn Eichel auf eine sichere Prognose
vertrauen kann, dann sind das nicht die Vorhersagezahlen des deutschen
Wirtschaftswachstums, sondern das Umfallen der EU-Kommission beim Schutz des
Euro und des Stabilitätspakts.
Spätestens die wiederholte Verletzung der Verfassung sollte eigentlich zu einem
lauten Protestgeschrei der Opposition führen. Was aus dieser Richtung zum
Haushaltsplan vorgetragen wurde, war jedoch nur halbherzig. Zwar wird zu Recht
auf die wiederholt hinausgezögerte Beendigung der Steinkohlesubvention und die
mangelhafte Umsetzung der Ausgabenkürzungsstrategie verwiesen, die
parteiübergreifend von den Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) und Peer
Steinbrück (SPD) erarbeitet wurde, es fehlt jedoch der notwendige revolutionäre
Biß. Statt dessen beklagt die Union zahlreiche Ausgabenkürzungspläne der
Regierung: bei den Bauinvestitionen im Schienen- und Straßenverkehr, bei der
Wirtschaftsförderung in den neuen Ländern und bei den Zahlungen in die
Sozialkassen der Landwirte, vor allem aber das Vorhaben der Regierung, die
Eigenheimzulage abzuschaffen.
Zu letzterem hat die CDU bereits angekündigt, ihre notwendige Zustimmung im
Bundesrat zu verweigern. Die Gründe mögen ökonomisch verbrämt sein, im Ergebnis
will aber auch die CDU die Beibehaltung der Subventionen. Regierung und
Opposition bleiben dabei: Kürzt du nicht die Subventionierung deiner Klientel,
dulde ich auch keine Kürzungen bei meiner. Koch und Steinbrück hatten versucht,
diesen Teufelskreis zu durchbrechen. Die Einigung folgte auf moderatem Niveau:
jedes Jahr gleichmäßige Verringerung aller Steuererleichterungen um zwölf
Prozent. Aber selbst dieser Minimalkonsens wird nicht durchgehalten.
Ob nach einem Regierungswechsel eine fundamentale Umkehr in der Haushaltspolitik
eintritt, ist zu bezweifeln. Zu groß ist die Angst vor unpopulären Maßnahmen,
insbesondere wenn die Opposition mit der "Unsozial!"-Keule zuschlagen kann. Die
moderne Politikergeneration ist mit dem Diktum aufgewachsen, alles zu
unterlassen, was "dem Wähler nicht vermittelbar" ist. Der konservative
Staatsmann, der seine politischen Konzepte über die Wahlperiode hinaus
entwickelt und dem Vulgärpopulismus zum Trotz standhaft an ihnen festhält, ist
eine ausgestorbene Gattung. Ohne solche Personen, die zudem in der Lage sind,
der Bevölkerung unangenehme Wahrheiten mitzuteilen und sie vom Sinn belastender
Maßnahmen zu überzeugen, ist der deutsche Schuldenstaat zum Bankrott verurteilt.
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