© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/02 09. August 2002

 
Ein Kämpfer für die Freiheit des Geistes
Nachruf: Zum Tode des Journalisten Andreas Graf Razumovsky
Carl Gustaf Ströhm

Viele Jahrzehnte lang gehörte Andreas Graf Razumovsky zu den profiliertesten Auslandskorrespondenten der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Seinen letzten großen Aufsatz - zur Lage auf dem Balkan, zur Situation Österreichs und Mitteleuropas - veröffentlichte er in der JUNGEN FREIHEIT am 21. Juni, der er sich seit Jahren als Mitarbeiter und Freund verbunden fühlte. Razumovsky gehörte auch zu den prominenten Unterzeichnern des Appells für die Pressefreiheit, der an den Ministerpräsident Wolfgang Clement von Nordrhein-Westfalen gerichtet war.

Schon diese wenigen Sätze zeigen, daß Razumovsky, der am 26. Juli in Wien nach längerer Krankheit gestorben ist, eine durchaus ungewöhnliche Gestalt im deutschen politischen Journalismus verkörperte. Vor allem hat er immer wieder Eigenschaften an den Tag gelegt, die heutzutage recht selten geworden sind: Zivilcourage, Mut (und wohl auch ein wenig Stolz) gegenüber politischen Machthabern sowie eine niemals nachlassende intellektuelle Neugier. Er konnte beißend ironisch sein, wenn es darum ging, die Nebelwände von Ignoranz und Anmaßung zu durchstoßen. Doch waren seine Berichte und Analysen aus vielen Ländern von Sachkenntnis und fundiertem Wissen geprägt. Auch hierin war er eine ungewöhnliche Erscheinung: Im Zeitalter des audiovisuellen Geschwätzes war er ein Mann von profunder Bildung.

Dabei stand für den Sohn aus aristokratischer Familie am Anfang eine schwere Jugend. 1929 wurde er auf Schloß Schönstein bei Troppau geboren - in jenem mährisch-schlesischen Grenzland, das bis 1918 zu Österreich gehörte, dann 1919 zur Tschechoslowakei kam, 1938 als Teil des Sudetenlandes zum Reich - und 1945 wieder zur Tschechoslowakei. Diese Aufzählung allein kündet von einer bewegten Kindheit. 1946 kam er in das damals noch von den vier Mächten besetzte Wien, in dem die Razumovskys bereits im 18. Jahrhundert eine Rolle spielten, wovon bis heute eine "Razumovskygasse" in der österreichischen Hauptstadt kündet.

Der junge Andreas Razumovsky wurde (wieder) Österreicher - zu einer Zeit, als von Glück oder gar Wohlstand in diesem Lande kaum die Rede sein konnte. Er begann nach dem Studium der Musik- und Rechtswissenschaften seine journalistische Tätigkeit zunächst als Musikkritiker bei der Arbeiterzeitung und der Weltpresse, wo er schon bald die Gemüter erregte und das Interesse artverwandter Geister. So setzte ihm sein Freund Heimito von Doderer mit der Figur des Childerich von Bartenbruch ein von Zuneigung und sanfter Ironie geprägtes frühes Denkmal.

1956 holte ihn der legendäre Karl Korn - in den Nachkriegsjahren einer der Gründerväter der FAZ - zur "Zeitung für Deutschland".

1965 wurde Razumovsky mit einem Schlag bekannt, als er seine Tätigkeit als FAZ-Auslandskorrespondent in Prag, also in der damals noch weitgehend stalinistisch geprägten, aber sich bereits langsam auflockernden "Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik" (CSSR) begann. Aus dem Musikkritiker wurde ein scharfsichtiger, unbestechlicher Kritiker und Analytiker der politisch-gesellschaftlichen Zustände der kommunistischen Herrschaft in Böhmen und Mähren.

Es zeigte sich bald, daß Razumovsky gerade in diesen Landen über Eigenschaften verfügte, die man nicht lernen kann, weil sie einem im Blut stecken müssen: Er stammte aus dieser Gegend, er kannte, erkannte und durchschaute was hier gespielt wurde - denn er kannte die Menschen und hatte einen Instinkt für das menschliche, politische, gesellschaftliche und ethnische Drama, das sich hier seit seinen frühen Kindheitstagen abgespielt hatte (und das auch nach dem Sturz des Kommunismus bis heute nicht beendet ist).

In gewisser Weise wurde Andreas Razumovsky damals zum Propheten des Prager Frühlings und des kommenden tschechisch-slowakischen Aufruhrs gegen das verknöcherte, sowjetisierte KP-Regime. Und wie so vielen anderen, die ihrer Zeit voraus waren, zahlte er dafür seinen Preis: Die CSSR-Kommunisten, die natürlich wußten, daß Razumovsky die Dinge durchschaute, wiesen ihn im Dezember 1967 aus. Im gleichen Jahr hatte er noch den renommierten Theodor-Wolff-Preis bekommen.

Wenige Monate später wurde Alexander Dubcek Staatschef der Tschechoslowakei und es begann für die Tschechen und Slowaken jene kurze Episode der halben Freiheit, die am 21. August 1968 mit dem Einmarsch der sowjetischen und Warschauer-Pakt-Truppen in Prag ihr jähes Ende fand. Razumovsky kommentierte und analysierte aus der Frankfurter Zentrale die Prager Vorgänge, bevor er 1969 als Korrespondent in die Niederlande entstandt wurde.

Ein weiterer dramatischer Abschnitt seiner journalistischen Tätigkeit für die FAZ waren die Jahre als Balkan- und Jugoslawien-Korrespondent in Belgrad von 1971 bis 1976. Hier erlebte, beschrieb und kommentierte Razumovsky das letzte Aufbäumen des Titoismus und die beginnende Abenddämmerung des alten Tito: Die Niederschlagung diverser nationaler Bestrebungen der einzelnen Nationen Jugoslawiens, die Annäherung Belgrads an die Moskauer Breschnew-Garnitur. Unter dem Eindruck seiner Erlebnisse veröffentlichte er 1980 im Ullstein Verlag sein wohl bekanntestes Buch, "Ein Kampf um Belgrad. Tito und die jugoslawische Wirklichkeit".

Der Belgrader Zeit folgte eine Rückkehr in den kulturellen Journalismus, von dem aus er einst begonnen hatte: Von 1976 bis 1980 war er Kulturkorrespondent in Paris.

Doch dann wechselte er wiederum in die Politik - und zwar erneut in einen der damaligen Krisenherde: Bis 1987 berichtete er für das Frankfurter Blatt aus Südafrika, wo sich der Endkampf um die "Apartheid" und der Machtwechsel von weiß zu schwarz bereits ankündigte. Er habe, so sagte er selber einmal, dort, in der "dritten Welt" begriffen, wie nichtig mitunter die europäischen Probleme seien.

Am Ende schloß sich der Kreis: Razumovsky kehrte als politischer Korrespondent in jene Stadt zurück, von der aus er begonnen hatte: nach Wien. Der "gelernte Österreicher" zeigte, daß er über einen inneren Zugang zu dieser Stadt und zum Land verfügte, der manch anderem verschlossen blieb. Wieder einmal bewies er seine intuitive Begabung: Er sagte das Ende der Großen Koalition aus SPÖ und ÖVP voraus, an deren ewigen Bestand damals nicht wenige glaubten. Zugleich zeigte Razumovsky - im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen, besonders aus der bundesdeutschen Medienszene - keinerlei Berührungsängste gegenüber dem aufsteigenden Jörg Haider und der FPÖ. Solange Razumovsky aus Wien berichtete, erhielten die FAZ-Leser ein zwar durchaus kritisches, aber doch um Objektivität bemühtes Bild der österreichischen innenpolitischen Szene. Die künstliche Hysterie, wonach Haider die Demokratie und die heiligsten Güter des Abendlandes bedrohe, hat Razumovsky zu keiner Zeit mitgemacht. Auch in dieser Hinsicht fiel er aus dem Rahmen des Konformismus und blieb sich selbst treu.

Dabei ist die Frage, ob Razumovsky ein "Konservativer" oder gar ein "Rechter" war, im Grunde müßig. Gewiß, er konnte (und wollte) seine aristokratische Herkunft nicht verleugnen. Die jugoslawischen Kommunisten, die er mehr als einmal an ihrer verwundbarsten Ecke zu treffen wußte, nannten ihn "grof" - den Grafen -, was aus dem Munde dieser Klassenkämpfer vielleicht als Herabsetzung gedacht war, aber als unfreiwilliges Kompliment wirkte. Doch zugleich blieb er zeitlebens allen übertriebenen Festlegungen hold. Er war "in seinem Denken "liberal" - nicht im Sinne parteipolitischer Festlegungen und auch nicht im Sinne jenes platten Permissiv-Liberalismus, der heute so viele Geister verwirrt. Um ihn irgendwie "einzuordnen" (obwohl selbst dieses Wort ihm wohl widerstrebt hätte) muß man vielleicht zu seinen Wurzeln zurückgehen: In jenen mährisch-schlesischen Raum, in dem einander Völker und Kulturen trafen, dort, zwischen Beskiden und Sudeten, wo der Osten nah und der Westen doch nicht fern war. Das war eine Landschaft der Zwischentöne und Pastellfarben. Hier konnte man durchatmen.

Wie so vieles andere ist auch das alles der großen Nivellierung und Barbarisierung zum Opfer gefallen. Andreas Razumovsky, hinter dessen ironisch scheinenden Wesen sich Sensibilität und Verletztbarkeit verbargen, hat etwas von seiner Herkunft in sich getragen und einiges davon seinen Lesern und Kollegen vermitteln können. Daß die Zeitung, für die er jahrzehntelang an hervorgehobener (und gelegentlich nicht ungefährlicher) Stelle schrieb, ihm einen lieblosen Nachruf von nur knapp vierzig Zeilen, versteckt in der Rubrik "Personalien", widmete, mag ein weiterer Beweis dafür sein, daß Deutschland heute zu einem Land ohne Vergangenheit, ohne geschichtlichen Sinn - und auch ohne Gefühl für Stil geworden ist.

Jenen aber, die Andreas Graf Razumovsky schätzten (auch und gerade in seiner Unbequemlichkeit und Nicht-Angepaßtheit) bleiben Dank und Gedenken an einen Menschen, der in einem ganz unimperialistischen Sinne ein "Groß-Österreicher" und einer der letzten großen Publizisten deutscher Sprache war. Andreas Graf Razumovsky hat sich um die Freiheit des Geistes verdient gemacht.


 
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